Hogwarts Legacy im Test: Ein Topf voll magischer Momente
Nach über 10 Jahren Erfahrung in der Spielekritik wird man irgendwann ein wenig skeptisch. Denn zunehmend halten Spiele nicht, was sie versprechen und sind voller Bugs oder laufen gar nicht, wenn sie ausgeliefert werden. Deshalb bin ich noch immer fast ungläubig verwirrt, dass Hogwarts Legacy (zumindest auf den Konsolen) nicht nur sehr gut performt, sondern auch genau das ist, was ich mir gewünscht habe.
100 Jahre bevor Harry Potter die Zauberschule besucht, dürfen Spieler*innen sich den Gefahren und Wundern in und um Hogwarts stellen. Unsere selbst erstellte Hauptfigur – in meinem Fall die Zauberin „Grete“ - wird sonderbarerweise erst im 5. Schuljahr aufgenommen. Daher hat Professor Fig ihr in den Sommerferien ein wenig Starthilfe gegeben. Auf dem Weg nach Hogwarts entkommen die beiden allerdings nur knapp einem Drachenangriff und landen auf mysteriösen Umwegen in der Schule.
Nachdem sie in eines der 4 Häuser – Gryffindor, Slytherin, Ravenclaw oder Hufflepuff – sortiert wurde, muss sie nicht nur etwas für ihre Bildung tun und Freundschaften schließen, sondern auch einen Kobold-Aufstand verhindern. Dabei lernt die Heldin schnell, dass sie eine uralte Magie nutzen kann, die allen anderen verborgen bleibt – und dass sie dieses Wissen schützen muss.
Es dauert etwa 2 Stunden, bis das Spiel wirklich los geht. Statt unkreativen Tutorialmissionen haben es die Entwickler*innen aber verstanden, den Einstieg bombastisch und fesselnd zu gestalten. Das Erlernen der Kernmechaniken ist in eine rasante und aufregende cineastische Inszenierung eingebettet, die mich sofort abgeholt hat. Schon nach wenigen Minuten hatte ich bereits 2 Gänsehautmomente.
Fantastischer Soundtrack
Schon hier zeigt sich, dass man an einer ganz wichtigen Stelle nicht gespart hat: bei der Musik (auf YouTube zum Reinhören). Getreu den ikonischen Soundtracks der Filme wurden originelle und wunderbar passende Musikstücke geschaffen, die immens zur Spielerfahrung beitragen. Allein dass ich nicht zuerst die Musiklautstärke in den Einstellungen zurückgedreht habe, wie ich es normalerweise tue, sagt schon einiges aus.
In den ersten 10 Stunden geht es Schlag auf Schlag. Nachdem man im jeweiligen Schlafsaal seines Hauses aufgewacht ist (ja, ich bin in Gryffindor, es ist mein Schicksal), kann man das Schloss erkunden. Das ist mit enormer Liebe zum Detail gestaltet. Hinter jeder Stiege und jeder Kurve liegt ein magischer Augenschmaus. Kein Winkel der ikonischen Schule wirkt leer oder repetitiv, mit großen Augen huscht man durch die Gänge und fühlt sich, als wäre man wieder ein Kind.
Lebhafte Spielewelt
Überall gibt es Rätsel zu entdecken, kuriose Szenen zu beobachten oder Gespräche von Mitschüler*innen zu belauschen. Besonders gelungen ist, dass jeweils 3 Schüler*innen aus den verschiedenen Häusern im Laufe des Spiels kleinere oder größere Rollen einnehmen. Man begegnet ihnen immer wieder in Unterrichtsstunden und wenn man durch die Gänge eilt, kann man mit ihnen sprechen und Freundschaften aufbauen. Sie sind nicht nur Questgeber*innen, sondern es entsteht das Gefühl, teil dieser virtuellen Schulgemeinschaft zu sein.
Die Unterrichtsstunden sind oft nur Zwischensequenzen, an deren Schluss wir einen neuen Zauber erlernen können. Sie sind Mittel zum Zweck, die Hauptgeschichte um die Hüter der alten Magie voranzutreiben. Für meinen Geschmack hätte man das aktiver gestalten können, statt mich nur gelegentlich mit einfachen Quicktime-Events aus der Trance zu reißen. Gelungen ist hingegen das Retten bezaubernder magischer Tierwesen und das Einrichten des Raums der Wünsche, um dort Zaubertränke zu brauen und Zutaten anzupflanzen.
Viel zu Entdecken
Doch Hogwarts ist nur der Anfang. Nach einem kleinen Ausflug ins Zauberdorf Hogsmeade und einem Abstecher in den Verbotenen Wald eröffnen sich immer mehr Ländereien, die man auf dem Besen oder dem Rücken verschiedener Tierwesen erkundet. Die Karte ist im Vergleich zu anderen Open-World-Games nicht riesig, aber größer als erwartet. Die Landschaft ist schön, wenn auch nicht sonderlich abwechslungsreich. Das hätte man zugunsten von mehr Details durchaus reduzieren können.
Die große Angst bei solchen Spielen ist, dass sie irgendwann ihren Reiz verlieren. Wenn nach 30 oder 40 Stunden immer noch ein Haufen Sammel-Mission-Icons auf der Karte übrig sind, die man genervt abgrast, dann wird aus dem Entdecken ein Abarbeiten und aus Spaß Pflicht. Im Falle von Hogwarts Legacy hält sich das in einem akzeptablen und vor allem machbaren Rahmen, die Sammel-Quests existieren aber.
