ELGA startet: Gesundheit wird elektronisch
Ab diesem Tag landen neue Entlassungsbriefe, Labor- und Radiologiebefunde in öffentlichen Spitäler in Wien und Graz in einem online abrufbaren System. Zurückliegende Krankheitsdokumentationen werden nicht erfasst. Alle an ELGA angeschlossenen Gesundheitseinrichtungen können im Behandlungsfall eines Patienten auf die Daten zugreifen. Zur gleichen Zeit geht auch das Patienten-Portal online, über das Bürger ihre Befunde und künftig auch Medikationen einsehen können.
Nervosität und Zuversicht
Vor dem Start in zwei Wochen herrscht Anspannung. „Mehrere Hundert Leute arbeiten aktuell daran, dass wir live gehen können. Ich bin zuversichtlich, dass alles klappt“, sagt ELGA-Geschäftsführerin Susanne Herbek im Gespräch mit der futurezone am Rande einer E-Health-Tagung der Agentur Conect in Wien. Bis heute bleibt die elektronische Verknüpfung von Gesundheitsdaten umstritten. Datenschützer warnen vor dem gläsernen Patienten und Sicherheitsgefahren, Ärztevertreter vor zusätzlicher Administration und Kosten.
Wiener Ärztekammer wartet ab
Auch die schärfsten Kritiker haben bei ihrer Wortwahl mittlerweile abgerüstet. Die Wiener Ärztekammer warnte 2011 noch mit nackten Werbesujets davor, dass ELGA Patienten „bloßstelle und das letzte Hemd kostet“. Auf Nachfrage der futurezone bei Thomas Szekeres, Präsident der Ärztekammer Wien, heißt es nun lediglich: „Man wird sehen, wie das Ganze technisch funktioniert und wie viel Zusatzadministration auf Ärzte zukommt. In Zeiten, in denen das Gesundheitssystem heruntergefahren wird, gibt es sicherlich bessere Investitionen als ein System, das Kollegen in einen Computer starren lässt anstatt mit Patienten zu reden“, sagt Szekeres.
Dem Aufruf des Österreichischen Hausärzteverband (ÖHV) Anfang 2014, sich von der Plattform abzumelden, sind bislang 225.000 Menschen gefolgt. Laut Herbek entspricht das gerade einmal 2,5 Prozent der Bevölkerung, nach 200.000 Abmeldungen im Anfangsjahr sank der Wert 2015 auf gerade einmal 25.000. Der Verunsicherung bei Patienten, aber auch Ärzten will man mit Informationskampagnen begegnen. In jedem Bundesland, in dem ELGA online geht, werden zudem Ombudsstellen eingerichtet, die unter anderem bei Datenschutzverletzungen zur Seite stehen.
Besserer Datenschutz
„Transparenz ist ein wesentlicher Teil des Datenschutzes. Als Patient zu sehen, welcher Arzt wann auf die eigenen Gesundheitsdaten zugegriffen hat, ist eine Art von Kontrolle, die es in der Form bisher nicht gab“, ist Herbek überzeugt. Darüber hinaus kann man neben dem Totalausstieg aus ELGA auch einzelne Befunde und Medikamente für die Einsicht sperren oder überhaupt löschen lassen. Der Zugriff auf Daten ist Ärzten zudem nur möglich, wenn ein Behandlungsverhältnis besteht“, so Herbek.
Medikamente ab 2016 erfasst
Ob die sogenannte E-Medikation, also die Erfassung von verschriebenen Medikamenten, schon 2016 österreichweit umgesetzt wird, steht noch in den Sternen. In der Region Deutschlandsberg findet im zweiten Quartal 2016 das Pilotprojekt statt, danach wird der Roll-out festgelegt. Auch sonst erfolgt der ELGA-Start schrittweise. Nach Wien und Steiermark folgen im ersten Halbjahr Niederösterreich und Kärnten mit einigen großen Krankenhausverbünden sowie den AUVA-Krankenanstalten. Ab Sommer 2016 sollen die verbliebenen Bundesländer angebunden werden.
Wie bereits berichtet, wurde die verpflichtende Teilnahme von niedergelassenen Ärzten und Apotheken auf Mitte 2017 verschoben. Ab Mitte 2016 können diese allerdings schon auf freiwilliger Basis mitmachen. Unter den niedergelassenen Ärzten herrschte seit jeher die größte Verunsicherung – etwa was die Zusatzkosten für technische Infrastruktur betrifft. Das Gesundheitsministerium hat eine Anschubfinanzierung in Aussicht gestellt, inwiefern Ärzte finanziell bei der Implementierung unterstützt werden, wird noch mit der Ärztekammer ausverhandelt werden.
Ärzte fürchten Administration
„Uns hat ja nie die Idee gestört, sondern die Rahmenbedingungen“, sagt Christian Husek, Sportmediziner und Gründer der Initiative ELGA. Am Anfang der Diskussion vor gut zehn Jahren habe es überhaupt keine Information und folglich riesige Verunsicherung gegeben. „Mittlerweile haben die Verantwortlichen zumindest verstanden, dass die Finanzierung, aber auch Themen wie Administrationsaufwand und Usability mit den Anwendern – in diesem Fall die Ärzte – besprochen und diskutiert werden müssen“, meint Husek im futurezone-Interview.
Theorie und Praxis
Den Mediziner ärgert zudem, dass in der Theorie längst etablierte Prozesse, wie die elektronische Übermittlung von Entlassungsbriefen von Krankenhäusern an Arztpraxen, in der Praxis immer noch nicht funktionieren. „In Wien schafft es weder die Gebietskrankenkasse noch das AKH Dokumente zeitnah zu überstellen. Wenn ich den Brief zehn Tage nach Entlassung des Patienten postalisch bekomme und weitere zwei Tage später auf elektronischem Weg, dann liegt unabhängig von ELGA vieles im Argen“, so Husek.
ELGA-Geschäftsführerin Herbek erhofft sich durch den Start von ELGA, dass genau solche Kommunikationsbrüche, die historisch und organisatorisch bedingt sind, überwunden werden. „Natürlich braucht es ELGA nicht, um Patienten zu behandeln. Wenn elektronische Medien helfen können, das Gesundheitssystem zu verbessern und auch die Gesundheitskompetenz von Patienten zu stärken, ist das nicht nur zeitgemäß, sondern in jedem Fall auch ein Gewinn“, ist Herbek im futurezone-Interview überzeugt.