Wie man Chitosan gewinnt, ohne Schalentiere zu töten
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr!
Chitosan kann für eine ganze Reihe unterschiedlichster Dinge verwendet werden. Unter anderem ist das natürliche Polymer in Wundauflagen verarbeitet, weil es antibakteriell wirkt und Pilzinfektionen eindämmt. Es wird in der Trinkwasseraufbereitung, in der Papierindustrie und für die Produktion von Kosmetika verwendet. In Verpackungen eingearbeitet, macht Chitosan Lebensmittel länger haltbar. In der Medizin kommt es u.a. als Arzneitransporter in der Krebstherapie zur Anwendung. Chitosan kann also viel, nur die Herstellung war bisher schwierig.
Krebse und Insekten
"Der Stoff ist eine Abwandlung von Chitin", erklärt Sabine Gruber vom Studiengang Bioengineering an der FH Campus Wien, Leiterin des von der FFG geförderten Forschungsprojekts Chitosan II. "Chitin befindet sich in den Schalen von Krustentieren, etwa Krebsen oder Shrimps, im Panzer von Insekten, aber auch in den Zellwänden von Pilzen." Üblicherweise werden also Krebse für die Nahrungsmittelindustrie gezüchtet und aus deren Schalen wird zum Teil Chitosan hergestellt. "Das ist ein extrem harscher chemischer Prozess", meint Gruber. Der Ressourcenaufwand sei zudem enorm. "Um ein Kilogramm Chitosan aus Schrimpsschalen zu erhalten, benötigt man etwa 6,3 Kilogramm Salzsäure, 1,8 Kilogramm Natronlauge und Tonnen von Wasch- und Prozesswasser.
Kontamination
Problematisch dabei ist auch, dass das gewonnene Chitosan für bestimmte Anwendungszwecke, wie z.B. als Verpackung von Lebensmitteln oder zur Verwendung in der Pharmakologie nicht rein genug ist. Im Falle von Chitosan aus Krustentierenschalen hat man es etwa mit Proteinkontamination zu tun. "Das ist ein potentielles Allergen und somit problematisch für diese Industriezweige", sagt Gruber. "Hinzu kommt noch, dass mittels chemischer Aufbereitungsmethoden, unter Verwendung von starken organischen Lösungsmitteln, sehr unspezifische Produkte generiert werden."
Pilze als Rohstoff
Bei einem neuen Verfahren sind Pilze das Ausgangsmaterial. "Pilze haben einen Chitin-Anteil in ihren Zellwänden. Der Anteil ist moderat, aber ein Pilz kann wahnsinnig viel Masse anhäufen." Durch gesteuerte Fermentation der Pilze wird besonders viel von deren Biomasse produziert. Mittels Enzymen wird Chitin abgeschieden und zu Chitosan modifiziert. "Das klingt zwar wie ein trivialer Prozess, ist es aber nicht. Unser Team setzt sich aus Expertinnen und Experten der Mikrobiologie und Prozesstechnik zusammen und befasst sich seit Jahren mit der Optimierung der Extraktion von Chitosan. Zunächst müssen wir Proteine aus der pilzlichen Biomasse entfernen und gleichzeitig von Fetten befreien. Am Schluss können wir ganz gezielt aus der verbleibenden Matrix Chitosan herstellen."
Hohe Reinheit
Das Produkt weist eine große Reinheit auf. Für das Verfahren muss man keine Tiere verarbeiten und es ist im Vergleich zum herkömmlichen Weg sehr ressourcenschonend. "Normalerweise müssen Schalen eingesammelt, gewaschen, zur Verarbeitung über weite Strecken transportiert und vermahlen werden. Unser Prozess ist standortunabhängig. Er kann im Ganzen vor Ort etwa in Industrieunternehmen durchgeführt werden." Das neue Verfahren ist über die "Proof of concept"-Phase hinaus. "Wir brauchen aber noch ein paar Jahre, bis der Prozess ohne Zwischenschritte und zu vertretbaren Kosten möglich wird."
Um zur notwendigen Masse an Chitosan zu kommen, müsse der Pilz in industriellem Maßstab fermentiert werden. Das sei natürlich eine Kostenfrage. "Vergleichbar ist das mit anderen 'grünen' Produkten. Sie sind besser und umweltschonender, dafür aber teurer", sagt Gruber. "Man sieht jetzt bereits, dass unser Produkt in speziellen Anwendungen wirksamer ist. Chitosan ist nicht gleich Chitosan."
Schädlingsbekämpfung
Neben der Anwendung in der Pharmazie gibt es für das Pilz-Chitosan ein großes Anwendungspotenzial in der Landwirtschaft. Der Nahrungsmittelkonzern Agrana begleitet die Forschung am neuen Verfahren schon seit Längerem. Als Verwertungspartner für das Projekt Chitosan II ist für die Agrana besonders die Bekämpfung von Schädlingen in der Zuckerrübenzucht interessant. "Mit Chitosan kann man bestimmte Pilze und Bakterien bekämpfen, bei denen herkömmliche biologische Pestizide nicht potent wirken."
Jahre zur Marktreife
Erfolgreiche Tests auf diesem Gebiet gab es bereits, aber bis zur Marktreife werde es noch ein paar Jahre dauern, meint Gruber. Der potenzielle Einsatz von Chitosan als Schädlingsbekämpfungsmittel komme aber genau zur richtigen Zeit. Einerseits habe die klimabedingte Trockenheit enorme Auswirkungen auf den Zuckerrübenanbau und mache die Feldfrüchte angreifbarer für Schädlinge, andererseits werde der Einsatz von Pestiziden immer stärker beschränkt. Gruber: "In Zukunft werden weniger Pestizide eingesetzt werden. An unserer Forschung gibt es deshalb großes Interesse. Wir bekommen viele Anfragen und wir sind sehr zuversichtlich, für die Zukunft einen immensen Beitrag in Richtung biologischer Pflanzenschutz zu leisten."
Dieser Artikel ist im Rahmen einer Kooperation zwischen futurezone und FH Campus Wien entstanden.
Kommentare