Was ist eine Railgun?
Viele große Erfindungen haben eine helle und dunkle Seite. Dynamit wurde ursprünglich für den Berg- und Tunnelbau geschaffen, aufgrund seiner Zerstörungskraft aber rasch für kriegerische Zwecke eingesetzt.
Das Flüssigkeitstriebwerk, wie es heute für Starts in den Weltraum genutzt wird, wurde maßgeblich vom Dritten Reich während des Zweiten Weltkriegs weiterentwickelt. Und GPS wurde ursprünglich vom US-Militär gemacht, um Atomraketen gezielt auf Russland abzuschießen.
Die Railgun hat ähnliches Potenzial. Sie kann die Weltraumforschung vorantreiben, uns helfen Rohstoffe aus dem All zur Erde zu bringen, aber auch massive Zerstörung anrichten.
Funktionsweise
Die Railgun funktioniert ähnlich wie ein Katapult. Ein Schlitten läuft zwischen 2 Schienen – daher auch der Name Railgun (rail = Schiene). Eine Schiene ist positiv, die andere negativ geladen. Durch den stromleitenden Schlitten wird der Kreislauf zwischen den beiden Schienen geschlossen.
Dadurch entsteht ein Magnetfeld. Dies erzeugt Lorentzkraft, bei der ein Magnetfeld Kraft auf bewegte Ladungen ausübt. Der Schlitten wird dadurch beschleunigt, entgegen der Richtung der Energiequelle, also hin zur Mündung der Railgun. Das Projektil auf dem Schlitten wird dadurch mit extrem hoher Geschwindigkeit weggeschossen.
Wie hoch diese Geschwindigkeit ist, hängt von 2 Faktoren ab: Der Länge der Schienen und die elektrische Stromstärke. Je länger die Schienen und je mehr Ampere die Energiequelle erzeugt, desto höher die Lorentzkraft und desto schneller der Schlitten.
Verschiedene Arten von Schlitten
Je nachdem, welches Projektil verschossen werden soll, können verschiedene Schlitten genutzt werden. In den einfachsten Fällen ist der Schlitten breit und flach. Das Projektil muss nicht leitend oder vom Schlitten isoliert sein. Alternativ kann das Projektil selbst leitend und somit sein eigener Schlitten sein. Für militärische Einsatzzwecke ist das eher nicht geeignet, da aerodynamische Projektile verschossen werden sollen.
Um das zu lösen, kann der Schlitten in der Form eines SABOTs eingesetzt werden. Dabei umschließt der Schlitten das eigentliche Projektil. Er löst sich, sobald diese SABOT-Ladung die Mündung der Railgun verlassen hat.
Der Schlitten kann durch Plasma ersetzt werden. Dabei wird eine dünne Metallfolie am Ende eines nicht-leitenden Projektils angebracht. Durch den Strom verdampft die Folie und es entsteht Plasma, das den elektrischen Strom leitet und das Projektil so antreibt. Aufgrund aktueller Experimente gehen Forscher davon aus, dass mit Plasma-Schlitten höhere Projektilgeschwindigkeiten erzeugt werden können.
Vorteile von Railguns
Der Hauptzweck der Railgun ist, konventionelle Treibstoffe und Treibladungen zu ersetzen. Das hat mehrere Vorteile. Zu einem sind das die Kosten. Eine der günstigsten Möglichkeiten, Satelliten in den geostationären Orbit (GTO) zu bringen, ist mit SpaceX. Ohne den Raketen-Herstellungskosten kostet ein Start mit der Falcon 9 62 Millionen US-Dollar. Wird dafür eine Falcon 9 neuester Bauart teilweise wiederverwendet, kostet der Transport von einem Kilogramm in den GTO 10.700 US-Dollar. Ein Meteosat-Wettersatellit hat ein Startgewicht von etwa 2 Tonnen, was also Startkosten von 21,4 Millionen US-Dollar entsprechen würde.
Bei einer Railgun wären die Startkosten niedriger. Berechnungen zufolge könnten damit dieselben Resultate für 10 bis 20 Prozent der derzeitigen Startkosten mit einer Rakete erzielt werden. Im militärischen Bereich ist es ähnlich. Die US Navy schätzt, ein gelenktes Railgun-Projektil für den Beschuss feindlicher Schiffe kostet 50.000 US-Dollar. Es könnte laut der Navy ähnlichen Schaden anrichten wie eine gelenkte Tomahawk-Rakete, die in der Anti-Schiffs-Konfiguration über 1,8 Millionen US-Dollar kostet.
