© Gregor Gruber

Rezensionen

Zwei Bücher, ein Thema: Aktivismus im Netz

Revolution 3.0 - Die neuen Rebellen und ihre digitalen Waffen (Xanthippe Verlag, 162 Seiten, 19,90 Euro)

Zehn Porträts über "die neuen Rebellen und ihre Waffen”: So versuchen sich Ex-Falter-Journalist Matthias Bernhold und die mexikanisch-libanesische Journalistin Sandra Larriva Henaine gemeinsam in Revolution 3.0, dem Leser einen Überblick über die verschiedenen Betätigungsfelder von Netzaktivisten in der ganzen Welt zu geben. Vom österreichischen Blogger Luca Hammer, dem "Zündler im Audimax”, über die die ägyptische Videobloggerin Sarrah Abdelrahman bis zu US-Buchautor Eli Pariser ("The Filter Bubble”) schildern die beiden Autoren in kurzweiligen Kapiteln die jeweiligen Umstände, Beweggründe und Erfolge ihrer Protagonisten. Interessant ist dabei oft die Stoßrichtung, mit der man sich einem Thema annähert: So wird Anonymous über die "Operation Tequila” in Mexiko erklärt, Einblick in WikiLeaks aus Sicht der isländischen Aktivistin Brigitta Jonsdottir gegeben.

Offene Fragen
Den Autoren gelingt ein guter Querschnitt durch wichtige Ereignisse 2010/2011 und sie bieten vor allem jenen einen schönen Überblick über die relevantesten Positionen, Handlungsträger und Experten, die noch nicht so tief in der Materie stecken. So viele Fragen "Revolution 3.0” auch beantwortet, einige bleiben denn noch offen. Zuallererst der Titel - denn warum gerade eine "Revolution 3.0” (welche war die erste, welche die zweite?) stattfindet, wird nicht erläutert, und ist damit wohl eher der Marketing-Abteilung des Verlages als den Autoren zuzurechnen. Schade ist auch, dass es die Occupy-Bewegung, die Mitte September 2011 losbrach, nicht ins Buch geschafft hat. Stattdessen hat es fragwürdigerweise ein Kapitel über den Schweizer Industriellen Daniel Model ins Buch geschafft, der mit "Avalon” seinen eigenen, zwielichtigen Staat gründen will.

Fazit
Insgesamt ist "Revolution 3.0” ein guter Überblick über aktuelle Entwicklungen in Sachen Netzaktivismus geworden und sei vor allem jenen empfohlen, für die die Thematik eine neue ist - eingefleischte Leser des Netzpolitik-Channels der Futurezone etwa dürften in dem Buch eher wenig Überraschendes entdecken.

Soziale Bewegungen und Social Media - Handbuch für den Einsatz von Web 2.0 (ÖGB Verlag, 392 Seiten, 29,90 Euro)

Mit ihrem "Handbuch für den Einsatz von Web 2.0” haben die Herausgeber Hans Christian Voigt und Thomas Kreiml ein aufwendiges Werk geschaffen, dem man zuallererst einmal Tribut zollen muss. Auf fast 400 Seiten beleuchten sie und etwa 80 andere Gastautoren und -kommentatoren neue soziale Bewegungen und ihre Anknüpfungspunkte ans Social Web - von "unibrennt” über "Stuttgart 21” bis zum Obama-Internet-Wahlkampf bekommt man die volle Bandbreite an politischem und sozialen Aktionismus der vergangenen Jahre präsentiert.  "Soziale Bewegungen entstehen auch nicht im Web, obwohl veränderte Formen der Informationsverbreitung und die Sichtbarkeit von "rumorenden Bewegungen” sicherlich förderlich für die Manifestation dieser Bewegungen sind. Sie bedienen sich ganz einfach der Mittel der Zeit, die gerade da sind, um ihre Bedürfnisse zu erfüllen”, heißt es im Vorwort der Herausgeber. Damit ist die Marschrichtung vorgegeben: Anstatt darüber zu schwadronieren, wie Facebook und Co. vielleicht auf mysteriöse Weise Revolutionen in Nordafrika vom Zaun gebrochen hätten, hält sich das Buch ans Faktische.

Breites Wissen
Dabei ist "Soziale Bewegungen und Social Media” tatsächlich als Handbuch nutzbar und muss nicht zwingend von Seite Eins bis Seite 392 durchgelesen werden. In großen "Manuals” erfährt der angehende Netzaktivist Grundlegendes über Impressumspflicht im Netz, Urheberrecht bei YouTube, Hashtags, Blogroll, Livestreams und Co. Gewürzt werden die Wissens-Basics mit realistischen Einschätzungen zur Wirkungskraft viraler Kampagnen, Facebook-Fans und Online-Petitionen. Interessant ist auch der Blick zurück, den das Kapitel "Widerstand im Global Village” auf die guten alten Indymedia-Zeiten wirft, sowie die Ausflüge in die Welt rund um Chaos Computer Club, Hacker und Datensicherheit. Das abschließende Kapitel "Visionen einer Gewerkschaftsbewegung 2.0” hingegen ist wohl als Pflichtübung zu werten und ein wenig dem ÖGB Verlag geschuldet.

Ein Buch ist nicht das Internet
Problematisch ist das Buch jedoch nicht aus inhaltlicher, sondern aus formaler Sicht: Denn das Bestreben, die Papierausgabe an die digitale Welt heranzuführen, ist nicht ganz aufgegangen. Das im Preis enthaltene eBook sowie die begleitende Webseite sind dabei nicht das Problem, sondern vielmehr das Layout. Das fängt bei den Kapiteln an: Diese werden zwar mit einem Haufen Tags, Avatarbildern und einem QR-Code eingeleitet - doch wer der mehr als 40 Autoren das Kapitel denn nun geschrieben hat, erfährt man nicht. Fragwürdig sind auch die vielen gelben Hervorhebungen von Stichwörtern im Text - solche Markierungen sollte man besser dem Leser und seinem Textmarker überlassen. Dem Lesefluss nicht zuträglich sind auch die vielen Wiki-artigen Einschübe und Erklär-Texte (z.B. zu "Live-Stream”, "Watchblog” oder "Facebook”), die mit ihrer agressiven gelben Farbgebung ständig aus dem Haupttext reißen. Eine gute Idee hingegen sind die Kommentare von Gastschreibern am Ende jedes Kapitels, die dem Inhalt ergänzen, kritisieren, etc.

Fazit
Insgesamt ist mit "Soziale Bewegungen und Social Media” ein guter Sammelband zu den verschiedensten Aspekten von Aktivismus im und mit dem Netz geworden und strotzt nur vor Wissenswertem. Dem gegenüber steht die schwere Lesbarkeit des Titels, der vom Leser viel Umgewöhnung und Umdenken abverlangt. Denn ein Buch bleibt ein Buch, so sehr man es auch zu etwas anderem machen will.

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Jakob Steinschaden

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