Diese Assistenzsysteme werden Pflicht im Auto: Das sagen Experten dazu
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Neuwagen haben immer mehr Assistenzsysteme verbaut, die Fahrer*innen unterstützen sollen. Bekannt sind etwa die Rückfahrassistenten, die piepsen, wenn man einem Hindernis zu nahe kommt oder Müdigkeitswarner, bei denen eine Anzeige aufleuchtet, wenn man eine Pause machen sollte. „Diese Assistenten gibt es schon in unterschiedlichen Fahrzeugklassen“, sagt Friedrich Eppel, ÖAMTC-Spezialist für automatisierte und vernetzte Mobilität zur futurezone.
Bald wird es in neuen Fahrzeugen noch mehr Fahrerassistenzsysteme geben, und zwar verpflichtend. Das hat die EU im November 2019 in einer Verordnung beschlossen. Ab 6. Juli 2022 werden neu typisierte Autos damit ausgestattet, ab 7. Juli 2024 alle neu zugelassenen Pkw. Damit soll die Sicherheit für alle Verkehrsteilnehmenden - also auch Fußgänger*innen und Radfahrer*innen - erhöht werden und die Zahl der Unfälle verringert werden.
Diese Systeme müssen demnach zur Serienausstattung gehören:
- Automatischer Notbremsassistent
- Notbremswarnung
- Notbremslicht
- Spurhalteassistent
- Intelligenter Geschwindigkeitsassistent
- Müdigkeitswarner
- Rückfahrassistent
- Ereignisbezogene Datenaufzeichnung bei Unfällen (Black Box)
- Standardisierte Schnittstelle zum Einbau einer alkoholempfindlichen Wegfahrsperre
Welche dieser verpflichtenden Fahrerassistenzssysteme besonders sinnvoll sind, und welche weniger, hat sich die futurezone gemeinsam mit Expert*innen angesehen.
Notbremsassistent reduziert Massenkarambolagen
An erster Stelle steht dabei der automatische Notbremsassistent. Dieser soll eine Gefahrensituation selbstständig erkennen und automatisch abbremsen, um einen Unfall zu verhindern oder abzumildern. „Der ist eine der wichtigsten Sicherheitseinrichtungen“, sagt Eppel. „So können viele Unfälle reduziert werden, darunter auch Bagatellunfälle, die vor allem Kosten und Ärger verursachen“, sagt der Experte.
Dem stimmt auch Hermann Steffan vom Institut für Fahrzeugsicherheit an der TU Graz zu. „Wir sehen, dass der Notbremsassistent viel bewirkt. Die Anzahl der großen Serienzusammenstöße ist bereits jetzt stark zurückgegangen. Es gab seit Ewigkeiten keinen Unfall mehr, bei dem 50 bis 70 Fahrzeuge zusammengefahren sind, seit einige Autohersteller ein solches System eingeführt haben“, sagt Steffan zur futurezone.
In einer ersten Phase muss der verpflichtende Notbremsassistent vor allem andere Fahrzeuge, die sich bewegen, als Hindernis erkennen. In einer zweiten Phase ist die Erkennung von Fußgängern und Radfahrern vorgesehen. Hier wird es laut Experten eine Herausforderung sein, dass die Assistenzsysteme nicht zu viel oder zu wenig reagieren. „Man wird sich von Notbremsassistenten keine Perfektion erwarten können und man muss als Fahrer*in daher immer achtsam bleiben“, sagt Eppel.
Notfall-Spurassistent reduziert Unfälle
Ebenfalls als „sehr effizient“ bei der Verhinderung von Unfällen schätzt Steffan den Notfall-Spurhalteassistenten ein. Dabei greift das Auto ins Lenkgeschehen ein, um ein Auto in seiner Spur zu halten, wenn es den Anschein macht, dass es unvorhergesehen abweicht. Hier ist wichtig zu wissen, dass Fahrer*innen das System „übersteuern“ können, wenn sie merken, dass ihr Auto dabei ist, falsch zu reagieren.
Geschwindigkeitsassistent macht noch viele Fehler
Beim intelligenten Geschwindigkeitsassistenten sind sich beide Experten einig, dass diese „noch nicht ausgereift“ genug seien, damit diese ihren Zweck völlig erfüllen und wirklich etwas zur Sicherheit beitragen. Diese sollen Fahrer*innen darauf aufmerksam machen, wenn sie die für den jeweiligen Straßenabschnitt geltende Geschwindigkeitsbegrenzung überschreiten. Entweder pulsiert dann das Gaspedal, oder es erscheint eine Anzeige im Cockpit.
