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Science

Wo bleiben die selbstfahrenden Autos?

Rund um selbstfahrende Autos gab es vor rund 6 Jahren einen großen Hype. Kaum ein Autohersteller hatte damals nicht angekündigt, bis 2020 ein autonomes Auto fertig gestellt zu haben. Die Versprechen waren groß, die Visionen ebenso. Sie reichten von „kein Stau“ bis zu „keine Unfälle mehr“. Doch was blieb davon übrig? die futurezone befragte 3 Experten zu dem Thema.

Grund 1: Mensch-Maschine-Interaktion wurde verdrängt

„Die Systeme sind noch nicht so gut, dass Autos in jeder Situation vollständig selbstständig fahren könnten“, sagt Philipp Wintersberger, Informatiker an der TU Wien, im Gespräch mit der futurezone. „Es herrschte damals eine irrsinnige Euphorie, doch die war ein Irrglauben“, so Wintersberger. Seine Begründung, warum es so weit gekommen ist: Die Autobranche habe die „Phasen dazwischen“ lange Zeit völlig ignoriert. „Es gibt aber noch eine lange Zeit Fahrer*innen, die am Steuer sitzen. Das wurde aber völlig negiert“, erklärt Wintersberger. 

 Dabei ist der Mensch bis zum „Level 5“, der Vollautomatisierung der Fahrzeuge, die in jeder Situation die Kontrolle übernehmen und Menschen nur noch Passagiere sind, als Fahrer*in sehr wohl gefragt. Während Piloten darauf trainiert werden, Flugzeuge kurzfristig zu übernehmen, wenn ein System fehlschlägt, ist das bei Autofahrer*innen jedoch nicht der Fall. Sie sind keine Expert*innen, die in kritischen Situationen binnen weniger Sekunden eingreifen können. „Je mehr Funktionen in einem Auto automatisiert werden, desto schwieriger wird es, im richtigen Moment die richtige Entscheidung zu treffen, weil man bereits an Fahrkünsten abgebaut hat. Dieses Problem wollte die Branche nicht so richtig wahrhaben“, sagt der Experte.

Die fünf Stufen des autonomen Fahrens

Stufe 1
Beim assistierten Fahren beherrscht der Fahrer sein Fahrzeug ständig (zB Tempomat)

Stufe 2
Das Auto kann die Spur halten, Hände müssen am Lenkrad bleiben (zB Tesla Autopilot)

Stufe 3
Der Fahrer darf sich kurz bei bestimmten Szenarien vom Verkehr abwenden, Hände dürfen vom Lenkrad genommen werden (zB Daimler Drive Pilot im Stau)

Stufe 4
Der Fahrer wird zum Passagier. Man darf schlafen, nur wenn das System an die Grenzen kommt, ist ein Eingriff nötig

Stufe 5
Die Technik im Auto bewältigt alle Verkehrssituationen, menschliches Eingreifen ist in keiner Situation nötig  

Genau das wird nun allerdings in der täglichen Praxis zum Problem, wie der Einsatz des "Autopiloten" (Stufe 2) bei Tesla zeigt. Eine Studie des MIT hat etwa nachgewiesen, dass die Nutzung des Tesla-Autopiloten dafür sorgt, dass Fahrer*innen unaufmerksam werden. Sobald der Autopilot eingeschaltet ist, sahen die Fahrer*innen weniger häufig auf die Straße und konzentrierten sich eher auf Bereiche, die nicht nichts mit dem Fahren zu tun haben, wie etwa ihr Smartphone.

„Je mehr Funktionen in einem Auto automatisiert werden, desto schwieriger wird es, im richtigen Moment die richtige Entscheidung zu treffen, weil man bereits an Fahrkünsten abgebaut hat. Dieses Problem wollte die Branche nicht so richtig wahrhaben."

Philipp Wintersberger | Informatiker an der TU Wien

Grund 2: Nachweis der Fahrzeugsicherheit bei Level-4-Fahrzeugen fehlt

Daniel Watzenig, Professor für automatisiertes Fahren an der TU Graz, stimmt zu, dass die Erwartungen, die man vor 6 Jahren an autonome Autos gestellt hatte, nicht erfüllt werden können. Er sieht in der fehlenden Zuverlässigkeit, dem Nachweis der Fahrzeugsicherheit und in der fehlenden Regulierung, das größte Problem. „Der Nachweis, dass ein Level-4-Fahrzeug wirklich zuverlässig bei unterschiedlichen Geschwindigkeiten unterschiedlichste Fahrsituationen selbstständig meistern kann, konnte bisher nicht erbracht werden“, so Watzenig. Damit ein Fahrzeug in Europa zugelassen werden kann, muss ein Beweis erbracht werden, dass dieses wirklich verkehrssicher ist. 

