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Gemeinsam gegen mentale Probleme bei Jugendlichen

„Wir wissen aus Untersuchungen, dass rund 20 Prozent der Jugendlichen in Österreich unter psychischen Problemen leiden. Und je ärmer Haushalte sind, desto schwieriger ist der Zugang zum Gesundheitsversorgungssystem“, erklärt FH-Prof. Andreas Bengesser. Er ist Leiter des Forschungszentrums Soziale Arbeit (FORSAR) an der Hochschule Campus Wien (HCW).

Im Rahmen des Projekts PsyConnect berät und begleitet FORSAR das Österreichische Jugendrotkreuz (ÖJRK) dabei, die psychosoziale Gesundheit von Jugendlichen aus armuts- und ausgrenzungsgefährdeten Lebenslagen nachhaltig zu stärken. Dies erfolgt durch die gemeinsame Entwicklung wirkungsorientierter Angebote für betroffene junge Menschen im ganzen Land.

Wirkungsorientierung als Schlüsselprinzip

Anstatt zuerst zu überlegen, welche Angebote eine Organisation umsetzen könnte, steht bei PsyConnect die Frage im Vordergrund, welchen konkreten Effekt bzw. welche Wirkung diese Angebote erzielen sollen. „Was wollen wir im Leben der Jugendlichen verändern? Wollen wir erreichen, dass sie nur über psychische Erkrankungen Bescheid wissen oder dass sie auch wissen, wohin sie sich wenden können, wenn sie Hilfe brauchen?“, erklärt FH-Prof. Peter Stepanek. Er leitet den Studiengang Sozialwirtschaft an der Hochschule Campus Wien und ist Teil des Projekts PsyConnect.

Wirkungsziele zu formulieren und diese auch zu überprüfen, soll die Treffsicherheit sozialer Angebote erhöhen. „Für die meisten Sozialorganisationen sind solche Analysen zu aufwendig und mit hohen Kosten verbunden“, ergänzt Stepanek.

Deshalb wird diese Arbeit von den Forscherinnen und Forschern der Hochschule Campus Wien durchgeführt. Gefördert wird PsyConnect von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG), es läuft noch bis Ende Februar 2027.

Verschiedene Bewältigungstypen

Um wirkungsorientierte Angebote zu entwickeln, muss man die Lebensrealitäten und Herausforderungen der Jugendlichen verstehen. Deshalb beginnt PsyConnect mit einer umfassenden Problemanalyse.

„Dana Pajkovic, Forscherin in unserem Team, hat 11 Interviews mit jungen Menschen im Alter von 13 bis 21 Jahren geführt. Alle Interviewten haben familiäre Instabilitäten gemeinsam – meistens begleitet von Scheidungserfahrungen oder Erkrankungen von Elternteilen, einer unzureichenden materiellen Ausstattung oder Gewalt“, erläutert Bengesser.

Andreas Bengesser leitet das Forschungsprojekt PsyConnect.

Die Interviews zeigen unterschiedliche Strategien, wie Jugendliche mit belastenden Lebenslagen umgehen. Manche ziehen sich zurück und schweigen, andere suchen Stabilität bei vertrauten Bezugspersonen wie Nachbarn oder Lehrkräften. Einige kompensieren ihre schwierige Situation durch überdurchschnittliche schulische Leistungen, während andere schulische Anforderungen als angstbesetzt erleben. 

Es gibt Jugendliche, die räumliche und emotionale Distanz zur Familie schaffen, um Selbstbestimmung zu erlangen – oft markiert ein Umzug ins Internat diesen Wendepunkt. Wieder andere bewältigen Herausforderungen wie Migrationserfahrungen, Behinderung oder Armut pragmatisch, indem sie institutionelle Unterstützung aktiv aufsuchen, soziale Netzwerke nutzen und Belastungen rational als Teil des Alltags verarbeiten.

7 zentrale Themen aus den Interviews

Die Interviews zeigen deutlich, wie vielfältig die Herausforderungen im Alltag der Jugendlichen sind, so Saskia Ehrhardt, ebenfalls Forscherin im Projekt. 7 Themenbereiche prägen ihre Lebensrealität: Schule, Migrationserfahrungen, Familie, Wohnumfeld, psychische Verfasstheit, materielle Ausstattung und Identität.

Dabei geht es um schulische Leistungsanforderungen und soziale Belastungen, Erfahrungen mit Diskriminierung und Sprachbarrieren, komplexe familiäre Dynamiken sowie die Stabilität des Wohnumfelds. Hinzu kommen das subjektive Wohlbefinden, finanzielle Unsicherheiten und die Entwicklung eines stabilen Selbstbildes. Diese Themen verdeutlichen, wie eng soziale, materielle und psychische Faktoren miteinander verwoben sind und wie wichtig es ist, Unterstützungsangebote ganzheitlich auszurichten.

Gemeinsam Ideen finden

Im nächsten Schritt geht es darum, aus den gewonnenen Erkenntnissen konkrete Ansätze für Unterstützungsangebote zu entwickeln. Dafür führt die Hochschule Campus Wien mehrere Workshops mit Fachleuten des ÖJRK durch. „Wir diskutieren gemeinsam, ob die identifizierten Themen mit den praktischen Erfahrungen der Kolleginnen und Kollegen übereinstimmen“, erklärt Stepanek.

Darüber hinaus bringt er seine Expertise zur wirkungsorientierten Projektplanung ein. „Bei bestehenden Projekten lässt sich die Wirkung mithilfe sogenannter Wirkungsketten plausibilisieren. Bei PsyConnect wird jedoch der umgekehrte Weg gewählt: Mit dem sogenannten Backward-Mapping wird vom gewünschten Endergebnis aus rückwärts geplant. Auf Basis der gewünschten Wirkungen konzipiert das ÖJRK ein neues Angebot.“

Peter Stepanek leitet den Studiengang Sozialwirtschaft an der Hochschule Campus Wien.

Nah am Alltag der Jugendlichen dran

Im dritten Schritt unterstützt das Forschungsteam das ÖJRK bei der systematischen Bewertung der entwickelten Ideen. Dabei sollen auch die Jugendlichen selbst einbezogen werden, um sicherzustellen, dass die Angebote tatsächlich zu ihren Bedürfnissen passen. „Das große Stichwort ist Lebensweltorientierung“, betont Stepanek. 

Die Schule sei zwar ein wichtiger Ort, um Kontakt herzustellen, aber nicht, um Angebote durchzuführen. „Es braucht einen geschützten Rahmen, der leicht erreichbar ist – notfalls auch ohne Zustimmung der Eltern“, ergänzt der Forscher. Besonders in ländlichen Regionen zeigt sich eine große Herausforderung: die eingeschränkte Mobilität. „Das ist ein entscheidender Faktor, den wir berücksichtigen müssen“, sagt Bengesser.

Prototypisches Angebot als Ziel

Am Ende des Projekts soll ein Prototyp für ein konkretes Förderangebot feststehen. „Wir orientieren uns dabei an Methoden des Service Design Thinking. Ein Prototyp ist ein erster Entwurf, der gemeinsam mit Jugendlichen getestet und evaluiert wird – er darf noch Ecken und Kanten haben“, erklärt Stepanek.

Erst nach einer Testphase mit einer kleinen Gruppe und gegebenenfalls Anpassungen wird das Angebot skaliert. „Unser Ziel ist eine schrittweise, fundierte Entwicklung, die ein Angebot hervorbringt, das den Jugendlichen wirklich hilft.“

Dieser Artikel ist im Rahmen einer Kooperation zwischen der Hochschule Campus Wien und der futurezone entstanden.

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