Monochrom: „Digitales Politisieren erlebt eine Renaissance“
Das neunköpfige Kunst-, Theorie- und Bastelkollektiv rund um Johannes und Günter Friesinger von Monochrom feiert am 22. März im Gartenbaukino 25-jähriges Bestehen mit Film und Party. Grenzfurthner hat zum Jubiläum nämlich mit "Glossary of Broken Dreams" einen neuen 98-minütigen Film aus dem Nichts hervorgezaubert. Festival-Premiere feiert der Film am 16. März auf der "Diagonale" in Graz. Die futurezone hat ihn zum Gespräch getroffen.
futurezone: Dein Film "Glossary of Broken Dreams" klingt vom Titel her sehr desillusioniert. Was darf sich das Publikum erwarten?
Johannes Grenzfurthner: Ein Jammertal, sag ich! Im Juli 2017 habe ich erfahren, dass die Produktion von “ Tycho”, unserem Musicalfilm über den exzentrischen Astronomen Tycho Brahe und seine Schwester, auf Grund der Förderabsage des ORF um mindestens ein Jahr verschoben werden musste. Meine Hauseingangstür hat einen nicht sehr liebevollen Tritt deswegen abbekommen müssen. Als ob die Hauseingangstüre – oh leblose Materie! – was für die ORF-Förderpolitik könne. Diese cholerische Geste war aber auch irgendwie passend: Frustration ist ein wesentlicher Aggregatzustand im Künstlerleben des frühen 21. Jahrhunderts. “Tycho” ging also in eine weitere Runde der bürokratischen Makulatur, und ich war entnervt, weil ich einfach arbeiten wollte, einfach etwas tun wollte... Und so entstand, wie viele guten Dinge, aus der Verzweiflung eine Idee. Und ich nannte diese Idee Glossary of Broken Dreams.
Ist der Film eine Abrechnung mit der Entwicklung des Internets geworden?
Ich entschied mich mit dem, was ich zur Verfügung hatte, im radikalen „Do It Yourself“ (DIY), das Projekt durchzuziehen. Der Film hat ganz fundamental etwas mit dem Internet zu tun und ist Teil einer anderen Frustration, nämlich der über Online-Diskussionen. Gerade in den letzten zwei Jahren erlebt das digitale Politisieren eine Renaissance. Und alle nehmen sie große Begriffe in den Mund. Alle tippen sie von Freiheit, Privatsphäre, Identität. Sie palavern über Widerstand, den Markt und die Linke. Aber irgendwie konnte ich diese ignoranten und sachlich jämmerlichen Kommentare nicht mehr ertragen. Ich kontaktierte meinen Freund und intellektuellen Sparring-Partner Ishan Raval in San Francisco und wir machten uns daran, die goldenen Kälber des politischen Diskurses neu zu betrachten, zu bewerten und vielleicht sogar zu opfern.
Du hast Privatsphäre als Stichwort genannt. Glaubst du, ist so etwas wie "Freiheit und Privatsphäre" im Netz eigentlich noch möglich und erstrebenswert oder bist du Post-Privacy-Verfechter?
Ha! Spoiler! Aber gut... unter anderem versuche ich im Film auch einen Abriss der Geschichte des Privatsphäre-Begriffs zu präsentieren und meine Conclusio zu liefern. Soviel sei verraten: Als guter alter Neulinker hab ich ein Problem mit dem doch sehr konservativen und tiefstbürgerlichen Rattenschwanz, den die Privacy-Debatte mit sich rumschleppt. Da muss man schon mal aufräumen. Ich denke, es ist an der Zeit, hier Denkschablonen auszutauschen. Die Frage ist nämlich nicht: „Wie können wir Privatsphäre auf Teufel komm raus verteidigen?“, sondern: „Warum ist Privatsphäre uns überhaupt so wichtig?” Kann es nicht sein, dass wir hier eher an reformistischer Symptombekämpfung interessiert sind, als an der Lösung der zugrundeliegenden Probleme?
Wie kann ich mir den Film vorstellen?
Irgendwie ist der Film ein Spielfilm, aber dann auch eine Dokumentation und ein Essay. Ich versuche unterhaltsam alle ästhetischen Formen von Puppentheater über Pixelanimationen bis Anime nützen, um die verschiedenen Begriffe zu diskutieren. Ich verstehe mich als Lumpennerd, und für mich war es wichtig auch in der Machart des Films viele interessante, geekige Anknüpfungspunkte zu liefern. Obwohl ich nicht wirklich Budget hatte, habe ich es aber geschafft, einen Haufen Leute zu begeistern. Darunter unter anderem so wunderbare Performer wie Amber Benson ( Buffy the Vampire Slayer), Max Grodénchik (Star Trek: Deep Space 9), Robert Stachel und Peter Hörmanseder (maschek), Gerald Votava, Duscher&Gratzer, Jeff Ricketts, Katharina Stemberger, Stefanie Sargnagel, Jason Scott (textfiles.com), Stuart Freeman und Conny Lee (FM4), Alexander E. Fennon, Martin Auer...
