Warum steigt die Blackout-Gefahr in Europa?
Am 8. Jänner 2021 kam es zu einem Beinahe-Blackout in Europa. Es gab im europäischen Stromnetz eine Netzauftrennung, die zu einem starken Frequenzeinbruch im nordwesteuropäischen Teil und somit auch in Österreich geführt hat. Südosteuropa war plötzlich von Kontinental-Europa abgetrennt worden.
Die genaue Ursache für diese Großstörung wird jetzt untersucht, es wurde aber von der Dachorganisation der Übertragungsnetzbetreiber ENTSO-E dokumentiert, wie die Netzbetreiber auf das Problem reagiert haben. Der Einsatz von Kraftwerken mit Erneuerbarer Energie soll bei dem Vorfall an und für sich keine Rolle gespielt haben. Doch bei künftigen Störfällen könnten diese jedoch sehr wohl mitmischen, wie der Blackout- und Krisenvorsorgeexperte Herbert Saurugg im Gespräch mit der futurezone erläutert.
"Es werden immer mehr konventionelle Kraftwerke ihr Laufzeitende erreichen. Wenn man erst dann neue baut, wenn es sich rechnet, ist es bereits zu spät."
Umbau der Erzeugungslandschaft
„Wir sind gerade dabei, unsere Erzeugungslandschaft umzubauen. Wir hatten bis vor wenigen Jahren noch einige Tausend Großkraftwerke in Europa. Mittlerweile sind Millionen Photovoltaik- und Windkraftwerke dazugekommen. Das wirkt sich auf die Vernetzung und Komplexität des Gesamtsystems aus und führt zu einem anderem Systemverhalten. Deshalb benötigt man ein anderes Design, ein Energiezellensystem mit funktionalen Einheiten, wo Erzeugung, Verbrauch und Speicherung regional in Einklang gebracht werden“, sagt Saurugg.
Bisher habe man zudem große Kraftwerksüberkapazitäten gehabt, die jedoch seit Jahren „massiv abgebaut“ worden seien. „In Deutschland steht der Atomausstieg bevor und das Ende der Kohlekraftwerke. Da werden bis Ende 2022 20 Gigawatt Leistung verloren gehen. Hinzu kommt, dass immer mehr konventionelle Kraftwerke ihr Laufzeitende erreichen und sich etwas Neues zu bauen unter den derzeitigen Rahmenbedingungen rechnet sich nicht mehr“, sagt Saurugg. „Wenn man erst dann neue baut, wenn es sich rechnet, ist es bereits zu spät. Das betrifft vor allem auch neue Speichersysteme, die für die Energiewende unverzichtbar sind.“
Gaskraftwerke als Lösung?
Deshalb wurden von diversen Energieversorgern auf einmal wieder Gaskraftwerke als potentielle Lösung des Problems ins Rennen gebracht. „Statt einer primär auf Strom fokussierten Energiewende braucht Österreich weiterhin die Vielseitigkeit aller Energieträger: Also vor allem auch speicherbares Gas und Fernwärme, um auch zukünftig gut durch den Winter zu kommen“, fordert Peter Weinelt, Obmann des Fachverbands Gas Wärme und stellvertretender Generaldirektor der Wiener Stadtwerke.
Die Klima- und Energieexpertin Jasmin Duregger von Greenpeace sieht dies anders. Aktuell werde die Angst der Bevölkerung geschürt, um auf einen Ausbau von klimaschädlichen Energieträgern wie Gas zu pochen, so die Klimaspezialistin. „Um den Übergang in eine grüne und klimaneutrale Zukunft zu sichern, muss der Ausbau der erneuerbaren Energien an intelligente Energiespeichersysteme geknüpft werden. Versorgungssicherheit und Klimaschutz dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden, sondern müssen gemeinsam gedacht werden,” so Duregger.
"Versorgungssicherheit und Klimaschutz dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden, sondern müssen gemeinsam gedacht werden."
