"Wir könnten leben wie in Star Trek oder uns selbst vernichten"
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Anlässlich der "Perform"-Konferenz des amerikanisch-österreichischen Software-Intelligence-Unternehmens Dynatrace hat Garrett Reisman über die Zukunft der Raumfahrt gesprochen. Reisman war als NASA-Astronaut zwei Mal im Weltraum, leitete später die Crew Operations bei SpaceX und ist neben seiner Lehrtätigkeit an der University of Southern California bis heute Berater von Elon Musks Raumfahrtunternehmen.
Hochriskant
Die ganze Geschichte der menschlichen Raumfahrt war laut Reisman stets von einem Wechselspiel zwischen Innovation und Risiko geprägt. "In den frühen Tagen des Wettlaufs ins All war die Raumfahrt sehr innovativ", sagt der Ex-Astronaut. Als bestes Beispiel dafür sieht er die Computer der Apollo-Missionen: "Zu der Zeit füllten Computer noch ganze Räume aus. Der Computer in den Apollo-Kapseln war dagegen winzig. Das war 'Leading Edge'-Technologie."
Einige Tragödien, etwa der Brandunfall von Apollo 1, bei dem 3 Menschen ums Leben kamen, führten dazu, dass die Weltraummächte USA und Sowjetunion vorsichtiger wurden. Risiko-Management sei immer mehr zu Risikovermeidung geworden, meint Reisman. "Die Furcht vor einem unbeabsichtigten Resultat hat die Raumfahrtbranche verschlossen gemacht. Man hat sich nach dem Grundsatz 'Play not to lose' gerichtet."
Private Helfer
Laut Reisman sei die Furcht vor Veränderung etwas sehr menschliches, allerdings liege man dabei einem Trugschluss auf. Denn manchmal passierten Fehler gerade weil man Dinge nicht verändert hat. Bei diversen Unglücken hatte man etwa von strukturellen Schwächen einzelner Bauteile gewusst, deren Designs aus übergroßer Vorsicht aber unangetastet gelassen. Die NASA habe an einem Punkt immerhin die richtige Entscheidung getroffen, den Privatsektor stärker in seine Projekte einzubinden.
"SpaceX hat einen Frachttransporter für Flüge zur ISS zu einem Bruchteil des Preises von öffentlichen Programmen umgesetzt", sagt Reisman. "Diese Silicon-Valley-Mentalität ist ganz anders als jene der traditionellen Raumfahrtbranche. Das ist ein Schlüssel zum Erfolg." Durch enge Zusammenarbeit von NASA und privaten Akteuren sei es auch gelungen, von Privatunternehmen begonnene Projekte zur Reife zu führen und sicherer zu machen.
Unsichtbare Verbesserung
Wenn man die erste Crew-Dragon-Mission mitverfolgt habe, könne man klar erkennen, was der Einfluss von SpaceX gebracht habe. "Die meisten Fernsehzuschauer waren fasziniert, wie cool das Innere der Raumkapsel aussieht. Die größte Aufmerksamkeit haben die Touchscreens erregt, auf denen Bob und Doug [die beiden Testpiloten] herumgetippt haben. Die fortschrittlichste Technik an Bord kann man aber nicht sehen", meint Reisman. Es sei die Software.
"Die Intelligenz dieses Raumfahrzeugs ist so viel größer als jene des Space Shuttles und auch der ISS", meint Reisman. "Dragon erledigt seine Aufgaben viel schneller als Astronauten und macht dabei weniger Fehler." Die zunehmende Automatisierung sei für die Raumfahrer ein Segen. "Im Space Shuttle hatten wir Anzeigen vor uns, mussten die Daten darauf vergleichen und blitzschnell Berechnungen im Kopf durchführen. Wenn wir dabei einen Fehler gemacht hätten, wären wir tot. Die Anzeigen mussten wir übrigens vom Rücksitz ablesen und dem Pilot dabei über die Schultern schauen. So etwas würden wir nie mehr machen und wir sollten es auch nicht."