Du verfolgst die Entwicklung des Internets seit den Anfängen mit und hast über den "Cyberspace" schon vor 25 Jahre andere Monochrom-Mitstreiter kennengelernt. Überwiegen für dich die positiven oder negativen Entwicklungen, die es im Internet gegeben hat?
Hui! Mein endloser „cyberspace” waren die BBS des Fidonetzes und die Textfile-Archive auf gopher-Servern. Durch diese Welt habe ich in den frühen 1990ern Franz Ablinger kennengelernt und gemeinsam haben wir das Print- und Online-Fanzine “Monochrom” gegründet. Die Geschichte der Technikentwicklung ist untrennbar mit der Geschichte unserer Gruppe verbunden. Ich erinnere mich noch daran, dass ich 1994 erzürnt war, dass ich einfach nicht schnell arbeiten konnte, weil die Ausarbeitung der analogen Fotos beim Billa so lange gedauert hat. So habe ich mir einfach eine Polaroidkamera gekauft, damit die Fotos gemacht und dann mit dem billigsten Hand-Scanner eingescannt. Ich denke, unsere Arbeit war immer davon geprägt was für uns technisch möglich und leistbar war. Das hieß dann automatisch: Viel herumexperimentieren und offen sein, auch um diverse Ecken zu denken. Und das ganze Zeug vielleicht einfach aufzuschrauben und zu schauen, wie wir es umbauen konnten.
Monochrom ist in gewisser Weise auch gemeinsam mit dem Netz großgeworden. Von den Utopien, die in den 90er Jahren formuliert wurden, ist aber nicht viel übriggeblieben.
Meine Mutter hatte mal eine mir sehr wichtige 5-1/4-Zoll-Diskette als Kaffeeuntersetzer missbraucht. Ich heul heute noch, wenn ich dran denke. Hat sich in unseren internen Sprachschatz eingefressen: Etwas komplett zu zerstören heißt bei uns immer noch „etwas zu Kaffeetscherln”.
Aber zurück zur Frage: Als Monochrom haben wir von Anfang an Stellung bezogen, was uns nicht an den Entwicklungen gepasst hat – durch Manifeste, Aktionen, unsere Textproduktion. Schon Mitte der 1990er hatte der Chefredakteur von Wired, Louis Rossetto, festgestellt, dass das Zeitalter der Netzutopie, die Zeit der kreativen, anarchistischen Energien der Cyberpunks, vorbei wäre, und dass es Zeit wäre endlich „zur Sache” zu kommen. Das ging uns natürlich sehr gegen den Strich. Barbrook und Cameron haben das dann „die kalifornische Ideologie” genannt, und es war uns eine Freude, diese zu zerlegen. Insgesamt war das eine wunderliche Zeit, denn einerseits tobten sich die Libertären aus und bauten ihre Strukturen und formten das Netz in ihrem Bilde, aber die Linke war vollkommen paralysiert und technophob und man wurde schon schief angeschaut wenn man in der Szene eine Email-Adresse hatte oder gar ein Handy. Das waren bizarre Grabenkämpfe, und vergebene Chancen.
Gibt es dieses freie Internet noch, oder ist durch die Regulierung durch Staaten und Monopolisten wie Facebook und Google zu einem unattraktiven, überwachungskapitalistischen Ort geworden?
Ach, das Internet war nie frei. Es war nur eine Frage, wie lange man die temporärautonome Zone halten könne. Das Internet war ein Projekt des amerikanischen Militärs, das durch viele Zufälle und Entwicklungen dann eine kambrische Explosion erfahren hat, angetrieben durch handfeste wirtschaftliche Faktoren. Aber das hätte auch anders enden können. Cory Doctorow hat mal eine sehr gute Kurzgeschichte darüber geschrieben, was hätte passieren können, wenn die US-Regierung das Netz in den 1980ern nicht geöffnet hätte und wir vielleicht alle in einer Minitel- und BTX-Hölle aufgewachsen wären.
Lange Rede, kurzer Sinn: Es geht doch immer darum sein Umfeld zu analysieren, zu sehen wie es funktioniert, zu versuchen Freiräume zu erkämpfen und zu verteidigen. Das ist jetzt nicht anders als in den 1990ern. Es war mir auch wichtig, auf das in meinem ersten Dokumentarfilm Traceroute hinzuweisen. Da habe ich versucht dem Begriff des Nerds nachzuspüren und abseits der Welt des alt-right-ifizierten Gamergate-Privilegien-Nerds darauf hinzuweisen, dass es eine gegenkulturelle Geschichte der Nerdkultur gibt und wir diese nicht vergessen sollten.
