Death Stranding im Test: Weder massentauglich noch unterhaltsam
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Death Stranding spaltet die Gemüter. Für die einen ist es das Spiel des Jahres, für die anderen eine einzige überbewertete Qual. Spricht man über das Spiel, dann immer auch über dessen Schöpfer, Hideo Kojima und die Frage, ob er wirklich genial oder ein merkwürdiger Typ mit merkwürdigen Ideen ist. Die Wahrheit liegt, wie so oft, irgendwo dazwischen. Die viel wichtigere Frage ist aber: Ist Death Stranding ein gutes Spiel? Für eine kleine Zielgruppe lautet die Antwort eindeutig: Ja.
Mehr Film als Spiel
Schon die ersten Stunden machen deutlich, dass weniger Spiel in Death Stranding steckt als - sehr gute - filmische Inszenierung. Wer Norman Reedus, Léa Seydoux und Mads Mikkelsen für tragende Rollen engagiert, der will sie auch entsprechend in Szene setzen. Deshalb dauert es sehr lange, bis man seine Hauptfigur Sam Bridges (Reedus) tatsächlich mal längere Zeit selbst durch die utopische Version der USA steuern darf.
Er ist als Bote unterwegs, der Versorgungspakete, Medizin und Elektronik zu den Posten der letzten Menschen transportiert. Sie verstecken sich in wenigen Städten und unterirdischen Bunkern vor sogenannten GDs. Das sind Wesen aus der Totenwelt, gegen die es kaum Schutz gibt und die immer erscheinen, wenn es regnet. Dieser Zeitregen lässt alles rapide altern, was er berührt. Wenige Menschen wie Sam besitzen Dooms (besondere Gene) und können damit GDs erkennen. Dafür nutzen sie ein sogenanntes Bridge-Baby, oder kurz BB. Sie können eine Verbindung zur Totenwelt herstellen, da ihre Mütter bei der Geburt starben. BBs dienen als Detektor für GDs.
Der Kurier Sam hat so ein BB und ist nicht nur genetisch besonders, er ist auch der Sohn der Präsidentin und soll für sie die gesamten USA wieder an das sogenannte chirale Netzwerk (eine Art erweitertes Internet) anschließen. Amerika ist zerrüttet und teilt sich in mehrere Lager - die Anhänger der Präsidentin und die Rebellen unter der Kontrolle von Higgs Monaghan (Troy Baker). Man wird häufig mit Fekalien, Nabelschnuren und Tentakelmonstern konfrontiert, was sich meist auf dem Absurditätspektrum weit oben einreiht, manchmal aber auch sehr dumm ist. Die mit fortschreitendem Spiel spannender und atmosphärischer werdenden Zwischensequenzen haben maßgeblichen Anteil daran, dass man den Controller nicht schon nach kurzer Zeit beiseite legt.
Schleichen und Verstecken
Spielerisch ist absolut nichts kompliziert an Death Stranding, außer der Menüführung. Man nimmt Aufträge an und trägt die Fracht von A nach B. Schwieriger ist zu verstehen was man machen muss, wo man hin muss und welche Items man wie und wann benutzt. Das ist nämlich alles andere als intuitiv, auch nach vielen Spielstunden nicht. Da gibt es unzählige Zahlen und Informationen die keinerlei Auswirkungen haben zwischen ebenso winzigen Angaben, die aber besonders wichtig sind.
Hat man einen Auftrag erfolgreich abgeschlossen, erhält man unzählige Bewertungen, die in Likes umgerechnet werden - die Erfahrungspunkte im Spiel. Die scheinen dem weiteren Spielverlauf zunächst wenig hinzuzufügen, sorgen aber später für Boosts wie bessere Balance, mehr Ausdauer und höhere Tragkraft. Erklären will einem das aber niemand so richtig.
Unterwegs muss man gegen Angriffe von Räubern und GDs gewappnet sein. Meistens schleicht man und versteckt sich, wie ein echter Postbote. Hält man die Luft an, wird man unsichtbar für GDs. Schafft man es nicht rechtzeitig zu reagieren, öffnet sich eine Art Teer-Teich unter Sams Füßen und Untote versuchen ihn hineinzuziehen. Im Spielverlauf erwirbt man Spezialwaffen, die gegen sie eingesetzt werden können. Schafft man es nicht rechtzeitig aus ihren Fängen, wird man zu einem Bosskampf verschleppt, bei dem man gegen einen Teer-Wal antritt.
