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Pokémon Let’s Go im Test: Ein Albtraum für Fans der Original-Spiele

Endlich ein „echtes“ Pokémon-Game für eine moderne Konsole, die man auch als Erwachsener nutzen kann, ohne die Finger zu verkrampfen: Das war die Erwartung an Pokémon Let’s Go (Nintendo Switch), das in einer Pikachu- und Evoli-Edition verfügbar ist. Das Ergebnis ist aber keine modernere Version von Pokémon Mond & Sonne (Nintendo 3DS), sondern ein Hybrid aus dem Smartphone-Game Pokémon Go und dem vor 18 Jahren für den Game Boy erschienenen Pokémon Gelb. Spoiler Alert: Das Ergebnis wird treuen Fans nicht gefallen.

Pikachu auf der Schulter

Die Story und Spiele-Welt entspricht Großteils der von Pokémon Gelb. Das heißt, dass man im Game auch bekannte Charaktere sieht, wie Misty oder Jessie und James vom Team Rocket. Diese massive Ladung Nostalgie lässt nicht nur die Herzen der Kenner des Original-Spiels höherschlagen, sondern entzückt auch diejenigen, die die Anime-TV-Serie miterlebt haben.

Je nachdem, welche Edition man gekauft hat, ist das Start-Pokémon Pikachu oder Evoli. Diese sitzen auf eurer Schulter, können per Touchscreen gestreichelt und gefüttert werden und belohnen euch dafür mit süßen Animationen und fröhlichen Geräuschen. Wer noch mehr Begleitung haben will, kann ein weiteres Pokémon aus dem Ball holen, das mit dem Spieler mitläuft und ab und zu versteckte Gegenstände findet. Im weiteren Spielverlauf kann auf manchen Begleit-Pokémon geritten werden, um schneller durch die Welt zu reisen.

Pokémon Light

Die Ernüchterung für Hardcore-Fans kommt, wenn das erste wilde Pokémon auftaucht. Anstatt wie üblich es durch Attacken so weit zu schwächen, dass es eingefangen werden kann, wird einfach ein Pokéball darauf geworfen – so, wie man es von Pokémon Go für das Smartphone kennt.

Obwohl ich durch Trailer, Previews und Vorschauen darauf vorbereitet war, war es doch wie ein Schlag in die Magengrube: Wieso pfuscht Nintendo in meinen Jugenderinnerungen herum? Warum wird eine der Grundmechaniken und damit des größten Nervenkitzels entfernt? Und weshalb sollte ich überhaupt dieses Game kaufen? Wenn ich einfach nur Pokébälle herumschupfen will, kann ich gleich das kostenlose Pokémon Go spielen.

Hinzu kommt noch, dass das Ballwerfen auf der Switch schlechter funktioniert, als auf dem Smartphone. Nutzt man die Joy-Cons oder den Pokéball-Plus-Controller, muss man eine Wurf-Geste machen. Das ist vielleicht ein paar Mal lustig, aber ungenau und bei längeren Spielesessions mühsam. Spielt man am TV, muss man mit der Bewegungssteuerung spielen. Lediglich im Handheld-Modus entgeht man der Bewegungssteuerung großteils. Hier muss man lediglich die gesamte Switch manchmal ein wenig schwenken, um präzise zu zielen. Das Werfen wird per Tastendruck erledigt.

Das neue Grinden

Nach den ersten paar Spielstunden hat es aber Klick gemacht. Pokémon Let’s Go ist nicht für die Hardcore-Fans, sondern für die Altgewordenen, die zwar in Erinnerungen schwelgen wollen, aber nicht mehr den Druck und Nervenkitzel von damals brauchen. Positiver Zusatznutzen: Das so entstandene „Pokémon Light“ ist auch für Kinder und Spieler geeignet, die vor dem Smartphone-Game Pokémon Go keines der klassischen Spiele gespielt haben.

Das zieht sich durch das gesamte Game. Wilde Pokémon sind jetzt sichtbar, man kann also gezielt auf die Jagd gehen oder ihnen ausweichen. Die Kämpfe gegen andere Trainer mit maximal sechs Pokémon gibt es nach wie vor, allerdings gibt es oft Alternativrouten in der Welt, um ihnen auszuweichen. Trainer mit besonders starken Pokémon sagen vorher, dass sie das sind und fragen, ob man wirklich gegen sie kämpfen will.

Das Grinden, also das ständige Kämpfen gegen wilde Pokémon, um das eigene Team stärker zu machen, gibt es in dieser Form nicht mehr. Das Fangen der Pokémon gibt Erfahrung für das gesamte Pokémon-Team. Man muss also einfach immer nur alles am Bildschirm fangen – so wie am Smartphone.

Hass der Hardcore-Gamer

Werden Pokémon an Professor Eich geschickt, bekommt man, wie im Smartphone-Spiel – Bonbons als Belohnung. Diese können an die eigenen Pokémon verfüttert werden, um permanent ihre Statuseffekte zu verbessern. Für euer Start-Pokémon gibt es sogar Spezial-Bonbons, die alle Statuswerte erhöhen.

Für Hardcore-Gamer grenzt das an Blasphemie. Bei den Kämpfen gegen menschliche Spieler ist das Jonglieren und Optimieren der Statuswerte und Attacken der einzelnen Pokémon essenziell, um erfolgreich zu sein. Das Erhöhen der Werte nach Wunsch mit Bonbons wird von manchen Gamern als „eingebaute Cheats“ bezeichnet – für sie ist der Multiplayer-Aspekt von Pokémon Let’s Go damit gestorben.

