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Cyber-Gewalt gegen Frauen: Das Smartphone als Tatwaffe

Die Digitalisierung und komplette Vernetzung des Alltags verschafft Menschen viele neue Möglichkeiten, nicht alle sind aber positiv. In manchen bestehenden oder abgebrochenen Beziehungen werden technologische Mittel verwendet, um Frauen zu überwachen, zu kontrollieren, zu bedrohen, zu erpressen und zu erniedrigen. In der von der FFG finanzierten Studie "(K)ein Raum: Cyber-Gewalt gegen Frauen in (Ex-)Beziehungen" der FH Campus Wien wird die Rolle von Technologien bei Gewalt in Intimbeziehungen nun untersucht.

Der Titel (K)ein Raum soll zeigen, dass Betroffene nur erschwert einen sicheren Raum vorfinden, wo sie vor Cyber-Gewalt geschützt sind. Smartphones, soziale Netzwerke und andere Online-Dienste sind allgegenwärtig. In der Studie werden betroffene Frauen, sowie Sozialarbeiter*innen, Polizist*innen und Jurist*innen dazu befragt, wie sie Cyber-Gewalt erleben und damit umgehen.

Ständige Überwachung möglich

"Eine der Fragen dabei ist, welche Formen von Cyber-Gewalt Frauen erleben", erklärt Magdalena Habringer vom Kompetenzzentrum für Soziale Arbeit der FH Campus Wien. Eine Form ist etwa die ständige Überwachung des Aufenthaltsortes. "Durch Geräteortungsfunktionen, die auf jedem Smartphone vorinstalliert sind, kann man ganz einfach den Standort feststellen. Die Betroffene weiß das manchmal gar nicht." Weitere, wenngleich seltener eingesetzte Möglichkeiten, sind so genannte "Stalkerware", die auf Smartphones installiert wird, um Positiondaten zu übermitteln, oder gar versteckte GPS-Tracker.

Obwohl es oft so sei, dass Partner Zugriff auf Smartphones von Frauen haben, sei dies in vielen Fällen gar nicht notwendig, um sie zu überwachen, erklärt Andrea Hoyer-Neuhold vom Zentrum für Sozialforschung und Wissenschaftsdidaktik, einem der Kooperationspartner des Projekts: "Der Verlauf zurückgelegter Routen im Autonavigationssystem lässt sich leicht zurückverfolgen. Ihn zu löschen, ist dagegen schwierig und kann gefährlich für die Betroffene werden, wenn der Gefährder das Löschen bemerkt."

Bedrohung an allen Orten

Eine andere Form der Cyber-Gewalt sind Drohungen. "Die sind grundsätzlich sehr sexualisiert", erklärt Habringer. "Häufig wird nach einer Trennung gedroht, intimes Material zu verbreiten, etwa Nacktfotos." Aber auch die Androhung von körperlicher Gewalt kann Frauen durch Smartphones jederzeit erreichen. "Etwa 'Wenn du nicht sofort abhebst, werde ich dir etwas antun'. So etwas kann unabhängig von Aufenthaltsort oder Zeit ausgesprochen werden." Hoyer-Neuhold: "Die Krux ist, dass ein Smartphone so ein persönliches Gerät ist. Man verwendet es so oft am Tag und gleichzeitig ist es ein Bedrohungsmittel. Das verengt den eigenen Raum stark."

Wenn Frauen über ihr Smartphone bedroht oder in sozialen Netzwerken kontrolliert werden, führt dies oft dazu, dass sie sich davon zurückziehen. Dadurch werden oft auch andere soziale Kontakte eingeschränkt. Wenn sie einen technischen Schritt zur Gegenwehr setzen, etwa Passwörter ändern, kann das ihre Gefährdung erhöhen. Cyber-Gewalt sei oft mit anderen Formen von Gewalt gekoppelt, wie zum Beispiel körperlicher Gewalt, erklären die Forscherinnen.