Automatisierung entscheidend
Was Menschen auszeichne, sei flexibel und anpassungsfähig zu sein. "Trotz der Fähigkeiten von künstlicher Intelligenz ist es schwierig, das zu tun, was Menschen können: Annahmen aufstellen, Entscheidungen treffen." Bei der Automatisierung ergibt sich ein Anknüpfungspunkt zum Geschäft von Dynatrace, das seinen Kunden die vollautomatische Steuerung ihrer IT anbietet.
Automatisierung sieht Reisman auch als ein Schlüsselelement beim Schritt der Menschheit hin zu einer multiplanetaren Gesellschaft. "Die Technologie befähigt uns, das umzusetzen. Um etwa dauerhaft am Mars zu überleben, benötigt man hunderttausende Leute - denn irgendjemand muss dort ja zum Beispiel die Pizza machen. Man kann aber keine 100.000 Menschen dafür trainieren, Astronauten zu werden. Hier kommt die Automatisierung ins Spiel. Die kann hier Defizite überbrücken."
Flug zum Mars
Auf die Frage, wie weit die Menschheit von einer Basis auf dem Mars entfernt ist, meint Reisman: "Es kommt dabei auf zwei Dinge an: Ressourcen und Risiko. Die Mittel, um den Mars zu kolonisieren, haben wir eigentlich jetzt schon. Wenn wir das aber jetzt machen, ist es sehr riskant und bei Weitem nicht so sicher, wie zur ISS zu fliegen. Wenn man den Erdorbit verlässt, lässt man sich auf eine jahrelange Mission ein. Man kann nicht einfach umdrehen und zurückkommen. Aus dem Orbit ist man im Notfall innerhalb von 24 Stunden wieder zurück auf der Erde."
Das derzeit noch größte Problem bei einem Flug zum Mars sei der Strahlungseinfluss. "Wir wissen zwar, welche Strahlung da draußen herrscht, aber wir wissen nicht, was sie über lange Zeit mit menschlichem Gewebe macht. Freilich könnten wir es einfach wagen und losfliegen. Die Belohnung, einen anderen Planeten zu besiedeln ist möglicherweise groß genug. Aber diese Entscheidung liegt nicht bei mir."
Star Trek oder Tod
Langfristig werde die Menschheit im besten Falle den Weltraum besiedeln, meint Reisman. Dass es soweit kommen wird, sei aus jetziger Sicht allerdings sehr unsicher. "Wir könnten eine strahlende Zukunft haben, wo wir alle miteinander zurechtkommen und kooperieren statt uns gegenseitig umzubringen. Im Grunde könnte es wie bei Star Trek sein und wir könnten uns der Entdeckung des Weltraums widmen."
Andererseits könnte es auch dystopisch zugehen: "Auf der Erde gab es schon mehrmals ein Massenaussterben. Irgendwann wird es wieder soweit sein. Es ist aber auch möglich, dass die Menschheit die Welt selbst unbewohnbar macht, etwa durch den Klimawandel oder einen Atomkrieg. Dann wird es um unsere Zukunft schlecht bestellt sein und wir werden nicht auf dem Mars leben. Beide Szenarien sind möglich."
Hoffnungsschimmer
Wenn er selbst angesichts dieses Scheideweges nach Hoffnung suche, führe sich Reisman gerne das Beispiel von Rona Ramon vor Augen. Die Frau des ersten israelischen Astronauten musste zahlreiche Schicksalsschläge in ihrem Leben hinnehmen. Ihr Mann Ilan starb 2003 an Bord des Space Shuttle Columbia. 2009 starb ihr Sohn, ein Kampfjetpilot, bei einem Trainingsunfall. Dann erkrankte sie selbst an Bauchspeicheldrüsenkrebs.
Ramon gründete eine Stiftung, die sich der Förderung israelischer Nachwuchswissenschaftler verschrieb. "Sie wollte andere inspirieren und jungen Menschen dabei helfen, ihre Träume zu erfüllen. Sie hat das als ihre Mission betrachtet. Dass wir eine Mission haben, einen Plan, was wir mit unserem Leben tun, ist für mich der Schlüssel zur eigenen mentalen Gesundheit."
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