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Cyberpunk 2077 im Test: An den eigenen Ansprüchen gescheitert

Seit 2013 der erste Teaser für "Cyberpunk 2077" erschien, wuchs die Vorfreude der Fans auf das Open-World-Rollenspiel, das in einer dystopischen nahen Zukunft spielt. Entwickler CD Project Red hat in den vergangenen Jahren keine Kosten und Mühen gescheut, das Spiel auch in den letzten Ecken des Internets bekannt zu machen. Mit riesiger Spielwelt, innovativem Gameplay und einem individuell anpassbaren Charakter wurde gelockt. Nun ist es hier und viele Fans sind enttäuscht. 

Konsolen-Drama

Ich konnte das Spiel natürlich nicht in einer Woche komplett durchspielen, kann euch aber meinen Eindruck nach über 40 Spielstunden mitteilen. Wenn das Spiel auch tatsächlich fertig gestellt wurde, blicken wir noch einmal darauf zurück. Ich quäle mich durch die PS4 Version, die Sony inzwischen (zurecht) aus dem Store genommen hat. Wie bekannt ist, funktioniert das Spiel auf der alten Konsolengeneration nicht.

Da gibt es nichts schönzureden, mein Spiel stürzt alle 3-4 Stunden ab und sieht furchtbar aus. Wer sich Cyberpunk 2077 zu Weihnachten für Xbox One oder PS4 gewünscht hat, macht sich keine Freude damit und sollte mit dem Kauf warten, bis die Entwickler einen entsprechenden Patch nachschieben. Obwohl die Next-Gen-Version noch nicht draußen ist, kann man die aktuelle Version natürlich auf PS5 und Xbox Series X spielen und hier läuft sie zumindest zufriedenstellend.

Wer einen guten PC hat, der über den Mindestanforderungen liegt, hat zumindest technisch mehr vom Spiel. Ich habe es mit einem älteren Gaminglaptop probiert, mit 16 GB RAM, Intel Core i7-4710, einer Nvidia GTX870M und einer HDD. Das Spiel sieht auch mit niedrigen Einstellungen um Welten besser aus als auf der Konsole und ist bisher kein einziges Mal abgestürzt. Nur die Bildrate bricht manchmal ein, aber das war bisher verkraftbar. Auch die Google Stadia Version soll stabil laufen.

Digital Foundry hat analysiert, ob Cyberpunk 2077 überhaupt auf einer der älteren Konsolen läuft (Spoiler: Nein.):

Gender-Ungerecht

Nehmen wir aber an, das Spiel läuft gut und widmen uns dem Inhalt. Für Hauptcharakter "V" stehen 3 Lebenswege zur Auswahl, die der Figur eine Hintergrundgeschichte geben: "Nomade", "Streetkid" oder "Konzerner". Nomaden kommen aus den ländlichen Außenregionen (die eher an Mad Max erinnern), Streetkids kennen den Untergrund der Stadt gut und Konzerner stammen, wie der Name schon sagt, aus der Megaindustrie, die diese Welt regiert. Das hat aber keine großen Auswirkungen auf das Spiel, man hat aber manchmal zusätzliche Gesprächsoptionen.

Danach hat man viele Einstellungsmöglichkeiten für V. Ganz groß wurde angekündigt, dass der wahlweise männliche oder weibliche Körper nicht das Geschlecht bestimmt. So kann man auch einem Frauenkörper einen Penis geben und einem Mann eine Vagina oder man wählt gar kein Geschlechtsteil. Das klingt begrüßenswert – bis man herausfindet, dass die Stimme (weiblich oder männlich) das Pronomen "er" oder "sie" bestimmt. 

Das sagt einem vor Spielstart niemand, es hat aber Auswirkungen darauf, mit wem man romantische Beziehungen eingehen kann. Wenn man schon mit Transfreundlichkeit wirbt, sollte man sich damit vorher auseinander setzen. Zudem werden Transcharaktere, etwa auf Werbeplakaten im Spiel, übersexualisiert und damit zum Fetisch und zur Werbefigur. Die traurige Ironie bleibt hier nicht verborgen.