Magdalena Habringer (FH Campus Wien), Sanda Messner (ZSW) und Andrea Hoyer-Neuhold (ZSW) erforschen Cyber-Gewalt gegen Frauen

Psychoterror im Smart Home

Das Smartphone ist das Gerät, das am meisten im Zusammenhang mit Cyber-Gewalt an Frauen genannt wird. "Ein Smartphone können wir alle bedienen, wir tragen es immer bei uns und es ist das Gerät, über das man potenziell am besten Bescheid weiß, wie man es missbrauchen könnte", sagt Habringer. Cyber-Gewalt könne aber auch mit anderen Geräten angewendet werden. "Smart-Home-Geräte werden mittlerweile dazu verwendet, um Psychoterror auszuüben, etwa um Personen abzuhören oder mitten in der Nacht die Musik laut aufzudrehen." Verbreitet sei dies aber noch nicht.

Mitteilen schwierig

Welche Erfahrungen Sozialarbeiter*innen, Polizist*innen oder Jurist*innen mit Cyber-Gewalt haben, wird im Rahmen der Studie - die bis Ende 2022 läuft - erst erhoben. Von Seiten der betroffenen Frauen ist das Mitteilen ihrer Betroffenheit von Cyber-Gewalt sehr schwierig, wissen die Forscherinnen. Habringer: "Von Frauen wird erwartet, dass sie alles dokumentieren, was ihnen widerfährt. Diese Beweissicherung ist sehr herausfordernd. In vielen Fällen braucht der Täter nur Andeutungen zu machen, und das Opfer weiß, was gemeint ist. Oft fehlt auch die Kraft dafür, Beweise zu sichern."

"Der erste Impuls vieler betroffener Frauen ist es, schlimme Nachrichten zu löschen", meint Hoyer-Neuhold. Für die Beweissicherung müssten sich Frauen auch noch damit auseinandersetzen, wie sie Nachrichten speichern, ohne dass dies dem (Ex-)Partner auffällt - denn das würde neues Potenzial für Übergriffe schaffen. "

Nicht als reale Gefahr wahrgenommen

"Es ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, das Gewalt im Online-Raum nicht als reale Gewalt wahrgenommen wird", sagt Habringer. "Heute gibt es immer mehr Bewusstsein. Es gibt die Gesetze gegen Hass im Netz. Das ist nicht schlecht, aber es gibt immer noch wenige Anzeigen, wenige Verurteilungen. Wir vermuten, dass das Problem bzw. die rechtlichen Möglichkeiten noch zu wenig bekannt sind, auch bei Betroffenen." Zudem deckt eine Anzeige oft nicht die Bedürfnisse der Betroffenen ab - die meisten wollen einfach in Ruhe und in Sicherheit leben und sich nicht mehr mit dem gewalttätigen (Ex-)Partner auseinandersetzen müssen - auch nicht vor Gericht.

Sich jemandem anvertrauen

Als Tipp für Frauen, die von Cyber-Gewalt betroffen sein könnten, raten beide Forscherinnen: "Vertrauen Sie auf das eigene Gefühl. Wenn sich etwas komisch anfühlt, nehmen Sie es ernst und vertrauen Sie sich einer nahestehenden Person an, wenn möglich." Besonders Cyber-Gewalt trete oft diffus in Erscheinung, sagt Habringer: "Man denkt sich vielleicht: Mir kommt das komisch vor, dass mein Freund immer weiß, was ich mit meiner Schwester am Telefon besprochen habe. Woher weiß er so viel?" Hier solle man seinem Instinkt vertrauen und sich nicht für verrückt erklären lassen. Wichtig ist zudem, eine Beratungsstelle aufzusuchen, um gemeinsam mit psychosozialen Berater*innen die Gefährdungslage einzuschätzen und einen Sicherheitsplan zu erstellen. Einen Überblick über vorhandene Beratungsstellen gibt etwa die Webseite gewaltinfo.at.

Das Forschungsprojekt läuft nun noch ein Jahr lang und soll neben den Perspektiven der Betroffenen und der erwähnten Berufsgruppen auch eine Analyse von Anzeigedaten bzw. ein Konzept zur Entwicklung eines technischen Hilfetools hervorbringen.

Dieser Artikel ist im Rahmen einer Kooperation zwischen futurezone und FH Campus Wien entstanden.

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David Kotrba

Ich beschäftige mich großteils mit den Themen Energie, Mobilität und Klimaschutz. Hie und da geht es aber auch in eine ganz andere Richtung.

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