Wie der Ukraine-Krieg die Kooperation mit Russland im All verändert
Wirft man einen Blick auf die aktuelle Besatzung der Internationalen Raumstation (ISS), könnte man meinen, alles sei wie immer: Russen und Amerikaner sind Arm in Arm auf dem Gruppenfoto der Expedition 69 zu sehen. Vom Konflikt auf der Erde, ausgelöst durch die russische Invasion der Ukraine, ist zumindest auf diesem Bild nichts zu ahnen.
Grund dafür sind Verträge und Abkommen. Sie garantieren die Sicherheit der ISS und aller Besatzungsmitglieder. „Insbesondere auf Drängen der NASA finden weiterhin Überkreuzflüge statt“, erklärt Rene Pischel, Leiter des Moskau-Büros der europäischen Weltraumagentur ESA der futurezone. Dabei werden abwechselnd Raketen von Roskosmos und der NASA gestartet. An Bord ist immer mindestens ein*e Astronaut*in und ein*e Kosmonaut*in.
Symbolisch für die Fortsetzung der Zusammenarbeit von NASA und Roskosmos auf der ISS war unter anderem der Flug von Anna Kikina. Die Kosmonautin war die erste Russin, die jemals mit einer privaten SpaceX-Rakete abhob. „Die Kontakte sind nach wie vor da, um Probleme gemeinsam zu lösen“, so Pischel.
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NASA hilft bei Sojus-Problemen
Wie wichtig das ist, zeigte sich erst kürzlich bei Problemen mit den russischen Sojus-Kapseln. Weil Kühlflüssigkeit austrat, verzögerte sich die Abreise der Astronauten von der ISS. „Die NASA stand mit Rat und Tat zur Seite, was von russischer Seite wohlwollend gesehen wurde“.
Zerbrochenes Porzellan
Diese Harmonie trügt aber. Das neuerliche Abkommen zwischen NASA und Roskosmos fiel dabei mit einem Personalwechsel zusammen: der ehemalige Roskosmos-Chef Dmitri Rogosin wurde durch Juri Borissow ersetzt. „Rogosin ist ein Faschist, der Roskosmos nicht gutgetan hat“, schätzt Christian Klösch die Lage ein. Der Astronom und Historiker ist für die Raumfahrtsammlung des Technischen Museum Wien verantwortlich.
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Zu Beginn des Krieges hatte Rogosin die NASA wiederholt verbal attackiert, war in einer Nacht- und Nebelaktion vom europäischen Weltraumbahnhof in Kourou abgezogen und hatte einen Satelliten im ISS-Orbit zerstören lassen. Das hat die gesamte Besatzung – inklusive der russischen Kosmonauten – in Lebensgefahr gebracht. „Er hat das Porzellan zerschlagen. Borissow versucht jetzt, wieder Ruhe rein zu bringen“, so Klösch. Der Schaden, den Rogosin angerichtet hat, könnte die russische Raumfahrt aber nachhaltig schädigen.
Vom Vorreiter zum Nachzügler
Einst war Russland die Speerspitze der Raumfahrt. Mit Juri Gagarin schickten sie den ersten Menschen ins All. Sie bauten autonome Mondrover und schickte mit den Saljut-Raumstationen die ersten ihrer Art in den Erdorbit. Genau deshalb holte sich der Westen Russland zum Bau der ISS ins Boot, erklärt Klösch. Davon profitierten damals beide Seiten.
Heute ist es anders. „Russland baut auf bewährte Technologie aus den 1980ern, neue Technologien fehlen und sie schaffen die Modernisierung nicht“, sagt der Experte. Die USA, China, Indien, Saudi-Arabien und die Emirate sehen darum keinen Mehrwert in der Zusammenarbeit mit Russland. Was die einstige Weltraummacht ihnen liefern kann, ist veraltet. Zwar arbeitet Russland mit China an einer Mondstation, laut Klösch werden sie dabei aber nur Juniorpartner. „Das dämpft das Selbstbild als große Raumfahrtnation“, so Klösch.
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Europa beendet letzte Zusammenarbeit mit Russland
Europa hatte mit "ExoMars" noch eine gemeinsame Marsmission mit Roskosmos geplant. Diese Zusammenarbeit wurde seitens der ESA-Mitgliedsstaaten beendet. Generell kappte Europa die Verbindungen zu Russland rigoroser als die NASA. Das Moskau-Büro wurde um die Hälfte der Belegschaft reduziert und Leiter Rene Pischel reist nur noch etwa alle 2 Monate nach Russland, erzählt er. Früher unterstützte das Büro die laufenden Kooperationen logistisch und baute Brücken zwischen Europa und den russischen Kolleg*innen.
Jetzt habe sich alles geändert. "Bei durch die ESA beendeten Projekten wie ExoMars wurde mit Roskosmos vereinbart, dass die Hardware, die sich noch jeweils beim anderen befindet, zurückgeführt wird. Das ist unter den jetzigen Randbedingungen keine einfache Aufgabe“, sagt Pischel. Dabei sei die Kommunikation auf beiden Seiten professionell, aber auch schwierig.
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Wettrennen zwischen China und dem Westen
Deutlich wird, dass das neue „Space Race“ zwischen China und dem Westen stattfindet. Dazu gehört auch das Buhlen um Geld von den Emiraten und Saudi-Arabien. Sobald die Internationale Raumstation spätestens 2030 den Betrieb einstellt, wird es schwer für Russland. China betreibt eine eigene Raumstation, ESA und NASA arbeiten bereits an einer neuen Station im Mondorbit. „Das Misstrauen für die internationale Zusammenarbeit mit Russland ist gesät“, gibt Klösch zu bedenken. Mit dem Ende der ISS wird Russland ohne einen bedeutenden Innovationsschub daher allein dastehen.