Die große Stärke 

Nach einer maximal 20-minütigen, je nach Lebensweg unterschiedlichen, Einführung starten alle Spieler vom gleichen Ausgangspunkt ihrer Karriere im Untergrund der Stadt Night City. Ohne viel zu verraten: Nach einer Verkettung unglücklicher Ereignisse landet eine Art digitaler Geist von Johnny Silverhand (Keanu Reeves) in unserem Kopf. Wir versuchen, dem auf den Grund zu gehen - und die Zeit rennt. 

Die Hauptstory hat man in etwa 30 Stunden erledigt, wenn man es eilig hat. Da aber regelmäßig Nebenmissionen auftauchen, sollte man sich mehr Zeit nehmen. Denn sie sind mit der Geschichte verwoben und machen die Spielerfahrung besser. Die Erzählungen sind die große Stärke des Spiels (böse Zungen würden behaupten, die einzige Stärke). Zugegeben - die ersten 6 bis 7 Stunden haben nichts mit Cyberpunk zu tun und bieten schlauchige Actionshooter-Level. Da muss man durch, wenn man an den Kuchen will. Das ist leider schlechtes Design. 

Danach gibt es aber wirklich großartige Momente, die Kernthemen des Cyberpunk-Genres (wenn man es als solches bezeichnen kann) behandeln: Existenz, Menschlichkeit und Kapitalismuskritik. In einer kleinen, für mich stärksten Szene des Spiels, beginnt man eine Unterhaltung mit einem Sexarbeiter oder einer Sexarbeiterin über die Existenz. Auch die vielen Autofahrten, in denen man als Beifahrer aus dem Fenster blicken kann und in denen nicht gesprochen wird, sind für mich perfekt platziert. Man kann sie zwar überspringen, sie geben aber die Möglichkeit, über die Welt und Ereignisse nachzudenken. Eigentlich nimmt das Genre Cyberpunk Anleihen beim Film Noir und der ist ruhig, langsam und nachdenklich. 

Schießen und Looten

Der Hauptteil des Spiels besteht aber im Kontrast dazu aus ballern, schnetzeln, hacken und schleichen. Allerdings ist das Schleichen gar nicht so einfach, denn wurde man in einem Gebiet einmal gesehen, sind alle Gegner alarmiert und man kann sich nicht wieder verstecken. Da man aber mit Katana oder Gewehr ohnehin einfach durch die Gegner spaziert, wenn man nicht stark unterlevelt ist, ist die Stealth-Methode hauptsächlich anstrengend. Wer sich dann beim "Ripper-Doc" noch sämtliche Körperteile verbessern lässt (für eine stolze Summe wohlgemerkt), ist fast unaufhaltsam.

Man kann Gegner, Kameras und Bildschirme hacken, und so aus sicherer Entfernung Gegner ausschalten. Das ist solide, aber alles nichts Neues. "Deus Ex", "Fallout" und "Watch Dogs" haben das schon vorgemacht. Hat man alle Gegner erledigt, lootet man Unmengen Kram unter dessen Last man langsamer wird. Man kann auch eigene Waffen craften – das ist aber völlig unnötig, da man alle 5 Minuten etwas Besseres findet. Ich bin gut damit gefahren, Waffen, die mir gefallen, ein Upgrade zu verpassen und den Rest zu verkaufen oder zu zerlegen. 

Menü der Schmerzen

Dafür muss man mit einem der schlimmsten Menüs klarkommen, die ich seit Langem gesehen habe. Abgesehen davon, dass einem nichts erklärt wird und die Farben einfach zu grell eingestellt sind, um angenehm etwas lesen zu können, ist es von allem zu viel. Man muss sich einmal durch alle Ecken wühlen, bis man herausgefunden hat, wie viel man eigentlich einstellen kann. Kommt eine neue Option hinzu, findet man sie nur durch Zufall. 

Die Kleidung dient V als Rüstung. Leider muss man sich entscheiden, ob man gut geschützt sein oder cool aussehen will, denn beides geht meistens nicht. Mit silberner Glitzerhose, gepanzerten Wanderschuhen, einem türkisen Sport-Top, einer dreckigen Warnweste und einem Anglerhut würde ich zwar weder in einen Club noch ins Gefecht gehen, aber daran prallen Kugeln wohl auf magische Weise gut ab.