Menschlichen Gegnern lauert man im hohen Gras auf und haut ihnen mit einem Koffer ins Gesicht, bis sie umfallen. Da die Räuber in ihren Gebieten die Pakete orten können und Sam sich mit Türmen an Gepäck auch im Gras nicht verstecken kann, muss man besonders vorsichtig vordringen. Oder man stibitzt sich eines ihrer Fahrzeuge und überfährt alle.
Nicht umfallen
Die größte Herausforderung des Spiels besteht darin, beim Transportieren des schweren Guts nicht hinzufallen. Indem man die Trigger am Controller hält, stabilisiert sich Sam beim Gehen und kullert nicht jeden winzigen Abhang herunter als wäre er Volltrunken. Schon nach kurzer Zeit erhält man ein Exoskelett und ein Motorrad, mit denen noch mehr transportiert werden kann. Darüber ist die Freude groß, denn man kommt schneller zum Ziel.
Allerdings bleibt das Ding an jedem Grashalm hängen. Das ist besonders nervig, wenn auf der Reise der fantastische Soundtrack einsetzt, mit dem Sam in den Sonnenuntergang fahren könnte, er aber alle paar Meter zwischen zwei Kieselsteinen feststeckt. Das Durchqueren eines Flusses wird immer - egal ob zu Fuß, mit dem Motorrad oder einem Truck - zum Nervenkitzel: Schafft man es auf die andere Seite oder übersieht man einen winzigen Kiesel, kippt um und kann der gesamten Fracht beim Wegschwimmen zusehen?
Eine Schnellreisefunktion ist zwar früh verfügbar, man kann allerdings weder Fahrzeuge noch Fracht mitnehmen - was die Funktion nur mittelmäßig sinnvoll macht. Später wird eine Last-Drohne verfügbar, die brav bei Fuß folgt und als Hoverboard zweckentfremdet werden kann - eines der besten Helferlein im Spiel. Wie in "Zurück in die Zukunft" funktioniert das Hoverboard allerdings auch nicht über Wasser.
Grillen und looten
Death Stranding ist wenig überraschend kein Spiel, das für gute Laune sorgt. Selbst wenn mal kein tödlicher Regen fällt (vor dem man nur mit einer halbherzig ins Gesicht gezogenen Kapuze geschützt wird), ist alles grau und traurig. Die USA sehen aus wie Island (weil Kojima dort im Urlaub war) mit grauen und roten Steinwüsten, dunkelgrünen sumpfigen Wiesen und verschneiten Bergen. Das gibt dem Spiel aber eine unverkennbare Optik und Melancholie. Ein großes Highlight des Spiels ist sicherlich die Rückblende auf eine Schlacht, bei der man sich im Schützengraben wiederfindet. Trotz mangelhafter Schussmechanik überwiegt die gelungene Inszenierung die schlechte Steuerung.
Menschliche Begegnungen werden in Death Stranding auf ein Minimum reduziert, persönlich trifft Sam hauptsächlich auf Feinde. Deren Drang nach körperlicher Nähe äußert sich, indem sie Sam mit einem Elektrostab grillen und anschließend sein Hab und Gut plündern. Bizarr, denn das Argument dafür, dass in einer High-Tech-Zukunft immer noch Paketboten unterwegs sind, ist dass Menschen Interaktion mit anderen Menschen wünschen. Warum sie dann meist nur als Hologramme auftreten, ist befremdlich. Sie sorgen sich um ihre Sicherheit - für Sam, der ihre Drecksarbeit verrichtet, könnte man aber ein bisschen mehr Vertrauen entgegenbringen.