Expelliarmus!
Das Kampfsystem ist leicht zu erlernen, wird aber im Lauf des Spiels zunehmend komplexer. Man erstellt sich ein Set von Zaubersprüchen, die mit einem Cooldown eingesetzt werden. Harry-Potter-Fans werden die meisten von ihnen kennen - und ja, wenn man will, kann man neben Accio, Wingardium Leviosa und Expelliarmus auch die unverzeihlichen Flüche Crucio, Imperius und Avada Kedavra erlernen. Zudem gibt es den Basiszauber, der immer eingesetzt werden kann.
Einige Angriffe kann man parieren, anderen muss man ausweichen. Mit fortschreitendem Spiel wird das Organisieren der Sprüche in verschiedene Sets, zwischen denen man schnell wechseln kann, wichtig, um auf verschiedene Situationen zu reagieren. Das macht viel Spaß, verliert allerdings zum Ende hin an Herausforderung, da man zumindest im „normalen“ Schwierigkeitsgrad wenig Gegenwehr spürt.
Die Gegner sind recht eintönig, es gibt Zauberer, Wilderer, Kobolde, Trolle und Getier. Völlig unverständlich ist für mich, warum die Entwickler*innen wirklich alles auf Spinnen gesetzt haben. Ich habe Angst vor Spinnen, kämpfte mich trotzdem durch. Angenehm war das aber nicht, vielmehr war das unnötig. Abgesehen davon, dass die Existenz der Riesenviecher dort inhaltlich unsinnig ist (sie wurden erst viel später in diese Region gebracht), gibt es viele alternative Monster. Sie hätten vielen Spieler*innen nicht nur viel Unbehagen erspart, sondern hätten Kämpfe abwechslungsreicher gestaltet.
Gute Story mit Schwächen
Inhaltlich darf man sich keine Offenbarung erwarten. Nach etwa drei Vierteln kommt ein wenig Langeweile auf, da die Erzählung immer holpriger wird. Einerseits wird ein Gefühl von Dringlichkeit vermittelt, andererseits müssen Aufgaben erledigt werden, die unnötig lange dauern. Einige Gespräche wirken ausufernd und repetitiv. Hier lässt man die Chance liegen, wichtige Thematiken wie die Hintergründe des Kobold-Aufstands oder das Nutzen dunkler Magie intensiver zu behandeln.
Das Spiel macht durchaus deutlich, dass Kobolde von Zauberern und Hexen ungerecht behandelt und unterdrückt werden. Aber anstatt zu versuchen, das in ein versöhnliches Gleichgewicht zu bringen, werden die richtigen Gründe für den Aufstand durch den verblendeten und machthungrigen Anführer schließlich einfach erstickt.
Ähnliches passiert in einer Geschichte um unseren Mitschüler Sebastian. Seine ist die gelungenste Geschichte im Spiel. Sein Ringen mit dunkler Magie wird schließlich schockierend schlecht zu einem inhaltlichen Ende gebracht. Gleichzeitig verpasst es das Spiel, das Verwenden der unverzeihlichen Flüche zu bewerten. Ich habe mir erwartet, dass ihre Benutzung Auswirkungen auf den Spielverlauf hat, was nicht der Fall ist. Damit erstickt die Mechanik eine inhaltliche Debatte im Keim, was bestimmte, schwierige Entscheidungen unbedeutend wirken lässt.
Fazit
Obwohl die Geschichte belanglos bleibt, hat mich das Spiel bis zum Schluss bestens unterhalten. Die diversen Figuren, wie etwa der blinde Ominus oder die Transhexe Sirona, machen die Spielwelt lebhaft und interessant. Dabei zeigt sich ein recht deutliches Thema, nämlich dass Familie und Herkunft nicht definieren, wer man ist.
Überall gibt es etwas zu entdecken, ohne überladen zu sein. Obwohl die Karte gegen Ende des Spiels voll ist mit Symbolen und damit unerledigten Aufgaben, stellt sich bei mir nicht wie sonst die Open-World-Überdrüssigkeit ein. Stattdessen genieße ich jeden Moment, den ich weiter in dieser Welt verbringen kann. Da verschiedene Häuser mit eigene Missionen eine leicht andere Spielerfahrung bieten, lädt es zum erneuten Spielen ein.
Hogwarts Legacy ist kein perfektes Spiel, aber es ist trotz seiner Probleme sehr gelungen. Nach knapp 50 Stunden sehe ich den Abspann und habe fast alle Aufgaben abgearbeitet. Ich hatte überdurchschnittlich viele magische und emotionale Gänsehautmomente. Ob das auch für Personen funktioniert, die mit Harry Potter nichts anfangen können, wage ich zu bezweifeln. Es macht Spaß, setzt aber voraus, dass man sich sofort in der Welt zurechtfindet, weil man sie bereits kennt. Zumindest die Filme sollte man also gesehen haben, um die beste Spielerfahrung zu bekommen.
Howarts Legacy ist für PC (Steam), Xbox Series und PS5 erschienen. Die Versionen für Xbox One und PS4 erscheinen am 4. April 2023. Die Nintendo Switch Version soll am 25. Juli 2023 erscheinen, allerdings kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie man dieses Spiel auf die schwache Nintendo-Konsole bringen will.