Begrenzte Möglichkeiten

Spielt man Cyberpunk 2077 am PC, ist die Welt wirklich beeindruckend schön. Optisch greift man in die 80er-Jahre-Trickkiste mit viel Neon, Punkrock und Autos, die eher an knatternde kastenartige Pontiacs als futuristische E-Fahrzeuge erinnern. Überall sind Menschen unterwegs, deren Gespräche man belauschen kann, die Welt wirkt durchdacht und lebhaft.

Allerdings kann man außerhalb von Missionen nicht damit interagieren, denn es ist keine Sandbox der unbegrenzten Möglichkeiten wie bei GTA. Das gefällt mir aber gut, denn das macht das Spielerlebnis runder und immersiver. Da ohnehin ständig jemand anruft und eine Nebenmission anbietet, was auch gerne andere laufende Gespräche überlagert, gibt es eigentlich genug zu tun. Minispiele wie Rennen fahren und boxen gibt es, wie in jedem anderen Open-World-Spiel, auch. Kann man machen, muss man aber nicht.

Leider funktioniert die KI häufig schlecht bis mäßig, was diese schöne Welt wieder zerstört. Wenn ich die Polizei aus sicherer Distanz auch nur anschaue, wird die Waffe gezogen und sämtliche Cops des Grätzls jagen mich 15 Minuten lang, bis ich am Boden liege. Nur ein Sprung ins Auto und eine wilde Fahrt durch die Stadt bringt sie von meiner Fährte ab. Da sich Fahrzeuge aber mühsam steuern, ist die Polizei dann schnell wieder alarmiert, weil ich beim Bremsen versehentlich 5 Passanten überfahren habe.

Fazit

Cyberpunk 2077 könnte ein tolles Spiel sein, wenn es fertig wäre. Das ist vor allem schade, wenn man bedenkt, dass die Entwickler monatelang in 6-Tage-Wochen versucht haben, der Aussage ihres Chefs gerecht zu werden, Cyberpunk liefe auf aktuellen Konsolen „überraschend gut“. Das hat nicht geklappt und nun geht es zurück an den Schreibtisch, damit bis Februar die gröbsten Mängel behoben werden. Unter welchen Umständen das erarbeitet wird, kann man sich vermutlich denken.

Selbst mit einem PC für mehrere Tausend Euro läuft das Spiel nicht ohne Performanceeinbrüche. Es überhaupt für PS4 und Xbox One herauszubringen war ein Fehler, der den Ruf des Studios nachhaltig schädigen wird. Die älteren Konsolen aber gar nicht mehr zu bedienen, hätte zu viele Kunden verärgert, die noch keine neue Konsole haben – und damit wären auch die Verkäufe eingebrochen. Deshalb hat man es eben versucht und ist an den eigenen Ambitionen und dem Hype, den man über Jahre und Monate selbst aufgebaut hat, gescheitert.

Deswegen ist Cyberpunk 2077 aber kein schlechtes Spiel, sondern erzählt eine gute Geschichte und wurde gelungen designed. Vor allem durch seine Story schafft es zu glänzen und Genrefans werden ihre Freude damit haben. Aber es ist nicht die Revolution, die den Spielern versprochen wurde. Es ist kein „The Witcher 3“, von dem man noch 5 Jahre nach seiner Veröffentlichung schwärmt. Wenn die Fehler behoben wurden und die Version für die neue Konsolengeneration da ist, werden wir noch einmall einen Blick darauf werfen. Bis dahin ist die Chance groß, dass man vom Spielerlebnis enttäuscht wird. Den vollen Preis von 70 Euro für die Konsolenversion ist es (noch) nicht wert, die 60 Euro für PC kann man ausgeben, wenn man noch immer Lust darauf hat.

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Franziska Bechtold

frau_grete

Liebt virtuelle Spielewelten, Gadgets, Wissenschaft und den Weltraum. Solange sie nicht selbst ins Weltall kann, flüchtet sie eben in Science Fiction.

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