Dieses Jahr feiert das Künstler-Kollektiv Monochrom sein 25-jähriges Bestehen. Was war aus deiner Sicht eure Aktion mit dem meisten gesellschaftlichen Impact? Und was war die, die dir persönlich am meisten in Erinnerung geblieben ist?
Da tue ich mir wirklich sehr schwer etwas zu sagen, vor allem weil ich nicht wüsste, welche Metrik ich da anwenden sollte. Ich denke, es war schon wunderbar, dass wir auf sonderbaren Wegen mit einem erfundenen Künstler namens Georg Paul Thomann den Staat Taiwan gerettet haben. Oder wie wir Österreich mit unserem Streichelnazi an seine Vergangenheit erinnern wollten. Oder sich daran zu erinnern, wie tausende Leute sich auf unserer Cocktail-Roboter-Veranstaltung Roboexotica jährlich die Arduinos schönsaufen.
Ich erinnere mich auch gerne an Udo77 zurück, unser Musical über Udo Proksch. Wir haben da versucht das Leben von Udo Proksch und die Machtstrukturen, die zu solchen Figuren führen, zu beschreiben. Aber manche Projekte sind einfach gut, obwohl sie sehr klein, fast nebensächlich sind. Wir sammeln zum Beispiel Tippfehler, weil typos wirklich die konkrete Poesie der Gegenwart geworden sind. Ich erzähle in unserer „brachial-anekdotischen Hauptabendunterhaltungsshow” im Theater Spektakel einige dieser Geschichten.
Sind eigentlich noch alle MitstreiterInnen von Monochrom vom Anfang dabei, oder habt ihr auf der Reise jemanden verloren?
Die Kerngruppe ist langsam gewachsen, über die Jahre auf neun Leute. Aber wir haben immer mit vielen Leuten kooperiert. Manche dieser Kooperationen und Freundschaften sind mittlerweile Jahrzehnte alt, manche haben nur Wochen gehalten. It's chemistry, I guess. Wichtig ist jedenfalls, dass wir uns immer als eine Art sozialen Inkubator gesehen haben. Da wollen wir heuer einen weiteren Schritt gehen.
Vom 28. Juni bis zum 1. Juli wollen wir in der Gegend von Amstetten die erste monocon, unsere eigene convention, starten. Wir übernehmen da ein Schlosshotel. Und dann wollen wir Leute einladen, die wir einfach gut oder interessant oder angenehm kontroversiell finden. Zum Beispiel unseren ehemaligen Artist-in-Residence Bre Pettis, der durch den Makerbot bekannt wurde. Oder Leute wie Eddie Codel, der das Flying Robot Film Festival organisiert. Die Idee ist es, eine Art lässigeres Alpbach aufzuziehen. Das klingt jetzt ein wenig herablassend. Hmm. Wurscht.
Monochrom betreibt seit Jahren erfolgreich "context hacking". Ein Beispiel dafür. Und: Man muss also kein Programmierer sein, um Dinge zu hacken?
Ja, wir beschreiben unsere Arbeit als “context hacking”... und das hat damit zu tun, dass es für künstlerische, aber auch aktivistische Arbeit einfach immens wichtig ist, den Kontext zu verstehen in dem man sich bewegt, aber auch zu versuchen, in diesem Framework kreative Kurzschlüsse zu erzeugen. Wir beziehen uns da auch auf die alte Definition von „hacking“, wo der Begriff am MIT für student pranks (Studierendenstreiche) verwendet wurde. Ein besonders gut gelungener Streich war ein guter Hack. Erst in den 1970ern hat das Wort dann eine technische Konnotation erfahren. Wichtig ist uns also: Was ist der richtige Kontext und was das richtige Medium für eine Botschaft? Was sind die weapons of mass-distribution of an idea? Wie können wir Leute dazu bringen, zuzuhören wenn doch niemand mehr wirklich zuhören will?
Filme, Fanzines, Kunstaktionen, Theaterperformances, Ausstellungen: Gibt es irgendeine Kunstform, die monochrom noch nicht gemacht hat?
Ausdruckstanz, glaube ich, hatten wir noch nicht. Da trauen wir uns auch nicht so drüber.
Wohin wird sich Monochrom in den nächsten 25 Jahren entwickeln?
Harte Frage. Ich hoffe, wir sind alle noch a) am Leben und b) nicht in irgendeine Singularität einkopiert, die von Silicon-Valley-Fatzken betrieben wird, weil sie ihre verdrängte christliche Teleologie ausleben wollen. Obwohl es wahrscheinlich wäre, dass sich eher die chinesische KP dessen annehmen wird. Auch nicht besser.
Und wie sieht es mit der Zukunft des Internets aus?
Es gibt keine Zukunft, nur Gegenwart.