Ein weiterer Vorteil beim Verzicht auf herkömmlichen Treibstoff ist die Platzersparnis. Sieht man sich den Querschnitt von panzerbrechender Wuchtmunition an wird klar, dass die Treibladung etwa die Hälfte oder noch mehr des Volumens einnimmt. Für den Militäreinsatz bedeutet das eine höhere Munitionskapazität auf dem Schiff.
Einsatz beim Militär
Railguns werden zurzeit fast ausschließlich für den Einsatz auf Schiffen entwickelt. Dort gibt es nämlich genug Platz für das Geschütz und die großen Kondensatoren, die zur Energiespeicherung nötig sind. Außerdem haben moderne Kriegsschiffe Generatoren, die ausreichend Leistung haben, um eine Railgun abzufeuern.
Für die Nutzung der Railgun gibt es 2 Herangehensweisen: Direkter und indirekter Beschuss. Beim indirekten Beschuss wird die Railgun als eine Art Startkatapult genutzt. Statt einem einfachen Projektil wird zb. eine Rakete abgefeuert. Die Rakete kann so schon mehrere hundert Kilometer zurücklegen bzw. aufsteigen, bevor sie ihren eigenen Antrieb aktiviert, um weiter Richtung Ziel zu fliegen. Weil dies mit einer so hohen Geschwindigkeit passiert, kann der Feind erst später Gegenmaßnahmen einleiten. Die Railgun könnte also die Reichweite der Raketen erhöhen, oder den nötigen Treibstoff für die Rakete reduzieren. Dies spart entweder Kosten und Gewicht oder erhöht die Nutzlast, was in dem Fall mehr Sprengstoff bedeutet.
Direkter Beschuss
Die Railgun fungiert bei direktem Beschuss als Kanone. Um als nützlich zu gelten, setzte die US Navy ursprünglich eine Reichweite von mindestens 180 Kilometern voraus. Damit wäre sie aktuellen Schiffsgeschützen bei Weitem überlegen. Moderne 120mm-Geschütze haben eine effektive Reichweite von unter 40km.
Durch die extrem hohe Geschwindigkeit des Projektils ist auch der Abfall geringer und es kommt schneller beim Ziel an. Das heißt, dass beim Schuss auf bewegliche Ziele weniger Berechnungen nötig sind (vor- und drüberhalten) und so die die Trefferwahrscheinlichkeit steigt. Diese Eigenschaften machen die Railgun auch zu einer Option als Abwehrwaffe. Durch die hohe Projektilgeschwindigkeit können angreifende Flugzeuge und Marschflugkörper abgeschossen werden. Wird dazu ein einfaches Projektil ohne Antrieb verwendet, gibt es kaum Möglichkeiten, dieses vor dem Einschlag zu entdecken und auszuweichen.
2,3 Kilometer pro Sekunde
Das Ziel der US Navy ist jetzt, einen 32-Megajoule-Prototyp einsatzbereit zu machen. Dazu soll diese Railgun 10 Schuss pro Minute abgeben können. Die Projektile haben eine Einschlagsenergie von 32 Megajoules und eine Einsatzreichweite von bis zu 360 Kilometern. Die Projektile wiegen 10 Kilogramm und sind 46cm lang. In Tests an Land erreichten sie eine Geschwindigkeit von über Mach 7, also mehr als 8.500 km/h – das ist schneller als 2,3 Kilometer pro Sekunde. Durch die hohe Geschwindigkeit entspricht die Aufschlagsenergie am Ziel in etwa der Explosion von 4,6 Kilogramm C4, obwohl das Projektil keinerlei Sprengstoff enthält.
Das Ziel der US Navy ist die Railgun so weiterzuentwickeln, dass Projektile mit 64 Megajoules Energie aufschlagen. Bis so eine Railgun auf einem Schiff eingesetzt werden kann, rechnet die US Navy mit mindestens 10 Jahren Entwicklungszeit.
Allerdings ist derzeit fraglich, ob die 32-MJ-Railgun überhaupt bald in See stechen wird. Die Entwicklungskosten haben seit dem Projektstart 500 Millionen US-Dollar überschritten und in den vergangenen Jahren wurden keine nennenswerten Fortschritte bekannt.
