Strom aus Kunststoff macht Batterien überflüssig
Was haben Fahrradreifen und Windräder gemeinsam? Beide drehen sich und beide können dadurch elektrische Energie erzeugen. Nicht etwa durch Dynamos, sondern durch ein intelligentes Material, das von Forschenden des Instituts Materials - Joanneum Research in Weiz mitentwickelt wurde. Dieser spezielle Kunststoff erzeugt durch Verformung elektrische Energie und kann damit Sensoren versorgen.
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Möglich wird das durch den sogenannten piezoelektrischen Effekt, der auch bei Piezofeuerzeugen zum Einsatz kommt. Bei diesen Feuerzeugen wird ein Piezokristall so weit zusammengedrückt, dass ein Funke erzeugt wird, der das herausströmende Gas entzündet. Ein Stromschlag eines solchen Feuerzeugs ist zwar unangenehm, wegen der geringen Energie allerdings ungefährlich.
Was kompakt in ein Feuerzeug passt, kann man auch auf eine Kunststoffbahn drucken. Die Forscher*innen vom Joanneum Research Institut tüftelten daran, den hauchdünnen Kunststoff so zu behandeln, dass genügend elektrische Energie für einzelne Sensoren generiert wird. Dazu nutzten sie die Siebdrucktechnik, mit der etwa auch T-Shirts bedruckt werden können.
Sensoren in Reifen
Beim Fahrrad kann diese energieerzeugende Kunststofffolie etwa direkt auf den Fahrradschlauch geklebt werden, wie Projektkoordinator Jonas Groten der futurezone erklärt. Durch das Fahren entsteht so viel Energie, dass etwa zweimal pro Minute der aktuelle Reifendruck über Bluetooth an das Smartphone oder einen Radcomputer gesendet werden kann. So sieht die Fahrer*in quasi in Echtzeit, ob der Reifen Luft verliert und aufgepumpt werden muss.
Reifendrucksensoren sind in der Autoindustrie bereits gang und gäbe und auch für Fahrräder gibt es entsprechende Produkte. Solche, die man am Ventil von Fahrradschläuchen anbringen kann, haben allerdings das Problem, mit der Zeit Luft zu verlieren.
Das Wiener Unternehmen Tubolito, das beim Projekt beteiligt war, bietet etwa Reifen mit integrierten Drucksensoren an, die sich mit dem Smartphone per NFC auslesen lassen. Dieselbe Technologie wird auch beim kontaktlosen Bezahlen eingesetzt – der NFC-Chip benötigt dafür keinen Strom. Zum Auslesen der Daten muss das Rad aber still stehen. Mit dem neuen Kunststoff wäre das eben nicht mehr nötig.
Über das Projekt
Symphony
Das EU-Projekt namens Symphony wurde von Joanneum Research koordiniert. Insgesamt sind 13 Forschungseinrichtungen und Unternehmen aus Österreich, Deutschland, Frankreich und Schweden beteiligt. Das Projekt läuft noch bis Ende April.
Energy Harvesting
Als Energy Harvesting (Energie-Ernte) werden Methoden bezeichnet, um kleine Mengen elektrischer Energie aus der Umgebung zu gewinnen.
Kosten
Die Herstellung des piezoelektrischen Materials kostet etwa 6 Euro pro Milliwatt elektrischer Leistung. Zum Vergleich: Bei Solarzellen liegt man bei 10 Cent pro Watt, die sind also etwa 60.000 Mal günstiger.
Windräder nachrüsten
Fahrradreifen sind nicht der einzige Einsatzort, wo Sensoren mit autarker Stromversorgung von Vorteil sind. Ein weiterer Projektpartner, das Grazer Sensorikunternehmen Eologix, hat sich etwa auf Sensoren für Windkraftanlagen spezialisiert.
Sie nutzen die Entwicklung, um alte Windräder mit Sensoren auszustatten, die den Zustand der Anlage anzeigen – etwa, ob sie vereist ist und gewartet werden muss. „Der Sensor wird hier wie ein großes Pflaster direkt auf dem Rotorblatt angebracht, in der Gondel befindet sich der Empfänger“, sagt Groten.
Bislang wurden solche Sensoren oft mit kleinen Solarzellen ausgestattet, die sie mit Energie versorgten. Bei den langen Wintern in Skandinavien und in Dunkelphase sei man laut Groten aber froh, noch eine alternative Energiequelle für die Sensorik zu haben.
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Eine Alternative zu Photovoltaik stellt das Material allerdings nicht dar. Die Energieausbeute sei zu gering, sie liegt im Milliwattbereich. „Eine Anwendung als Kraftwerk ist daher nicht umsetzbar“, mein Groten. „Es geht eher darum, eine Batterie aus toxischen Materialien zu ersetzen und Systeme mit kabelloser Sensorik nachzurüsten. Unser Material ist ungiftig, günstig und großflächig druckbar.“
Smarter Fußboden
Großes Potenzial sieht Groten in der intelligenten Haussteuerung: „Wer etwa Fußböden in Bestandsgebäuden mit Sensoren ausstattet, möchte darin nicht Batterien verbauen und diese warten.“ Durch das Material könnten Sensoren betrieben werden, die erkennen, wann einzelne Räume genutzt werden und somit die Heizung bzw. Lüftung darauf abstimmen. Das spart Energie und dadurch auch Kosten ein.
Ein weiterer Anwendungsbereich wäre eine im Boden integrierte Sturzerkennung in Alters- und Pflegeheimen. Die Folie könnte direkt unter dem Bodenbelag angebracht werden und erkennt, ob jemand hingefallen ist oder nur schwerfällig geht.
Noch seien all diese Anwendungen nicht auf dem Markt, die Tests in den verschiedenen Umgebungen und Szenarien waren allerdings „ganz schön erfolgreich“.