Meinung

Müll bequem nach Hause geliefert

Die ökologischen Bilanzen des ersten Corona-Jahres fallen gemischt aus: Zwar sind die globalen CO2-Emissionen gesunken, aber was haben wir tatsächlich daraus gelernt?

Vom frommen, vielleicht ein klein wenig misanthrop anmutenden Jubel über das „Heilen“ der Natur, wenn wir Menschen nicht mehr auf sie losgelassen werden, bleibt nicht viel Substanzielles übrig. Die kurze Verschnaufpause hat zwar hier und da tatsächlich dafür gesorgt, dass Tiere und Pflanzen sich Raum zurückerobern konnten, nachhaltig sind die Veränderungen jedoch nicht.

Der Rekord-Rückgang der weltweiten CO2-Emissionen im vergangenen Jahr ist vor allem den Lockdown-bedingten Beschränkungen im Transportwesen und der Industrie zu verdanken. Die Emissionen etwa der Metall- und Chemie-Industrie gingen im Frühjahr um rund ein Drittel zurück, dürften aber bereits zu Jahresende wieder mindestens auf dem Niveau von 2019 gelegen haben – vielleicht sogar darüber. Lockdowns haben die größten Verschmutzer ins Scheinwerferlicht gerückt und uns eindrücklich gezeigt, was möglich ist, wenn man sie einbremst. Aber Dauerlösung sind sie keine, auch nicht ökologisch.

Krisenmüde

Die Einschränkungen durch die Gesundheitskrise mitsamt ihren fatalen sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen machen uns auch individuell wieder leichter verführbar, die Klimakrise hintan zu stellen. Es ist wieder verlockender, unökologischen Entscheidungen den Vorzug zu geben, weil sie das Leben auf den ersten Blick einfacher machen. Das jahrzehntelange, von Profitinteressen getriebene Framing von Politik und Wirtschaft, das in unseren Köpfen die Verknüpfung von umweltfreundlichem Leben mit Verlust fest verankert hat, entfaltet in schlechten Zeiten wie diesen seine volle psychologische Wirkung. Wir müssen Masken tragen, auf Kultur und Bars verzichten, haben Jobs verloren und sind zusätzlich belastet durch Homeschooling.

Da kann uns niemand zwingen, auch noch Energie dafür aufzubringen, auf die Umwelt zu achten. Wir verlernen in unserer Krisenmüdigkeit als Gesellschaft gerade wieder kollektiv, den kurzfristigen Gewinn von langfristigem Nutzen zu unterscheiden – und die großen Hersteller von Wegwerfplastik, Billigfleisch und schmutzigen Autos machen sich unsere Verlustaversion schamlos zu Nutze.

Müll bequem nach Hause geliefert

Die Krisenmüdigkeit manifestiert sich in unseren Mülleimern. Während der Gewerbeabfall weniger wurde, hat der Hausmüll während der Lockdowns signifikant zugenommen. Nach den erstmaligen Ausgangsbeschränkungen im Frühjahr vermeldete die Ressourcenwirtschaft bis zu 20% mehr Müll aus den Haushalten. Eine gesamtösterreichische Jahresbilanz gibt es noch nicht. Dem erhöhten Abfallaufkommen liegen zum Teil logische Verschiebungen zugrunde.

Der Müll, den wir ansonsten im Büro, unterwegs oder im Restaurant verursachen würden, wird nun eben konzentriert in der eigenen Tonne sichtbar. In vielen Punkten wäre der Müll jedoch vermeidbar: Überquellende Papiertonnen voller Kartons aus zahlreichen Bestellungen bei Onlineriesen (Kaufhaus Österreich nicht mitgemeint) müssten vielleicht nicht unbedingt sein. Ein rasant anwachsender Müllberg der Pandemie ist der von Essenslieferungen. Jede Komponente einer Mahlzeit kommt getrennt in Plastikbehälter verpackt, jeweils sicherheitshalber nochmals mehrfach mit Folie umwickelt, häufig alles im Plastiksackerl. Das läppert sich.

Einmal ohne Plastik, bitte!

Alternativen wie das clevere Geschirrleih-System des Wiener Start-up Skoonu sind die richtigen und dringend notwendigen Lösungen. Sie ermöglichen per App die Essenbestellung bei Partnerlokalen im Mehrweg-Geschirr, das klappt auch über die gängigen Online-Lieferdienste in Orange und Grün. Kosten entstehen erst, wenn man das Geschirr nicht wieder zurückgibt.

Ein Geschirrverleih für Essenslieferungen und Take-Away kann, wie ähnliche bereits erfolgreich etablierte Coffee2Go-Pfandsysteme zeigen, ein effektiver Klimaschubser werden und den langfristig notwendigen Schritt ankurbeln, dass Mehrwegsysteme zum Standard erklärt werden.

Komplexität reduzieren

Wo einerseits die großen Schrauben im Triebwerk der Klimakrise wie Transport und Industrie durch die Lockdowns zumindest kurzfristig stillgelegt wurden, drehen die kleinen Rädchen bei uns Individuen sich wieder schneller. Es ist eine schlechte, aber nachvollziehbar menschliche Reaktion. Wir treffen gerne die auf den ersten Blick einfacheren und komfortableren Entscheidungen, und gerade in Zeiten wie diesen ist Komplexitätsreduktion ein wichtiger Überlebensmechanismus, um unseren Alltag zu meistern.

Umso größer ist die politische Verantwortung, um diesem Backlash zu begegnen: Es braucht klare Regeln, die die Komplexität reduzieren und Rahmenbedingungen so gestalten, dass ökologische Entscheidungen immer die einfachste Wahl sind.

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Tina Wirnsberger

Tina Wirnsberger ist Trainerin für nachhaltige Wirtschaft & Politik und Sozialpädagogin. Sie war bis Jänner 2019 Grüne Stadträtin für Umwelt und Frauen in Graz.

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