Was die EU-Urheberrechtsreform bedeutet: 13 Fragen und Antworten
Mitte Februar hat die
EU nach langen Verhandlungen eine Reform der Urheberrechtsrichtlinie beschlossen. Lobby-Gruppen aller Fronten haben in den vergangenen Monaten davor versucht, Einfluss auf die Gesetzgebung zu nehmen. In der beschlossenen, finalen Version vorgesehen sind Upload-Filter und ein Leistungsschutzrecht. Wir geben einen Überblick über die Maßnahmen und ihre potentiellen Konsequenzen.
Was sind Upload-Filter und wo gelten sie?
Upload-Filter sind technische Maßnahmen, mit denen Online-Plattformen während des Hochladens von Nutzerinhalten wie Bilder, Texte, Videos oder Musik prüfen, ob Material urheberrechtlich geschützt ist oder nicht. Davon betroffen sind Plattformen, die nutzergenerierte Inhalte veröffentlichen. Sollte ein Gericht feststellen, dass eine Plattform keine ausreichenden Maßnahmen ergriffen hätte, sei sie für die Urheberrechtsverletzungen haftbar.
Es gibt lediglich Ausnahmen für Unternehmen, die jünger als drei Jahre sind mit einem Umsatz von weniger als zehn Millionen Euro pro Jahr und mit weniger als fünf Millionen Nutzern pro Monat. Alle drei Kriterien müssen zutreffen. Vor diesem Kompromiss wollte Deutschland erreichen, dass Kleinunternehmen und Start-ups von der Pflicht ausgenommen werden, bei ihnen bereitgestellte Inhalte zu filtern. Dies lehnte Frankreich ab und so kam es zu dem Kompromiss.
Wo liegt das Problem?
Solche Technologien können nicht zwischen rechtsverletzenden und legalen Werknutzungen unterscheiden. Zur legalen Werknutzung zählt etwa das Hochladen von Inhalten, die vom Urheber für bestimmte Zwecke frei zur Verfügung gestellt wurden. Es könnten aber auch versehentlich Inhalte blockiert werden, die vom Zitatrecht Gebrauch machen. Technische Filter können zudem keine Satire erkennen. Auch Bilder und Videos, die etwa für Memes oder Parodien verwendet werden, könnten automatisch als Urheberrechtsverstoß ausgefiltert werden.
Haben nicht bereits alle großen Plattformen derartige Filter im Einsatz?
Ja. Und daran sieht man bereits jetzt, dass Upload-Filter nicht immer treffsicher sind und es immer wieder zu ungerechtfertigten Urheberrechtsverletzungsansprüchen kommt. Bei
YouTube kommt etwa das System „Content ID“ zum Einsatz, das eine Art „digitales Wasserzeichen“ in den Videos generiert und diese beim Hochladen mit einer Datenbank abgleicht. So wurde auf YouTube im Jahr 2015 etwa ein Video gesperrt, das nichts außer Katzenschnurren enthalten hatte. Das Content-ID-System hielt das Katzenschnurren für einen Teil des Songs „Focus“, der auf EMI erschienen ist. Zuletzt gab es einen Urheberrechtsstreit um „weißes Rauschen“, das ein Musik-Technologie-Spezialist selbst aufgenommen und auf YouTube veröffentlicht hatte.
Wem bringen Upload-Filter etwas?
Davon profitieren voraussichtlich große Plattformen, die bereits Filtersysteme im Einsatz haben, wie etwa
Google mit Content ID und Facebook. Für Start-ups, die als Geschäftsmodell auf nutzergenerierte Inhalte setzen möchten, ist die neue Regelung insofern hinderlich, als dass sie zwar am Anfang noch nicht betroffen sein werden (wegen der Ausnahmebestimmungen), aber wenn sie wachsen möchten, der Erwerb von Upload-Filtern unweigerlich erforderlich wird. Upload-Filter behindern also den Wettbewerb und stärken die großen Plattformen, die diese Technologien bereits besitzen. Wie die Filter konkret implementiert werden, ist allerdings nicht bekannt.
Wem schaden Upload-Filter? Warum weisen so viele Organisationen und Web-Entwickler auf die Gefahren hin?
Sehr viele Internet-Experten und Internet-Pioniere warnten vor der Einführung, darunter etwa der Wikipedia-Mitbegründer Jimmy Wales und WWW-Erfinder Tim Berners-Lee. Sie haben sich in einem offenen Brief dagegen ausgesprochen, weil sie aus dem offenen Internet "ein Werkzeug für die automatisierte Überwachung und Kontrolle der Nutzer machen“. Künftig bestimmen große Plattformen wie Facebook oder Google noch mehr, welche Inhalte durch den Filter kommen und welche nicht. Damit werde die Rechtsdurchsetzung weiter privatisiert. Eine solche Infrastruktur hätte zudem massivere Auswirkungen auf die Meinungsfreiheit.
Bringen Upload-Filter den Urhebern etwas?
Sie verhindern, dass urheberrechtlich geschützte Inhalte unrechtmäßig im Netz verbreitet werden, aber sie verfehlen das eigentliche Ziel einer Urheberrechtsreform, nämlich Urhebern zusätzliche Einnahmen zu verschaffen.
Was ist das
Leistungsschutzrecht?
Das Leistungsschutzrecht sieht vor, dass Aggregatoren wie etwa Google News oder Facebook sogenannte Snippets, beispielsweise Titel und Anreißer von Artikeln, in ihren Suchergebnissen nicht mehr kostenlos anzeigen dürfen. Es dürfen lediglich einzelne Wörter oder "ganz kurze Ausschnitte" ausgespielt werden. Das Recht soll bis zu fünf Jahre nach der Publikation gelten.