Online ist man weniger allein
Unterwegs kommen die schönste Features des Spiels zu Tragen: Meditatives Gehen und eine sehr besondere Art des Austauschs mit anderen Spielern. Um die Tod und Verderben bringenden Flüsse oder Steilhänge zu überwinden, kann man Leitern, Seile und Brücken bauen. Diese können auch andere Spieler nutzen. Komplexere Bauten wie Straßen kann man Stück für Stück gemeinsam erstellen, da hierfür viele Ressourcen notwendig sind. Auch Generatoren zum Reparieren von Fahrzeugen, Schilder mit Warnungen oder Hilfsmittel zum Aufladen der Ausdauer kann man aufstellen. Empfindet man etwas als hilfreich, kann man dafür Likes vergeben. Es ist wirklich nett zu lesen, dass ein anderer Spieler über meine Brücke gegangen ist und mir dafür 20 Likes dagelassen hat.
Eine weitere Interaktions-Möglichkeit ist das Aufstellen von Briefkästen. Hier kann man Pakete lagern, die man selbst nicht mehr ausliefern kann oder will. Der nächste Spieler, der vorbeikommt, kann dann den Auftrag beenden und beide erhalten Likes. Man trifft die Spieler allerdings nicht und das System balanciert die Integration der Objekte gut genug aus, dass nicht 500 Leitern nebeneinander liegen. Das Gefühl, gemeinsam mit anderen, echten Menschen in dieser tristen Welt zu existieren, macht Death Stranding viel lebhafter. Auch wenn man sie nicht sieht.
Norman Reedus teurer Hintern
Meistens fühlt sich das Spiel mehr nach Arbeit an, als nach Unterhaltung. Nach jedem Auftrag muss ich mit Sam einzeln duschen, pinkeln und kacken, das Baby beruhigen und einen Energy Drink zu mir nehmen. Jede dieser Aktionen löst eine Zwischensequenz aus. Aber wenn man für Norman Reedus’ blanken Hintern bezahlt, dann muss der eben auch 200 Mal im Bild sein. Man kann die Sequenzen überspringen, sie nerven aber trotzdem. Die unglaublich dreiste Integration von Monster Energy - nicht nur einmal, sondern als Standard-Methode um seine Ausdauer zu erhöhen - ist schon unfreiwillig komisch. Bitte, bitte, mit Kirsche obendrauf, macht sowas nicht zum Industrie-Standard.
Die Reise, die man mit Sam macht, ist schön aber wahnsinnig bedeutungsschwanger inszeniert. Die kreativen, filmischen Zwischensequenzen und der atmosphärische Soundtrack, der pointiert eingesetzt wird, machen das Spiel trotz seiner Makel zu einem Erlebnis - wenn man es über das zähe Kapitel 3 hinausschafft. Mit wirklichen Antworten auf alle Fragen ist aber schlussendlich nicht zu rechnen. Obwohl es ausreichend Twists und Aha-Momente gibt, habe ich keinen befriedigenden Abschluss erlebt. Wer sich für Film und storylastige Spiele interessiert, der kann zumindest zwei elementare Wendungen voraussehen - oder wird zumindest nicht völlig von ihnen überrascht. Das Spiel endet in einer stundenlangen Zwischensequenz, die man sehr leicht um ein paar Fremdschäm-Momente hätte kürzen können.
Fazit - Kojima und die künstlerische Freiheit
Es ist absolut verständlich, dass Regisseure wie Guillermo del Toro, Nicolas Winding Refn und Fatih Akin Death Stranding loben. Welcher Regisseur würde nicht wollen, dass all seine kreativen Ergüsse ungebremst und ohne Einschränkungen visualisiert werden? Eben. Man kann kritisieren, Kojima hätte lieber einen Film drehen sollen. Aber zu sagen, das Spiel sei deshalb schlecht, ist ein bisschen zu simpel.
In vielerlei Hinsicht schafft Kojima Momente, die es so noch nie gab. Insbesondere die subtile und unaufdringlichen Art, wie Online-Gaming eingebunden wird, sticht hier hervor. Wäre das Spiel von einem kleinen Indie-Studio entwickelt worden, würde es wahrscheinlich als Revolution gefeiert. Nur weil viele - insbesondere Kritiker, mich eingeschlossen - laut aufstöhnen, wenn ein Spiel länger als 20 Stunden dauert, heißt das nicht, dass es automatisch für niemanden geeignet ist. Ganz im Gegenteil ist Death Stranding mit seiner langsamen Erzählung und utopischen Fantasiewelt der Inbegriff von Eskapismus für Geduldige. Der Rest kann warten, bis es mal um 30 Euro im Angebot ist.
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