Kontroverse um gigantisches "tropisches Ozonloch"
Vor Kurzem hat Qing-Bin Lu mit einer wissenschaftlichen Arbeit Aufsehen erregt. Der Professor für Physik und Astronomie an der Universität Waterloo in Ontario, berichtet darin von einem neuen Ozonloch.
Das Ozonloch befinde sich über den Tropen. Es soll 7-mal größer als das Ozonloch über der Antarktis sein, das sich immer im Frühling öffnet. Im Gegensatz zum Ozonloch der Antarktis, sei das von ihm entdeckte nicht saisonal, sondern das ganze Jahr über vorhanden. Es könne dazu führen, dass sich die ultraviolette Strahlung auf 50 Prozent der Erdoberfläche erhöht.
Das würde Milliarden Menschen betreffen. Bis zu 50 Prozent der Menschheit sollen im Einflussbereich dieses Ozonlochs leben. Die höhere Dosis UV-B-Strahlung würde bei Menschen zu mehr Hautkrebs und Fällen von Grauen Star führen, sowie das Immunsystem schwächen. Ernteeinträge würden zurückgehen und das empfindliche Ökosystem im Meer gestört werden.
„Es gibt kein tropisches Ozonloch“
Kurz nachdem die Studie im Fachjournal AIP Advances veröffentlicht wurde, kritisierten sie mehrere Wissenschaftler*innen. „Ich bin überrascht, dass diese Studie überhaupt veröffentlicht wurde“, sagt etwa Martyn Chipperfield, Professor für atmosphärische Chemie an der Universität Leeds gegenüber Science Media Centre. „Es gibt keine andere Studie, die über so große Ozon-Veränderungen in den Tropen berichtet. Das macht mich sehr misstrauisch. Die Wissenschaft sollte sich nie nur auf eine Studie verlassen.“
„Es gibt kein tropisches Ozonloch“, sagt Paul Young, Wissenschaftler an der Universität Lancaster gegenüber Livescience.com. Er begründet auch warum: „Der Autor hat sich die relative statt der absoluten Veränderung angesehen, wobei zweitere die viel größere Relevanz dafür hat, wie viel UV-Strahlung an der Erdoberfläche ankommt.“
So wird ein Ozonloch definiert
Die derzeit gängige Definition eines Ozonlochs ist, wenn die Werte unter 220 Dobson fallen. Dobson ist eine Maßeinheit, die die Konzentration von Ozon in einer Reihe von Luft angibt, die von der Planetenoberfläche bis ins Weltall reicht. Je geringer die Dobson-Anzahl, desto weniger Ozon ist vorhanden und desto mehr gefährliche UV-Strahlung kommt auf der Erde an.
Lu hat für seine Studie das tropische Ozonloch aber anders definiert. Für ihn ist es ein Ozonloch, wenn die Ozon-Konzentration in dieser Gegend um mehr als 25 Prozent fällt, gegenüber der unbeeinflussten Atmosphäre. Er begründet das damit, dass die Ozonlöcher über dem Nordpol einen Verlust von etwa 25 Prozent bei der Ozonkonzentration aufweisen – deshalb sei seine Definition eines Ozonlochs valide. „Mit der konventionellen Definition würde das tropische Ozonloch nie bemerkt werden, weil die Werte dort nicht unter 220 Dobson fallen“, sagt Lu zu Livescience.
Mögliche Erklärung
Marta Ábalos Álvarez, von der Complutense-Universität in Madrid, hat eine mögliche Erklärung für die geringeren Ozonwerte in den Tropen. In der tropischen Stratosphäre gibt es ein Phänomen, das Brewer-Dobson-Zirkulation genannt wird. Dabei handelt es sich um ein globales Muster, bei dem die Luftzirkulation das Ozon aus den Tropen Richtung der Pole drückt. Dieser Effekt sei durch die Erderwärmung in den vergangenen Jahren verstärkt worden und würde den Rückgang des Ozons über den Tropen erklären.
„Meiner Meinung nach fehlt der Studie die wissenschaftliche Gründlichkeit, um ein verlässlicher Beitrag zur Wissenschaft zu sein. Sie enthält viele Argumente mit ernsthaften Fehlern und unbegründeten Behauptungen, die früheren Resultaten, die wissenschaftlich untermauert sind, widersprechen“, sagt Ábalos Álvarez.