Xenoblade Chronicles 3 im Test: Krieg ist doof, also kämpfen wir
Die gesamte eigene Existenz besteht nur aus kämpfen. Von der Geburt an, bis zum Ende im Alter von 10 Jahren. Wer nicht tötet, stirbt noch früher. Denn die Lebensenergie der Feinde speist die eigene. Nur die stärksten Krieger*innen schaffen es bis zur „Heimkehr“ zu überleben, wo sie dann von der Königin in glitzernde Partikel aufgelöst werden.
Was, wenn man plötzlich nicht mehr kämpfen muss? Wenn man nicht mehr darauf angewiesen ist, zu töten, um selbst weiterzuleben? Wie würdet ihr euer Leben dann nutzen? Wenn eure Antwort ist: „Ich ziehe mit meinen ehemaligen Feinden gemeinsam durchs ganze Land und töte jedes Lebewesen, das ich sehe“, seid ihr genau auf Linie mit Xenoblade Chronicles 3 (Nintendo Switch, 60 Euro).
Existenzielle Krise und Teenager-Angst
Um die Story von Xenoblade Chronicles 3 zu verstehen, muss man die Vorgänger nicht gespielt haben. Es hilft zwar, aber das grimmige Setting von Teil 3 spricht für sich selbst.
Im Land Aionios sind die Nationen Keves und Agnus in einem immer währenden Krieg verwickelt. Gekämpft wird nicht um Ressourcen oder wegen der Ideologie, sondern nur um nicht zu sterben. Wie der Krieg begonnen hat, weiß niemand. Inmitten dieses Kreislaufs aus Gewalt sind 3 Teenager von Agnus und 3 von Keves, die von den Fesseln des Tötenmüssens befreit werden. Das macht sie aber zu Feinden ihrer eigenen Nationen. Die 6 müssen also ihre früheren Fehden beiseite lassen und zusammenarbeiten.
Und das ist spannende Teil der Handlung. Die Teenager merken, wie ähnlich sie sich sind, obwohl sie ihre Gegenüber bisher nur als gesichts- und namenlose Feinde gesehen haben. Sie versuchen sich zu vertrauen, können aber nur langsam überwinden, dass sie jahrelang gegeneinander gekämpft haben und wie viele Freunde dabei schon getötet wurden. Dazu kommen existenzielle Krisen: Warum leben wir überhaupt? Was ist der Sinn davon? Auch Suizid als „einzige logisch Schlussfolgerung“ dieser Fragen wird thematisiert. Oft schwingen Teenager-Angst und Schuldgefühle mit.
Es ist eine beklemmende Dystopie. Es gibt zwar immer wieder auflockernde Momente – einige davon unfreiwillig, weil die deutschen Texte für die überwiegend als Text ausgegebenen Dialoge seltsam sind. Aber kaum gab es einen schönen Moment, wird man schon bald wieder daran erinnert, wie grausam diese von Krieg geprägte Welt ist und dass man immer noch als Feind angesehen wird, selbst wenn man Gutes tut und Menschen hilft.
Die existenzielle Frage nach dem Sinn des Lebens ist das, was die Teenager trotzdem weitermachen lässt. In einer geheimen Stadt sollen sie die Antwort darauf finden. Fortan ist das ihr Ziel. Wer die Reise nutzt und den Verlockungen der zahlreichen Zwischenstopps und den damit einhergehenden Sidequests erliegt, wird locker mehr als 50 Spielstunden in Xenoblade Chronicles 3 investieren.
Chaotische Kämpfe
Das Spiel macht keinen guten Job, Dinge zu erklären. Viele der Tutorials sind genauso schlecht, wie von einem JRPG (japanisches Rollenspiel) erwartet. Am Anfang ist es noch einigermaßen verständlich. Innerhalb der ersten 20 Stunden kommen aber immer neue Elemente dazu, die nicht richtig erklärt werden, aber eigentlich essenzieller Teil des Gameplays sind.
Das hilft nicht bei Kämpfen, an denen mehrere Feinde beteiligt sind. Man selbst hat schon 6 Charaktere am Bildschirm, dazu kommt eine Begleitheld*in. Dann sind da womöglich noch 4 bis 5 Feinde, manchmal sind einige davon große Roboter. Dazwischen fliegen Special Moves (hier heißen sie Techniken) aus allen Richtungen, mit Leuchteffekten und aufsteigenden Zahlen, von den eigenen Leuten und den Feinden.
Links oben sollte man die Health aller eigenen Charaktere im Auge behalten, links und rechts unten mittig wann die Techniken zur Verfügung stehen. Außen links wäre noch die Fusionsanzeige die Beachtung wünscht, ganz rechts die Kettenangriffe. Wenn dann auch noch die KI-Kamerad*innen als Fusionen durch die Gegend schlagen, leuchten und prügeln, ist kaum noch was zu erkennen – und die Switch schaltet die Grafikleistung herunter, weil zuviel los ist am Bildschirm.
Und in dem ganzen Getümmel sollte man auch darauf achten, das Timing der Attacken richtig zu setzen. Denn normale Angriffe passieren automatisch, Techniken werden manuell ausgelöst. Löst man die genau nach einem normalen Angriff aus, gibt es einen Bonus. Außerdem sollen die Techniken korrekt zum Gegner orientiert sein. Manche erzielen etwa nur den doppelten Schaden, wenn man damit den Feind seitlich trifft. Aber läuft man zu viel rund um den Gegner, werden die Auto-Angriffe nicht ausgeführt, die teilweise die Techniken laden – auch das muss bedacht werden.
