Der Nirwana-Fehlschluss
Wir alle kennen Menschen, die immer etwas zu meckern haben: Die Pizza ist ja ganz ok, aber der Käse ist nicht so gut wie damals in Palermo. Der Strand ist ja ganz schön, aber die Palmen sind nicht so hübsch wie in der Karibik. Dieses zwanghafte Fehlersuchen nervt nicht nur, es kann zu einer echten Gefahr werden, wenn man um technische oder politische Themen geht.
Oft erleben wir das bei Diskussionen über Klimaschutz und Energiewende: Elektroautos haben eine bessere CO2-Bilanz als Autos mit Verbrennungsmotor. Aber was ist mit dem Lithium, das man für die Batterien braucht? Das wird auf umweltzerstörerische Weise in Chile aus dem Boden geholt, also sind Elektroautos keine sinnvolle Alternative! Zumindest lassen sich mit dieser These reißerische Fernseh-Dokus drehen.
Windkraftwerke erzeugen zwar Strom ohne CO2-Ausstoß, aber was ist mit den Vögeln, die beim Zusammenstoß mit den Rotorblättern sterben? Und was ist mit dem schädlichen Schwefelhexafluorid, das in den Anlagen verbaut ist? Das ist nämlich ein noch viel schlimmeres Treibhausgas als CO2!
Manche Nachteile sind gar nicht so schlimm
Solche Argumente sollte man nicht ignorieren. Es ist wichtig, sich die Nachteile jeder Technologie bewusst zu machen. Aber nur weil es Nachteile gibt, muss man die Technologie noch nicht für falsch und gefährlich erklären. Man kann sich die Sache näher ansehen und feststellen: Ja, Lithium-Förderung ist ökologisch gesehen eine hässliche Sache. Aber es gibt viel Bewegung auf diesem Gebiet: Möglicherweise kommen künftige Batterien ohne Lithium aus, möglicherweise gewinnen wir Lithium in Zukunft auf ganz andere Weise. Das Lithium wird in den Batterien nicht verbraucht, man kann es also recyceln, und außerdem ist die Förderung vieler anderer Rohstoffe ökologisch gesehen noch schlimmer als der Lithium-Abbau – nur werden darüber interessanterweise keine reißerischen Fernseh-Dokus gedreht.
Vögel sterben tatsächlich immer wieder durch Windkraftwerke – allerdings sind andere Dinge wie Klimawandel oder Flächenversiegelung deutlich größere Probleme für die Vogelwelt. Und Schwefelhexafluorid wird tatsächlich für Windkraftwerke verwendet – allerdings wird erstens darauf geachtet, es nicht in die Luft freizusetzen, zweitens bereits an Alternativen gearbeitet und drittens eine viel größere Menge an Schwefelhexafluorid in ganz anderen Bereichen freigesetzt, über die sich niemand beklagt – etwa durch kaputtgegangene Schallschutzfenster.
Gegen das Paradies ist jeder Vorschlag chancenlos
Der Irrtum, etwas voreilig für schlecht zu erklären, weil man Nachteile entdeckt hat, wird „Nirwana-Fehlschluss“ genannt. Man vergleicht jeden Vorschlag mit einem hypothetischen paradiesischen Optimalzustand – und damit kann natürlich keine reale Lösung konkurrieren. Alles lässt sich als vergleichsweise schrecklich darstellen, wenn man es mit einem himmlischen Nirwana vergleicht, das ohnehin niemals zu erreichen ist. Um etwas positiv zu verändern, muss man manchmal einfach einen Schritt in die richtige Richtung machen – auch wenn man damit nicht gleich am Ziel ist.
Das Problem daran ist nur: Es gibt auch den umgekehrten Fehler. Es ist auch dumm, etwas gleich für nützlich und weltrettend zu erklären, nur weil es ein Schritt in die richtige Richtung ist. Hier landen wir schnell beim sogenannten „Greenwashing“: Eine Ölfirma druckt auf fröhliche Werbebroschüren, dass sie jetzt ein Aufforstungsprojekt im Regenwald mitfinanziert. Na bitte! Das ist doch zumindest mal etwas! Das Kreuzfahrtschiff hat schreckliche Emissionen, aber immerhin serviert man dort die Cocktails jetzt mit Trinkhalmen aus Papier. Das demonstriert doch wenigstens guten Willen!
Kann es Teil einer nachhaltigen Lösung sein?
Solche Maßnahmen klingen vielleicht nett, aber sie bringen uns nicht ans Ziel. Entscheidend ist immer die Frage: Kann etwas Teil einer nachhaltigen Zukunft sein? Lässt sich das, was wir hier diskutieren, in ein sinnvolles Gesamtkonzept einfügen?
Elektromotoren und Batterien nachhaltig herzustellen wäre grundsätzlich möglich – auch wenn das heute noch nicht geschieht. Das Fördern von Erdöl und Verbrennen von Benzin hingegen ist prinzipiell nicht nachhaltig – egal wie sehr wir unsere Motoren verbessern. Windkraftanlagen lassen sich umweltfreundlich betreiben und recyceln. Schwerölbetriebene Kreuzfahrtschiffe hingegen nicht – egal wie konsequent man dort auf Plastikstrohhalme verzichtet.
Wir müssen also beide Fehler vermeiden: Das voreilige Schlechtreden hilfreicher Lösungen und das voreilige Jubeln über Schritte in die richtige Richtung. Das ist kompliziert. Und wir liegen dabei auch ganz sicher nicht immer richtig. Aber wir können es zumindest versuchen. Das wäre mal ein Schritt in die richtige Richtung.