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Red Dead Redemption 2 im Test: Zelebrierte Trägheit

Wenn man Rockstar Games ist, kann man sich einiges erlauben. Schließlich hat man mit dem Verkauf des letzten Spiels, „Grand Theft Auto 5“, über sechs Milliarden Euro eingenommen. Man kann zum Beispiel aktuelle Konventionen von Videospielen ignorieren und einen Blockbuster-Titel machen, der so ganz und gar nicht dem Genre-Zeitgeist entspricht. „Red Dead Redemption 2“ (PS4, Xbox One, ab 18 Jahren) ist ein Experiment – das gut gegangen ist.

Das Experimentelle ist nicht das Genre. Open-World-Games, bei denen der Spieler nahezu uneingeschränkt die Spielewelt erforschen kann, sind hoch im Kurs. Das, was „Red Dead Redemption 2“ ( RDR2) von Titeln wie „Assassins Creed: Odyssey“ und „Spider-Man“ grundlegend unterscheidet, ist das Tempo.

Bei anderen heuer erschienenen Genre-Vertretern geht alles schnell. Es muss immer irgendwie Action sein. Was langsam ist, ist langweilig und langweilig ist schlecht in einer Leistungsgesellschaft, in der versucht wird, möglichst viel Aktivität in das bisschen Freizeit zu quetschen, das noch übrigbleibt.

Kein Platz für Gesetzlose

RDR2 verarbeitet das auf seine Art. Die Handlung findet im Jahr 1899 statt. Die USA sind im Umbruch, der Wilde Westen wird zivilisiert. Es bleibt kein Platz mehr für Gesetzeslose wie die Spielfigur Arthur Morgan. Immer wieder sinnieren er und die anderen Mitglieder der Bande, mit denen er unterwegs ist, über die guten alten Zeiten, wie sich alles ändert und schließlich auch über den Ausstieg – Gedanken, die wohl jeder arbeitende Mensch heutzutage schon mal gehabt hat.

Im Gameplay manifestiert sich das auf eine Weise, die zu Spielbeginn herausfordernd für die Nerven ist. Alles wirkt träge. Man reitet minutenlang durchs gefühlte Nichts, nur um dort eine belanglos wirkende Aufgabe zu erfüllen. Das Pferd scheint sich im Schneckentempo zu bewegen, genauso wie Arthur selbst. Sogar das Navigieren in den Menüs und dem Inventar ist langsam.

Das Einsammeln einer Pflanze wird nicht, wie bei anderen Genre-Vertretern üblich, im Vorbeilaufen erledigt, sondern Arthur bleibt stehen, pflückt das Gewächs, rupft sie und steckt sie in die Tasche. Das Aufbrechen und Häuten von erledigten Wildtieren dauert zwar nur 15 bis 20 Sekunden, aber im Vergleich zu Games, bei denen das in drei Sekunden erledigt ist, wirkt es wie eine halbe Ewigkeit. Man sitzt auf Nadeln und möchte Arthur anschreien: „Mach weiter!“ Hektisch wird es nur bei großen Story-Missionen, die meistens mit der Zivilisation zu tun haben, wie das Überfallen von Banken in Städten.

Dieses geringe Tempo, das nur sporadisch schnell wird, lässt Anfangs an der Qualität des Spiels zweifeln. Wer durchhält wird bemerken, dass nach fünf bis zehn Stunden Spielzeit der Effekt einsetzt, den Rockstar Games erreichen will. Man weiß die vermeintliche Trägheit zu schätzen und die hektischen Szenen wirken nicht mehr „normal“, sondern setzen einen unter Druck. Man wurde von RDR2 erfolgreich entschleunigt.

Fazit

Was bleibt ist eine wundervoll detaillierte und lebendige Spielwelt, die zum Erkunden und Genießen einlädt, mit gelegentlichen Schießereien, Raub und Mord. Eine Schwäche ist die banal wirkende Handlung und die leicht durchschaubaren Charaktere. Wer sich auf das Experiment RDR2 einlässt, kann in die Western-Welt für 50 und mehr Spielstunden eintauchen, frei nach dem Motto: „Ich bin für die rauchenden Colts gekommen, aber für den Slow West Lifestyle geblieben.“ Wer nur eine halbe Stunde täglich fürs Spielen aufwenden kann oder will, wird in diesen Lifestyle nur schwer hineinfinden.

Ironisch ist, dass Rockstar Games die Langsamkeit mit RDR2 feiert, seine Mitarbeiter aber teilweise zu 100-Stunden-Arbeitswochen genötigt hat. Der enorme Druck das Spiel pünktlich zu veröffentlichen, hat nicht nur den an der Produktion beteiligt Menschen zugesetzt, sondern auch dem Game selbst. Immer wieder begegnet man Bugs und auch Logikfehler in der Spielemechanik. Es wird vermutlich noch mehrere Patches brauchen, bis alles gefixt ist.

Hoffentlich kümmert sich Rockstar Games überhaupt darum. Derzeit wird nämlich mit Hochdruck am Mehrspieler-Modus gearbeitet, der im jetzigen Spiel noch nicht enthalten ist. Da es darin vermutlich wieder ein System geben wird um mit Echtgeld In-Game-Items zu kaufen, wie bei GTA 5, wird Rockstar Games den wohl priorisieren: Geld > glücklichen Singleplayer-Spielern.

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Gregor Gruber

Testet am liebsten Videospiele und Hardware, vom Kopfhörer über Smartphones und Kameras bis zum 8K-TV.

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