Und weil das nicht schon unübersichtlich genug ist, ist kaum ersichtlich, wen man gerade angreift und von wem man gerade angegriffen wird. Das Durchschalten der Ziele wirkt dann eher wie ein Glücksspiel, bei dem man versucht den Feind zu finden, den man auch tatsächlich angreifen will.
Unübersichtlich, aber nicht unfair
Trotz der chaotischen Zustände am Schlachtfeld ist Xenoblade Chronicles 3 nicht darauf aus, unfair zu sein. Die KI-Kamerad*innen agieren sehr gut im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Kombo-Aktionen, die etwa 3 aufeinanderfolgende Attacken erfordern um eine Zustandsänderung zu bewirken (wanken, umstoßen, Ohnmacht), werden von den Charakteren in der richtigen Reihenfolge automatisch ausgeführt – wenn man ihnen zuvor im Techniken-Menü die entsprechenden Techniken zugeteilt hat.
Die Charaktere agieren auch korrekt gemäß ihrer zugeteilten Klassen. Es gibt 3 Hauptklassen: Angreifer, Verteidiger (Tank) und Heiler, mit vielen Variationen davon, die durch Begegnungen mit Held*innen freigeschaltet werden. Verteidiger werden immer ihr Möglichstes tun die Feinde zu pullen und Heiler heilen und wiederbeleben – ohne, dass man sie extra dazu auffordern muss.
Im Menü können gefundene Ausrüstungsgegenstände, Juwelen (für Stärkungen) und Techniken automatisch zugewiesen werden, wenn man sich nicht damit befassen will. Und dieser Punkt, bzw. diese Phase, kommt irgendwann ziemlich sicher, da man ständig für die 6 Charaktere die Klassen wechselt, damit sie alle maxen. Das schaltet nämlich Techniken und passive Fähigkeiten der jeweiligen Klasse frei, die klassenübergreifend genutzt werden können. Je mehr man davon hat, desto mehr Auswahl gibt es, um Klassen den eigenen Präferenzen anzupassen und zu optimieren.
Gespielt werden kann übrigens jeder der 6 Charaktere. Einen Unterschied fürs Gameplay macht das kaum – die jeweils zugeteilte Klasse macht den Unterschied aus. Wenn der bullige Verteidiger Lanz und die zierliche Angreiferin Sena beide dieselbe Heiler-Klasse angewählt haben, spielen sie sich in den Kämpfen auch gleich.
Karge Landschaften strapazieren die Nerven
Während die Welt von Xenoblade Chronicles 3 zu Beginn noch riesig und abwechslungsreich erscheint, schwindet dieser Eindruck bald. Sie ist eher unnötig verwinkelt und nach dem dritten Wasserfall und der vierten befreiten Kolonie schaut irgendwie alles gleich aus.
Auch die Monster, die zahlreich die Landschaft bevölkern, wirken nach über 40 Stunden oft recycelt. Das Fell hat vielleicht eine andere Farbe, aber in dem Gebiet, das man vor 15 Stunden erkundet hat, waren schon genau diese Tiere/Monster zu sehen.
Die Karte ist nicht besonders gut. Versucht man sich nur danach zu orientieren, hat man in einigen Gebieten keine Chance, das gewünschte Ziel zu finden. Zum Glück kann man eine Navigationshilfe einschalten, die einen als rote Linie zum Missionsziel führt. Die ist zwar auch manchmal unnötig auf Umwegen oder schlicht verwirrt, hat mich aber ein paar Mal davor bewahrt, aus Frust das Spiel zu beenden.
Nervenzehrend sind auch die Sprachausgaben, die sich ständig – ja wirklich ständig – wiederholen. Nach jedem Kampf gibt es ein Kommentar eines Charakters und die sind immer gleich. Ich kanns nicht mehr hören. „Did you see me in action Mio?“ - „Sure did Sena, you looked great!“ Ja Sena, verdammt noch mal! Du hast auch schon die ersten 100 Mal gut im Kampf ausgeschaut, jetzt hör endlich auf zu fragen! Und wenn Eunie zum 800sten Mal „Did you hear that Noah? Lanz wants something meatier“ sagt, wird es auch nicht lustiger.
Fazit
Xenoblade Chronicles 3 ist manchmal mühsam, die Kämpfe chaotisch, die Welt geprägt von Dystopie und Krieg, gelegentlich eintönig und trotzdem will man weitermachen. Es sind nicht die vorhersehbaren „überraschenden“ Wendungen in der Handlung, oder die vage Hintergrundgeschichte, bei der man selbst nach 30 Stunden Spielzeit nicht wirklich weiß, was jetzt Sache ist.
Für mich ist es der JRPG-typische Umfang, der mich angetrieben hat. Welche Held*in schaltet man als nächstes frei um die dazu passende Klasse zu bekommen? Was bewacht der einzigartige Level-80-Gegner, den man schon ganz früh im Spiel sieht? Wird sich Eunie irgendwann im Spielverlauf mal nicht mehr wie eine Proletin aus Essex aufführen? Und wird die sexuelle Spannung der Fellknäuel auf Füßen Riku und Manana damit enden, dass sie offiziell ein Paar werden?
Wer dringend auf JRPG-Nachschub für die Switch wartet, wird Xenoblade Chronicles 3 verschlingen. Wer noch keine Erfahrung mit japanischen Rollenspielen gemacht hat, sollte für diesen Titel Geduld und Verständnis mitbringen – sonst werden die 50 bis 80 Stunden in der Welt von Aionios eher ein quälender Marathon anstatt ein lustwandeln auf der Suche nach dem Sinn des Lebens.