Wer ist davon betroffen?
Mit dem Leistungsschutzrecht müssten Anbieter Verlage dafür bezahlen, damit sie deren Inhalte in Kurzzusammenfassung bereitstellen können. Betroffen sind Plattformen, die Snippets als Vorschau zu einem Link anzeigen, die Artikel-Schlagzeile, ein kleines Vorschau-Bild und einen kleinen Textauszug beinhalten. Das sind etwa Google, Facebook, Twitter und Pinterest, aber auch Medienagenturen oder „Fact Checking“-Portale davon betroffen.
Was bedeutet das für die Nutzer von Social-Media-Diensten?
Die Verlinkung von Artikeln durch Privatpersonen gilt nach gängiger Rechtsprechung nicht als Veröffentlichung. Die Regeln greifen daher hier nicht. Das gilt auch, wenn Internet-Nutzer Links über Twitter oder über Facebook teilen. Für Blogger dürfte der Paragraf ebenfalls nach einer ersten Einschätzung keine Relevanz haben. Details zur Umsetzung sind allerdings noch unklar.
Wer profitiert davon?
Medienverlage wollen sich damit einen Anteil an den Werbeeinnahmen sichern, die Google und andere Plattformen mit Anzeigen rund um Teasertexte und Links zu Verlagsangeboten generieren. In der Praxis, ähnliche Gesetze gibt es bereits in Deutschland und Spanien, ist dieser Versuch allerdings bisher gescheitert. Bei Google kam es etwa zu einer Ausnahme-Vereinbarung, da die Verleger befürchteten, aus „Google News“ gänzlich gestrichen zu werden und damit wertvolle Klicks – und damit Werbeeinnahmen - auf ihre Medieninhalte zu verlieren. In Spanien hingegen gibt es Google News nicht mehr.
Google sprach sich im Vorfeld vehement gegen das Leistungsschutzrecht aus. Aus der Sicht des Tech-Riesen würden Verlage von den Verlinkungen profitieren und ohne Verlinkungen würden sie weniger Werbeeinnahmen erzielen. Google rechnete in einem Beispiel sogar vor, dass News-Websiten einen Traffic-Verlust bei ihren Online-Plattformen in Kauf nehmen müssen, sollte das Leistungsschutzrecht tatsächlich eingeführt werden.
Kleine Autoren profitieren gar nicht vom Leistungsschutzrecht. Aus Deutschland ist bekannt, dass etwa 64 Prozent der Gesamteinnahmen an den Axel-Springer-Verlag gehen würden. Zahlen aus Österreich sind dazu keine bekannt.
Wem schadet das Leistungsschutzrecht? Warum ist es laut Kritikern gar eine Gefahr fürs Internet?
Die Reform soll zwar vor allem die großen Suchmaschinen betreffen, bringt aber eines der grundlegenden Prinzipien des Internets ins Wanken, wie Kritiker warnen: Die Verlinkung von Information. Diese Struktur ist die Basis des Netzes. Wenn Suchmaschinen nicht bereit sind, für die Snippets zu zahlen, müssen sie diese aus ihrem Dienst entfernen.
Werden zusätzlich zu den Links künftig keine Snippets mehr angezeigt, die zeigen, was sich dahinter verbirgt, wird damit die Tür zur Desinformation weiter geöffnet. Nutzer können dadurch nicht mehr unterscheiden, ob sich hinter einem Link eine legitime Quelle verbirgt oder Fake News. Wenn Snippets von Medien- und Verlagshäusern für Plattformen kostenpflichtig werden, könnte dies außerdem einen Boost für viele weniger vertrauenswürdige Websites sein, die gezielt Fake News verbreiten.
Warum wollen Verleger das Leistungsschutzrecht?
Viele Nutzer begnügen sich mit den bereitgestellten kurzen Textanrissen und gehen gar nicht mehr auf die Internetseiten der Medien. Die Verlage argumentieren deshalb, ihnen stehe eine Vergütung zu.
Wie geht es jetzt weiter?
Mitte Februar haben sich EU-Rat, EU-Parlament und die EU-Kommission auf den finalen Gesetzestext geeinigt, in dem sowohl die Upload-Filter als auch das Leistungsschutzrecht integriert sind. An dem Text ist jetzt nichts mehr zum Rütteln. Die Einigung auf diesen finalen Text muss allerdings noch vom Parlament und den EU-Staaten bestätigt werden. Das EU-Parlament entscheidet voraussichtlich im März oder April im Plenum darüber und kann der Reform entweder als Ganzes zustimmen oder sie ablehnen. Weil die Debatte so aufgeladen ist, könnte die Reform hier noch scheitern. Stimmen beide Seiten zu, haben die EU-Länder zwei Jahre Zeit, die neuen Regeln in nationales Recht umzuwandeln.
Juristen befürchten, dass die Frage der Upload-Filter den Europäischen Gerichtshof (EuGH) beschäftigen wird, weil sie die unternehmerische Freiheit der Plattformbetreiber (Art. 16 Grundrechte-Charta) und die Meinungsfreiheit der Nutzer (Art. 11 Grundrechte-Charta) verletzen könnte und die Filter damit grundrechtswidrig sein könnten. Auch in der Frage des Leistungsschutzrechts ist noch vieles rechtlich unklar. Die deutsche Version beschäftigt seit Jahren die dortigen Gerichte.