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Interview mit Herbert Taucher und Paul Pavetich von Siemens über das Technologiefeld Integrated Circuits and Electronics

© Siemens

B2B

Täglich Daten im Umfang aller Netflix-Filme analysieren

Der Technologiekonzern Siemens hat weltweit über 300.000 Mitarbeiter*innen. 46.400 davon sind mit Forschung und Entwicklung beschäftigt. Seit einiger Zeit hat das Unternehmen die F&E-Aktivitäten in den wichtigsten seiner Geschäftsbereiche in 11 so genannte Technologiefelder gegliedert. Jedes davon hat Mitarbeiter*innen an mehreren Standorten weltweit. Geleitet werden sie meist von Deutschland oder den USA aus. Beim Technologiefeld Integrated Circuits and Electronics (ICE) ist das anders. Es wird von Wien aus geleitet.

Umfeld für den Chipentwicklungsprozess

"In Österreich gab es bereits ein starkes Team. Es hat zum Beispiel sehr viel Erfahrung für die Echtzeit-fähigen Steuerungs-Computerchips für die Antriebstechnik. Viele Aktivitäten rund um Chipentwicklung wurden also schon zentral in Wien angesiedelt", erklärt Herbert Taucher. Er leitet seit dreieinhalb Monaten die weltweiten Aktivitäten des Technologiefeldes ICE und will sichtbarer machen, woran sein Team arbeitet.

"Wenn es um neue Computerchips geht, erlangen oft Innovationen von Unternehmen wie Apple, Google oder Tesla Bekanntheit. Was drumherum notwendig ist, um diese Innovationen überhaupt zu ermöglichen und zu entwickeln, ist wenig bekannt - und das kommt von uns." Siemens sei etwa der drittgrößte Anbieter von Software für Chipentwickler*innen. Taucher: "Um einen neuen Chip zu entwickeln, braucht man drei Dinge. Erstens: Das Chip-Design. Zweitens: Die Materialien. Man braucht fast alles im Periodensystem dafür. Drittens: Den Fertigungsprozess."

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Herbert Taucher leitet das Siemens Technologiefeld Integrated Circuits and Electronics

Wissen von Mitarbeiter*innen in Werkzeuge einbauen

Während es früher Bestrebungen gab, ein "General Purpose"-Produkt zu erschaffen, das alle Anwendungsfälle abdecken konnte, habe sich die Chipentwicklung spezialisiert. Was ein Chip können muss, ergebe sich nun aus den Anforderungen für ein bestimmtes System. "Der Chip ist ein Baustein, der genau die Fähigkeiten haben muss, die man braucht", sagt Taucher.

Bei der Entwicklung von Chips strebe Siemens an, Fachkräfte so gut wie möglich zu unterstützen und den Designprozess hochgradig zu automatisieren. Derzeit werde im Technologiefeld ICE etwa daran geforscht, wie man das kollektive Wissen von Entwicklungsingenieur*innen in Entwicklungs-Tools hineinpacken kann. "50 Prozent der Gesamtkosten für die Entwicklung eines Chips werden dafür aufgewendet sicherzustellen, dass kein Fehler drin ist. Diese Vorgänge schreien nach Machine Learning." Mittels KI sollen Entscheidungsprozesse bei der Verifikation von Chips unterstützt und beschleunigt werden.

Schätze in gesammelten Daten finden

Abgesehen von der Chipentwicklung sind die weltweit rund 150 Mitarbeiter*innen des Technologiefeldes ICE auch mit anderen Themen beschäftigt. Eines davon ist etwa die Infrastruktur für die Datenanalyse für Industriekunden. Durch das Internet der Dinge werde eine Unmenge an Daten erzeugt, etwa in Industrieprozessen, die mit Siemens-Produkten arbeiten. "Die Daten, die täglich durch Siemens-Controller generiert werden, entsprechen ungefähr der Menge aller Netflix-Inhalte", sagt Paul Pavetich, Forschungsleiter von Siemens Österreich. "Es gibt eine Gemeinsamkeit: Netflix-Inhalte werden nie zur Gänze angeschaut. Unsere Daten auch nicht und genau da liegt noch eine Menge an Potential."

Gemeinsam mit Kunden gelte es also herauszufinden, welche Schätze in den Daten verborgen sind. Eine der Möglichkeiten, die sich durch Datenanalyse oft ergeben, sei "Predictive Maintenance", also vorausschauende Wartung von Maschinen. Bei der Datenanalyse setze man verstärkt auf Edge Computing. Daten werden also vermehrt lokal verarbeitet, anstatt sie massenweise in die Cloud zu schicken. Unternehmen ersparen sich dadurch viel Geld, außerdem spricht es ein Sicherheitsempfinden an. "Wenn Daten das Werk verlassen, gibt es oft einen Fluchtreflex. Damit fühlt man sich im ersten Schritt nicht unbedingt sehr wohl", sagt Pavetich. Damit Daten auch mit geringerer lokaler Rechenleistung automatisch analysiert werden können, arbeite man an so genanntem "TinyML", also kompaktem Machine Learning.

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Paul Pavetich ist der Forschungsleiter von Siemens Österreich

Zweites Leben für industrielle Güter

Ein sehr großer Fokus in den Aktivitäten des Technologiefeldes ICE liegt auf Nachhaltigkeit. Angesichts der Klimakrise stehe der CO2-Fußabdruck von Elektronik im Zentrum vieler Diskussionen. "Wir versuchen herauszufinden, wie wir Elektronik entwickeln können, die möglichst wenige Rohstoffe und Energie verbraucht", sagt Taucher. "Vorteilhaft wäre es aber auch, wenn ein zweiter Lebenszyklus möglich wäre. Von Smartphones kennen wir das ja. Die werden am Ende refurbished und günstiger weiterverkauft. Genau solche Konzepte werden wir auch bei industriellen Gütern sehen."

Für die Industrie sei es allerdings wichtig, eine genaue Prognose geben zu können, wie lange ein Produkt noch einsatzfähig sein wird. Dabei müsse man auch berücksichtigen, wie etwa eine Anlagenkomponente bisher betrieben wurde. Außerdem sei Ausgewogenheit in der Entwicklung gefragt. Es dürfe in einer Anlage etwa keine Komponente geben, die alleine lebensdauerbestimmend sei.

Nachhaltigere Batterien

Die Lebenszeit von Produkten und das "Second Life" spielen auch bei Batterien eine große Rolle, deren Weiterentwicklung sich das Technologiefeld ICE ebenfalls widmet. Es gebe hier viele Parallelen zur Chipentwicklung, meint Taucher. "Bei Batterien muss ich auch überlegen, wie ich eine Zelle entwickle, wie ich sie fertige, wie ich sie zu Battery Packs verpacke und wie sie sich in der Betriebsphase verhalten." Das Recycling von Batterien sei ein Problem, das gerade an Aktualität gewinnt. Viele der ersten Elektroautos mit Lithium-Ionen-Batterien am Markt erreichen derzeit das Ende ihrer Lebenszeit.

 

Dieser Artikel entstand im Rahmen einer Kooperation zwischen futurezone und Siemens.

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David Kotrba

Ich beschäftige mich großteils mit den Themen Energie, Mobilität und Klimaschutz. Hie und da geht es aber auch in eine ganz andere Richtung.

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