Gerhard Christiner, technischer Vorstand der Austria Power Grid (APG), ordnet diese Aussagen im Gespräch mit der futurezone folgendermaßen ein: „Die Klimakrise ist das größte, existentielle Bedrohungsbild dieser Welt und wir müssen all unser Know-How reinstecken, damit wir den Weg mit 100 Prozent Erneuerbaren Energien gemeinsam gehen und unsere Kräfte bündeln. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien muss schneller werden, nicht langsamer. Aber wir brauchen dazu auch die Netzinfrastruktur.“
Erneuerbare Energien - und Netzausbau
Aus seiner Sicht liegt die Gefahr für einen Blackout in Europa nicht bei den neuen Energiesystemen, sondern darin, dass der Umbau des Energiesystems nicht „ganzheitlich“ betrachtet werde. „Wir wissen, dass der Netzausbau in Österreich viel zu langsam ist und der Umbau des Netzes viel zu lange dauert. Der Umbau auf Erzeugerseite geht viel schneller von sich. Thermische Kraftwerke werden abgeschaltet, im Ausbau von Wind und Photovoltaik ist viel mehr Dynamik drin. Die Versorger- und die Netzseite müssen gemeinsam umgebaut werden und das ist aktuell nicht gegeben“, warnt Christiner. Die APG ist in Österreich für die Netzsicherheit zuständig und hat beim aktuellen Vorfall am 8. Jänner dafür gesorgt, dass „nichts Schlimmeres“ passiert ist.
„Die großen Windparks werden nicht an der Stelle stehen, wo wir heute ein Gaskraftwerk haben. Der Einspeisepunkt ist ein anderer und hat daher ganz andere Effekte auf das Stromnetz“, beschreibt der technische Experte. „Wenn dieses Delta weiter auseinander geht, wird es Probleme geben. “Von einer konkreten „Blackout-Gefahr“ würde Christiner allerdings nicht sprechen. „Eher von einem steigenden Risiko“.
„Uns muss bewusst sein, dass wir hier ein System umbauen, von dem die gesamte Volkswirtschaft abhängig ist.“
Problem der Speicherung
Der Umbau der Erzeugerlandschaft sei aber sehr wohl eine „enorme Herausforderungen, die man nicht im Vorbeigehen macht“, so Christiner. „Uns muss bewusst sein, dass wir hier ein System umbauen, von dem die gesamte Volkswirtschaft abhängig ist.“
Erneuerbare Energien stehen seit dem Beginn vor dem Problem, dass sie nicht immer gleichermaßen verfügbar sind und dass es derzeit noch wenig Speichermöglichkeiten gibt. „Wir brauchen daher auch einen Ausbau bei den Speichersystemen. Wir wissen ja, dass wir im Sommer Überkapazitäten haben und im November und Dezember, wo oft tagelanger Nebel in den Niederungen liegt und der Wind fehlt, es zu wenig Strom gibt", sagt Christiner. Man brauche daher Systeme, die das ausgleichen können.
Österreich steht im Vergleich mit den deutschen Nachbarn, was Energiespeicher betrifft, jedoch noch „relativ gut“ da. „Wir sind eine Insel der Seligen“, sagt Saurugg. Das liege vor allem am stabilen Wasserkraftanteil. 3300 Gigawattstunden lassen sich in Österreich derzeit speichern. In Deutschland sind es gerade mal 40 GWh als Maximalwert. „Trotzdem brauchen wir weitere Speichermöglichkeiten. Dazu zählen auch Batteriespeicher, aber hier sei man auf Lieferungen aus dem Ausland abhängig.
„Der jüngste Vorfall war ein Warnsignal."
"Kein reines Glück"
„Wenn bei einem internationalen Run die Preise hochgehen, wird das nicht so funktionieren, wie wir uns das vorstellen“, meint Saurugg. Dieser sieht durch den Umbau auch die Komplexität wachsen und warnt vor „Kaskadeneffekten“ bei Störfällen. Ergo: Er fürchtet, dass wie das Beispiel am 8. Jänner gezeigt hat, eine kleine Ursache zu verheerenden Auswirkungen führen kann, wenn die Sicherheitsmaßnahmen einmal nicht mehr rechtzeitig greifen sollten.
Aktuell habe man genügend Kraftwerke in Österreich, die man bei Engpässen aktivieren könne, beruhigt Christiner von der APG. Christiner gibt sich insgesamt auch weitaus optimistischer, was die Zukunft betrifft. „Der jüngste Vorfall war ein Warnsignal. Wir müssen uns an dieser Stelle fragen, wie wir den Weg des Totalumbaus unseres Energiesystems weitergehen wollen. Dass nichts passiert ist, war aber kein reines Glück, sondern das verdanken wir einer intensiven Arbeit der Übertragungsnetzbetreiber. Die Auswertungen des Vorfalls zeigen, dass hier in ganz Europa solidarisch ein Beitrag geleistet wurde“, sagt der APG-Vorstand.