Neben den USA forschen auch Indien und China an Railguns. 2018 wurde ein Geschützturm auf einem chinesischen Landungsschiff gesehen, der eine Railgun sein soll. Ob diese tatsächlich einsatzbereit und auch schon auf hoher See abgefeuert wurde, ist nicht nachgewiesen.
Railguns und Raumfahrt
Railguns haben zwar Potenzial für die zivile Nutzung, sind aber noch weit weg davon, tatsächlich eingesetzt zu werden. Ein Konzept ist, mit einer Railgun Satelliten in den Orbit oder etwa Vorräte zur ISS zu bringen. Dazu würde man über 200 Meter lange Schienen bauen. Der Schlitten würde erst gerade beschleunigen und dann durch eine Steigung die Nutzlast nach oben Richtung All schleudern. Da so eine gewaltige Infrastruktur kaum machbar scheint, wird überlegt, die Schienen zu kürzen und stattdessen einer Rakete durch den Schlitten Starthilfe zu geben – ähnlich wie die militärische Nutzung beim indirekten Beschuss.
Am Mond könnte es ohne Zusatztriebwerke klappen, aufgrund der fehlenden Luft und geringeren Anziehungskraft. Hier könnten die Schienen kürzer sein. So könnte man etwa Mineralien vom Mond abbauen und ins All schießen. Dort könnten sie eingesammelt und weiterverarbeitet, oder zur Erde gebracht werden.
Exoplaneten und Atomüll
Eine weitere Idee ist, eine Railgun im Erdorbit zu stationieren. Diese würde dann Sonden und Satelliten Richtung des zu erforschenden Ziels schießen. Sie könnten so schneller Planeten in unserem Sonnensystem oder sogar Exoplaneten erreichen, bevor sie mittels eigener Energieversorgung in den Zielorbit lenken. Diese Railgun könnte potenziell auch dazu dienen, um Asteroiden zu zerstören, die auf die Erde zurasen.
Railguns werden auch als Müllentsorgungssystem in Betracht gezogen. So überlegt man, damit radioaktiven Abfall in die Sonne zu schießen. Etwas konkreter als das sind Forschungen, Railguns zur Erzeugung von Kernfusionsenergie zu nutzen. Dabei werden Kügelchen aus geeignetem Material mit so hoher Geschwindigkeit zusammengeschossen, das 2 Atomkerne zu einem neuen Kern verschmelzen. Die so entstehende Kettenreaktion erzeugt Hitze, die wiederum eine Dampfturbine antreibt, die Strom erzeugt.
Die Nachteile der Railguns
Der Grund, warum derzeit weder im militärischen noch im zivilen Bereich Railguns im Einsatz sind, sind die Nachteile des Systems, die erst überwunden werden müssen. Will man etwa eine Railgun als irdische Startrampe für Satelliten nutzen, müsse man mit Initialinvestitionen von 2 bis 5 Milliarden Euro rechnen.
Außerdem muss man die Satelliten oder Container für Frachtlieferungen so bauen, dass sie die enormen Kräfte aushalten. Laut Forschern würden beim Start Kräfte von etwa 3.500 G wirken. Zum Vergleich: Bei einem herkömmlichen Raketenstart wirken etwa 3 G auf Ladung bzw. Astronauten. Deshalb ist es derzeit völlig außer Frage, Raumschiffe mit Besatzung per Railgun ins All zu schießen.
Im militärischen Bereich ist vor allem die Haltbarkeit einer Railgun ein Problem. Durch die enormen Energiemengen entsteht gewaltige Hitze beim Schießen. Dies lässt die Schienen korrodieren. Außerdem werden aufgrund der Spannung die Schienen voneinander weggedrückt, was diese beschädigen und unbrauchbar machen kann.
Ein früher Prototyp der US Navy war deshalb schon nach 10 Schuss unbrauchbar. Mittlerweile will die Navy eine Lebensdauer von über 400 Schuss für die Schienen erreicht haben, machte aber keine Angaben dazu, ob diese mit den vollen 32 MJ oder mit weniger Kraft abgefeuert wurden. Damit die Railgun effektiv auf einem Schiff eingesetzt werden kann, sollte laut der Navy die Lebensdauer bei 3.000 Schuss mit voller Leistung liegen.