Von Insekten inspirierte Beschichtung soll Gebäude kühlen
Auf einer immer heißer werdenden Erdoberfläche steigt der Bedarf nach Kühlung enorm. Momentan werden 10 Prozent des weltweiten Stroms für Klimaanlagen aufgewendet, Tendenz stark steigend.
Mit speziellen Farben und anderen Beschichtungen kann man Wärme aber ohne Stromverbrauch in den Weltraum abstrahlen lassen. Wie das funktioniert, zeigen unter anderem Insekten.
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Ameise und Käfer wissen, wie man kühl bleibt
Die Silberameise hat Härchen aus Chitin, die Sonnenstrahlung gut reflektieren und die Abgabe von Wärme erleichtern. Der Cyphochilus-Käfer aus Südostasien hat einen Chitinpanzer mit einer Oberflächenstruktur, die durch mikroskopische Formen Licht streut. Diese Eigenschaften der Insekten seien perfekt für die so genannte "passive Tageskühlung" (Passive Daytime Radiative Cooling, PDRC), erklärt der Chemiker Markus Retsch von der Universität Bayreuth.
Mit einem Team forscht Retsch daran, wie man sich die Prinzipien der Natur zunutze machen kann, um Strahlung von der Sonne zurück in den Weltraum zu schicken und um Oberflächen auf der Erde kühler als ihre Umgebung zu halten. Das Chitin der Insektenpanzer sei laut dem Wissenschaftler ideal, um Hitze von einer Oberfläche zu emittieren. "Chitin ist aber ein sehr fester Stoff. Man kann dieses natürlich vorkommende Polymer nur schwer auflösen. Es schützt Insekten oder Schalentiere gut, aber ist schwer zu verarbeiten."
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Chitosanfilm auf spiegelnder Oberfläche
Es gibt aber eine Abwandlung von Chitin, die sich sehr gut bearbeiten lässt: Chitosan. Der Stoff wird meist aus Abfällen in der Lebensmittelerzeugung (z.B. Shrimps) hergestellt, kann aber auch mit Hilfe von Pilzen gewonnen werden. Eingesetzt wird Chitosan als Konservierungsmittel in der Lebensmittelindustrie, als Pestizid in der Landwirtschaft, als Desinfektionsmittel in der Medizin oder in der Trinkwasseraufbereitung.
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Die Forscherinnen und Forscher haben einen dünnen Film aus Chitosan entwickelt, der auf ein spiegelndes Material aufgetragen wird. "Der Chitosanfilm ist transparent, das Sonnenlicht geht einfach durch. Für passive Kühlung brauchen wir einen Spiegel, sonst würden sich die darunter liegenden Oberflächen aufheizen", sagt Retsch.
Auf einem Hausdach wurden Experimente durchgeführt, bei dem der Film in unterschiedlicher Dicke aufgetragen wurde. Wie sich zeigte, nimmt die Temperatur eines Spiegels tagsüber um 1 bis 3 Grad ab, wenn er beschichtet wurde.
Chipspackungen statt Glas und Aluminium
Statt Aluminium-Glasspiegeln kann man andere gut spiegelnde Materialien verwenden, wie etwa so genannte Aluminium-Kunststoff-Verbundfolien. Sie sind den meisten Menschen von Chips-, Kaffee- oder Saftverpackungen bekannt. Weggeworfene Folien könnten als Basis für die passive Kühltechnologie dienen.
Beschichtete Jalousien und Markisen
Wichtig sei laut Retsch jedenfalls, dass die passiv kühlenden Materialien nach oben zum Weltraum hin ausgerichtet seien. Nur so kann die Wärmestrahlung ins All entweichen und ein maximaler Kühleffekt erzielt werden.
Wo könnte man die kühlenden Spiegel künftig einsetzen? Ideal seien Markisen oder Jalousien, meint der Forscher. Sie könnten nach schräg oben ausgerichtet werden und nur bei Bedarf eingesetzt werden, denn: "Man sollte im Blick haben, dass diese Flächen immer kühlen. In Europa ist das im Winter vielleicht nicht so sehr gewünscht. Aber Jalousien kann man einfahren, dann fällt der Effekt weg."
Außerdem verwendet werden könnte die passive Kühlung auch, um die Effizienz von Klimaanlagen zu erhöhen. Flache Paneele auf Hausdächern von Bürogebäuden oder Einkaufszentren könnten dabei helfen, die Temperatur von Kühlflüssigkeit zu senken und so den Stromverbrauch von Split-Klimageräten zu reduzieren.
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Noch sind Hürden zu überwinden
Ein Problem bei dieser Idee ist die Haltbarkeit. "Unter freiem Himmel werden die Chitosan-Filme einer starken Beanspruchung durch die Umwelt ausgesetzt, etwa UV-Strahlung, Regen, Hagel", sagt Retsch. Chitosan ist aber leichter wasserlöslich. Man kann das Material chemisch zurück zu Chitin verwandeln. Dann ist der Film zwar wasserfest, aber spröde und blättert leicht ab. Chitin ist immerhin umweltverträglich, aber für den flächenmäßigen Einsatz ist dieser Effekt nicht ideal.
Wie man die Sprödheit des Chitins verringern kann, dazu sei weitere Forschung notwendig, sagt Retsch. Außerdem erforschen könnte man, wie man mikroskopisch kleine Strukturen in das Material bekommt, sodass seine Lichtstreuung maximiert wird - ähnlich wie bei den Cyphochilus-Käfern. Retsch: "Das wäre die beste Lösung. Dann könnte man diese Filme ohne Metallschicht darunter aufbringen. Das wäre auch für das Recycling geschickter."