Es geht noch leichter

Damit endet aber das Senken des Schwierigkeitsgrads nicht: Bei den Original- Poké-Games hatte man immer nur sechs Pokémon gleichzeitig dabei. Wollte man diese gegen andere, gefangene Pokémon austauschen, musste man in einem Pokémon-Center, die es nur in Städten gibt, auf den Computer zugreifen. Bei dem Switch-Spiel öffnet man einfach die Pokémon-Box im Inventar – im Grunde hat man also immer alle gefangenen Pokémon dabei, anstatt nur ein Team aus sechs Stück.

Immer noch zu schwer? Dann hilft der Koop-Modus. Schüttelt man die zweite Joy-Con, kann man zu zweit gleichzeitig spielen. Spieler Eins übernimmt die Steuerung beim Wandern durch die Welt. Der zweite Spieler kann hier nur auf dem aktuellen Bildausschnitt herumlaufen, es reicht aber um den Hauptspieler zu zeigen: „Stell dich mal hier hin“. In Trainer-Kämpfen kämpft man im Koop-Modus mit zwei Pokémon des Hauptspielers gleichzeitig gegen das Eine des Gegners, was es natürlich einfacher macht. Und werfen beim Fangen beide Spieler gleichzeitig den Pokéball, vereint er sich zu einem besonders starken Ball, bei dem die Chance höher ist, dass das Pokémon gefangen wird.

Das alles sorgt dafür, dass Pokémon Let’s Go deutlich einfacher als die Original-Games ist. Wenn man sich nicht auf den Kult-Status der alten Spiele und dessen Mechaniken versteift, ist das positiv. Den Frust und tagelangen Grind hat man in der Jugend schon gehabt: Kein Grund das als Erwachsener zu wiederholen. Der Arbeitsalltag ist anstrengend genug, da kann es in der Pokémon-Welt ruhig etwas einfacher sein.

Immerhin hat Nintendo ein bisschen an die Profis gedacht. Nach dem Beenden der Story tauchen in der Welt Meistertrainer auf. Diese müssen in einem 1 vs 1 Pokémon-Kampf besiegt werden – mit demselben Pokémon. Hat der Meistertrainer also ein Garados, benötigt man selbst eins. Die Level der Meistertrainer-Pokémon sind zwischen 65 und 80.

Zwar kein Endgame-Inhalt aber recht spät im Spiel taucht die Möglichkeit auf, Pokémon vom Smartphone-Spiel ins Switch-Spiel zu übertragen. Dabei sollte man aber bedenken, dass ein Zurücktauschen nicht möglich ist. Geschickte Pokémon verschwinden also aus der Pokémon-Go-Sammlung.

Pokéball Plus

Zusammen mit dem Switch-Spiel ist mit dem Pokéball Plus ein eigener Controller erschienen. Dieser ist im Bundle oder für 50 Euro separat erhältlich. Der Pokéball Plus ersetzt beim Spielen die Joy-Cons. Er hat einen klickbaren Analog-Stick eingebaut und eine etwas versteckte Zurück-Taste.

Aufgrund der doch kompakten Maße ist er aber nicht für Erwachsenen-Hände geeignet. Für das Erreichen des Analogsticks muss man den Daumen stark Abwinkeln. Da das Drücken des Analogsticks das Bestätigen von Auswahlmöglichkeiten ist, kann es passieren, dass man beim verkrampft Drücken unabsichtlich nach oben oder unten drückt und deshalb das Falsche auswählt. Das ist besonders ärgerlich, wenn man deshalb ungewollt „Nein“ auf die Frage wählt, ob ein Pokémon eine neue Attacke erlenen will – die Chance gibts nämlich nur einmal.

Der Pokéball Plus hat auch einen Standalone-Modus. Über das Spiel kann ein Pokémon hineintransferiert werden. Je mehr Schritte man mit dem Pokéball geht, desto mehr Erfahrung sammelt man. Dreht man am Abend die Switch wieder auf, kann das Pokémon, welches im Ball mitgenommen wurde, dadurch mehrere Levels stärker geworden sein.

Geniert man sich nicht dafür, kann man den Pokéball unterwegs auch schütteln. Man hört dann den markanten Schrei des Pokémon, das in den Ball transferiert wurde. Nimmt man sein Pikachu oder Evoli mit, gibt es mehrere verschiedene Poké-Schrei-Soundfiles zu hören.

Fazit

Pokémon Let’s Go versucht so viele Zielgruppen wie nur möglich zufriedenzustellen: Kinder, Pokémon-Go-Spieler und Veteranen, die vor etlichen Jahren die echten Poké-Spiele aufgegeben haben und jetzt einen Ausflug in die Vergangenheit machen wollen. Das gelingt auch: Der Schwierigkeitsgrad wurde so gesenkt und angepasst, dass die Frustrationsschwelle gering ist: Spaß > Herausforderung.

Nur die Hardcore-Fans, die die aktuellen Pokémon-Spiele auf dem 3DS spielen, werden keine Freude damit haben. Aber für die gibt es ja immer noch die 3DS-Games. Wir Kinder und Altgewordene halten uns an die Switch-Version.

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Gregor Gruber

Testet am liebsten Videospiele und Hardware, vom Kopfhörer über Smartphones und Kameras bis zum 8K-TV.

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Gregor Gruber

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