Das ist jedoch bei vollautomatisierten Autos, bei denen Künstliche Intelligenz (KI) drinsteckt, schwierig. „Jede Kamera benötigt eine KI, um die Verkehrsschilder lesen zu können. Die KI muss diese zuverlässig interpretieren, also 100 Mal dasselbe Ergebnis abliefern. Es gibt derzeit noch keinen Prozess, wie ein KI-basiertes System von den Zulassungsstellen bewertet werden kann“, erklärt Watzenig. Wichtig sei bei der Zulassung nämlich, dass niemand zu schaden komme.

In den USA wird hingegen auf eine „Selbstzertifizierung“ der Hersteller gesetzt (Anmerkung: In Europa spricht man von Homologation), weshalb teilautomatisierte Fahrzeuge bereits auf öffentlichen Straßen getestet werden. Doch auch dort gibt es keine Autos, die selbst in komplexen Situationen, etwa beim Durchfahren eines Kreisverkehrs oder vor einem Zebrastreifen bei jeder Wetterlage, selbstständig unterwegs sind. „Diese Level-5-Funktionalität kommt in 50 Jahren oder gar nicht“, sagt Watzenig. „Das ist ein Anspruch, der über die nächsten Jahrzehnte nicht erfüllbar ist“, so der Experte. 

Stattdessen werden die Assistenzssysteme, die den Menschen als Fahrer*in unterstützen, immer besser und ausgereifter werden. Ein Beispiel: Die Mercedes S-Klasse bietet ab 2022 als erstes Serienfahrzeug einen Autobahn-Staupiloten, mit dem der Fahrer sich auch anderen Aufgaben zuwenden darf. Damit kommt erstmals die Level-3-Funktionalität zum Einsatz. Zum Vergleich: Tesla steht mit seinem Autopiloten bei Stufe 2. "Auf der Autobahn gibt es nur eine Richtung, es gibt keine Fußgänger*innen oder Radfahrer*innen“, erklärt Watzenig.

"Es gibt derzeit noch keinen Prozess, wie ein KI-basiertes System von den Zulassungsstellen bewertet werden kann.“

Daniel Watzenig | Professor für automatisiertes Fahren an der TU Graz

Grund 3: Verkehrsplanung und Regulierung

Doch der Hype um selbstfahrende Autos war nicht umsonst, wie Martin Russ, Geschäftsführer von Austria Tech, sagt. „Hätte es diese Begeisterung nicht gegeben, hätte sich niemand mit der Regulierung der Technologie beschäftigt“, so Russ. Bei Austria Tech mache man sich seit damals Gedanken darüber, wie autonome Autos in der Verkehrsplanung berücksichtigt werden müssen.

„Zwar können die Fahrzeuge viele Situationen, die man damals erwartet hat, nicht lösen, aber es gibt sehr wohl Bereiche, in denen sie Sinn machen“, sagt Russ. Der Tech-Experte rechnet damit, dass wir in den nächsten „3 bis 5 Jahren“ automatisierte Shuttles, Robo-Taxis für kurze, ausgewählte Strecken und Mobilitätsdienste auf unseren Straßen sehen werden. Erste Tests, wie etwa beim autonomen Bus in der Seestadt, habe es bereits gegeben. „In ein paar Jahren werden diese als kommerzielle Dienste einsetzbar“, meint Russ. Bis dahin sei die Technologie kostengünstig.

Ein viel zitiertes Versprechen könne das vollautomatisierte Fahren allerdings noch längere Zeit nicht einhalten, meint Russ: „Autonome Autos sind mit der Ansage angetreten, 94 Prozent der Verkehrsunfälle zu verhindern. Das wird noch längere Zeit nicht der Fall sein.“

Laut einer Prognose der IIHS handelt es sich dabei gar um eine „Falschannahme“. Selbst wenn alle Autos selbstfahrend wären, würde das die Unfälle nur um ein Drittel reduzieren, heißt es in einer Studie der IIHS. „Der Anspruch an die Autos mit Fahrassistenz muss daher sein, dass sie zumindest nicht mehr Unfälle bauen, als wenn wir Menschen alleine am Steuer sind“, so Russ.

Man müsse aber auch die Errungenschaften sehen, die bereits gelungen seien, so Russ: Einfache Situationen könnten von Autos selbstständig erledigt werden und Menschen können sich zumindest teilweise zurücklehnen.

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Barbara Wimmer

shroombab

Preisgekrönte Journalistin, Autorin und Vortragende. Seit November 2010 bei der Kurier-Futurezone. Schreibt und spricht über Netzpolitik, Datenschutz, Algorithmen, Künstliche Intelligenz, Social Media, Digitales und alles, was (vermeintlich) smart ist.

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