„Es kommt sehr häufig vor, dass hier falsche Warnungen und Informationen angezeigt werden“, erklärt Eppel. „Oft wird einem im Ortsgebiet eine erlaubte Geschwindigkeit von 100 km/h angezeigt. Es gibt hier auch viele Premium-Hersteller*innen, die mit vielen Fehlanzeigen zu kämpfen haben“, sagt der ÖAMTC-Experte. Auch Steffan von der TU Graz bestätigt, dass die Geschwindigkeitsassistenten noch sehr viele Fehler haben.
„Hier stellt oft die Aufstellung von Verkehrszeichen ein Problem dar“, so Steffan. Falsche Warnungen seien für Fahrer*innen „sehr lästig“, so Eppel. Auch Steffan fügt hinzu, dass man dadurch als Fahrer*in leicht abgelenkt werde, was der Verkehrssicherheit eher schadet als nützt. „Dass ein Fahrzeug auf der Autobahn auf 30 km/h runterbremsen möchte, weil es außerhalb eine falsche Verkehrstafel sieht, muss deaktivierbar sein“, so Steffan. Laut Eppel wird auch dieses System von Fahrer*innen übersteuerbar sein, in dem man etwa aufs Gas drückt.
Müdigkeitswarner alles andere als perfekt
Die heute gängigen Müdigkeitswarnsysteme seien ebenso wenig perfekt, so Steffan. Arno Eichberger vom Institut für Fahrzeugtechnik an der TU Graz hat jahrelang zu Müdigkeitserkennungssystemen geforscht. „Die Zuverlässigkeit der bisher eingebauten und am Markt erhältlichen Systeme liegt bei etwa 60 Prozent. Der Zustand der Fahrer*in wird also häufig falsch eingeschätzt“, sagt Eichberger zur futurezone. „Das liegt daran, dass jede Fahrer*in ein etwas anderes Verhaltensmuster hat, die Systeme aber auf einen Durchschnittsmenschen trainiert sind. Das Erkennen der Lenkradbewegungen funktioniert daher nicht besonders gut“, so Eichberger.
Stattdessen müsste man mit Innenraumüberwachungskameras die Lidbewegungen tracken. „Das wäre viel zuverlässiger, bräuchte aber teure Zusatzsensoren und viele Fahrer*innen wollen keine Innenraumüberwachung, die sie beim Fahren ständig filmt“, sagt Eichberger. Auch die Effektivität eines Notbremslichtes oder einer Wegfahrsperre, wenn man zu viel getrunken hat, sei noch nicht ausreichend erforscht worden, um finale Urteile abgeben zu können, heißt es seitens der TU Graz. Bei der Wegfahrsperre muss außerdem erwähnt werden, dass nicht diese selbst verpflichtend wird, sondern nur eine standardisierte Schnittstelle zur Erleichterung der Nachrüstung für alkoholempfindliche Wegfahrsperren.
Rückfahrassistenzsysteme führen sogar zu mehr Unfällen
Erstaunliches gibt es über die automatischen Rückfahrassistenzsysteme zu berichten: „Fahrzeuge, die mit einem Piepser ausgestattet sind, produzieren deutlich mehr Unfälle als jene, die es nicht sind“, sagt Steffan von der TU Graz. Das liege daran, dass viele Fahrer*innen sich auf diese Systeme vollständig verlassen und daher zu schnell zurück fahren. „Die Reaktion erfolgt dann meistens zu spät, wenn ein Zusammenstoß schon erfolgt ist“, sagt Steffan. Fahrzeuge mit Piepser hätten daher ein etwa doppelt so hohes Unfallrisiko gegenüber jenen ohne ein derartiges System.
Was wir daraus lernen: Nicht alles, was verpflichtend eingeführt werden soll, ist schon gut genug erprobt oder wirklich sinnvoll. Für Eppel vom ÖAMTC sei es daher wichtig, dass Fahrer*innen ihre Assistenzsysteme gut kennenlernen, um einschätzen zu können, was man sich von ihnen erwarten darf und was nicht. „Wir müssen lernen, mit hochkomplexen Dingen umgehen zu können und akzeptieren, dass Systeme auch Fehler machen können“, sagt Eppel.
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