Energieagentur-Chef: Krise wird Energiewende beschleunigen
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Einmal im Jahr veröffentlicht die Internationale Energieagentur (IEA) ihren World Energy Outlook, bei dem die globale Entwicklung des Energiesektors in der jüngeren Vergangenheit und in Zukunft beleuchtet wird. Der diesjährige Bericht wurde zwar schon Ende Oktober veröffentlicht, nun aber kam IEA-Direktor Fatih Birol nach Wien, um die Schlüsselaussagen persönlich zu klarifizieren.
Eine Frage stand heuer besonders im Vordergrund: Wie wirkt sich Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine und die dadurch ausgelöste globale Energiekrise auf die Energiewende, also die Abkehr von fossilen Kraftstoffen, aus? Birols Ansicht nach gibt es darauf eine optimistische Antwort: Die Krise werde die Energiewende beschleunigen.
Erneuerbaren-Ausbau größer als gedacht
"Der Klimawandel war ein guter Grund, um die Energiewende voranzutreiben, jetzt geht es aber auch um Energiesicherheit", sagt Birol bei einer Veranstaltung an der TU Wien. Der Ausbau von Wind-, Solar- und Wasserkraftwerken ging im vergangenen Jahr schneller voran, als man 2021 noch prognostiziert hatte. "In Deutschland mussten wir unsere Zahlen um 33 Prozent nach oben korrigieren." Bei erneuerbaren Energien werde es laut den IEA-Prognosen in den kommenden 5 Jahren so große Investitionen geben wie in den vergangenen 20 Jahren zusammen.
Die Verkäufe von Fahrzeugen mit Elektroantrieb geben ebenfalls Grund zur Hoffnung. "2019 waren nur 4 von 100 weltweit verkaufen Pkw E-Autos, heute sind es 15. Bei diesem Trend wird 2030 jedes zweite Auto, das in Europa, Nordamerika oder China - also den stärksten Absatzmärkten - verkauft wird, ein Elektroauto sein."
Wirtschaftlicher Eigennutz motiviert
Die Regierungen der Industriestaaten würden große Summen investieren, um die Energiewende zu beschleunigen, durch private Investitionen würden diese Summen multipliziert. "Die Entwicklung dort wird nicht getrieben von Sorgen um das Klima, die Länder wollen eine führende Position im nächsten Kapitel der Industrie ergattern. Sie sehen, dass dort die Zukunft liegt." Europa plane etwa bei Solarzellenproduktion auf China aufzuholen. Die "Führung im Marathon" auf diesem Gebiet hatte man zuvor leichtfertig hergeschenkt. Wirtschaftlicher Eigennutz anstatt eines Verständnisses für globale ökologische Zusammenhänge soll die Klimasünden der Menschheit also richten.
Als positivstes Signal für eine verstärkte Hinwendung zu sauberer Energie sieht Birol den im Sommer 2022 verabschiedeten Inflation Reduction Act in den USA. Dass sich die größte Volkswirtschaft der Welt per Gesetz zu erneuerbarer Energie bekenne, sei die größte Klimaschutzmaßnahme seit dem Pariser Klimaabkommen 2015. Freilich sei sie durch die nächste US-Wahl gefährdet. Man könne laut Birol nur darauf hoffen, dass die US-Bevölkerung die richtige Entscheidung treffe.
Krisenfolgen für arme Länder am schlimmsten
Obwohl sich die Energieversorgung der Welt insgesamt in die richtige Richtung bewege, gibt die aktuelle Energiekrise laut Birol doch Anlass zur Sorge. Europa käme daraus relativ glimpflich hervor, auch wenn es in den kommenden Wintern schwierig werde, an ausreichend Erdgas zu gelangen. Man bekomme einfach die Rechnung für frühere politische Entscheidungen präsentiert, die zu einer Abhängigkeit von einem einzelnen Rohstofflieferanten geführt haben. Russland, der bisher größte Energieexporteur der Welt, verliere dagegen mit Europa seinen bei Weitem größten Kunden, und das möglicherweise für immer.
Am allerschlimmsten aber treffe die Energiekrise Entwicklungsländer. Die steigenden Energiepreise treffen schwache Wirtschaftsräume besonders, sie mache auch Nahrung viel teurer. "Diese Länder werden sich in Schulden stürzen, die sie lange Zeit begleiten werden." Speziell in Afrika seien die Auswirkungen spürbar. Jahr für Jahr sei die Anzahl jener Menschen auf der Welt, die keinen Zugang zu Strom haben, bisher gesunken. Heuer dagegen steige sie wieder.
Wasserstoff aus Eigenproduktion und Afrika
Gerade in Afrika seien die Voraussetzungen für eine Nutzung der Sonnenenergie günstig. Davon könnte langfristig auch Europa profitieren. Wenn jetzt Investitionen getätigt und Handelsbeziehungen ausgebaut werden, könnte Europa etwa durch Elektrolyse hergestellten Wasserstoff aus Afrika importieren - aber auch hier müsse ein neues Verständnis herrschen, warnt Birol. Afrika benötige einerseits selber Energie, Europa solle sich andererseits nicht schon wieder in eine Abhängigkeit begeben.
Insofern müsse Europa auch ein dringendes Problem angehen: Die Umgestaltung der Industrie. Diese sorge für hohen Verbrauch fossiler Energien. Es gelte sowohl die Energieeffizienz zu erhöhen, als auch auf erneuerbare Energieträger umzustellen. Hier käme Wasserstoff ins Spiel. Voraussetzung für dessen Herstellung sei eine Ankurbelung der Produktion von Elektrolyseuren. Verbesserungspotenzial gäbe es unterdessen auch in anderen Bereichen, allen voran bei Gebäuden. Jährlich würden nur ein Prozent aller Gebäude in Europa thermisch saniert, das sei zu wenig.
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