Alles Leihgwand!
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr!
Manche Ideen klingen so luftig, dass man sie sich höchstens als Dekoration für hübsche Innovationsbroschüren vorstellen kann – und dann kommt jemand und macht etwas ganz Einfaches, Praktisches daraus. Michael Schragge etwa, Gründer der in Stockholm ansässige Sustainable Fashion Academy, liegt eine Veränderung unseres Konsumverhaltens am Herzen: weniger kaufen und stattdessen „Mode-Erfahrungen abonnieren”, wie er es einmal reizvoll, aber etwas rätselhaft formulierte.
Zwei jungen Frauen aus Köln, Pola Fendel und Thekla Wilkening, war offenbar sofort klar, was damit gemeint sein muß. Vor anderthalb Jahren eröffneten sie Deutschlands erste Kleiderbücherei, die Kleiderei. Second-Hand-Shop war gestern – heute werden Kleider, Schuhe und Accessoires im Abo verliehen. Nicht recyeln, damit wieder etwas Neues produziert werden kann. Es ist die ultimative Nachhaltigkeit. „Es fühlt sich an“, sagt eine Kundin, „als würde man sich einen großen Kleiderschrank teilen.“ Sharing is caring. Um nicht mehr nur in ihren beiden kleinen Läden, sondern auch online sharen zu können, haben die beiden Studentinnen gerade auf dem Crowdfunding-Portal Startnext eine Kampagne gestartet.
Suffizienz nennen Ökologen das Bemühen um einen möglichst geringen Rohstoff- und Energieverbrauch, dem die effizienten Kommunikations- und Verknüpfungsmöglichkeiten des Internet mit einem Füllhorn neuer Services entgegenkommen.
Erlebnisse sind wichtiger als Dinge
Während eines Südafrika-Urlaubs kam dem Hamburger Wirtschaftsinformatiker Philip Glöckler eine Idee. Er wollte wissen, welcher seiner Freunde gerade in Kapstadt ist, von wem er sich ein Surfboard ausleihen könnte und wo es den besten Burger in der Stadt gibt. Der Gedanke, über Produkte mit Freunden ins Gespräch zu kommen und sozusagen verborgene Gemeinsamkeiten zu entdecken, ließ ihn auch nach dem Urlaub nicht mehr los. Also schrieb er Why own it – eine App, die es einfach macht, sich Gebrauchsgüter von seinen Freunden und Nachbarn zu leihen, sei es ein Reiseführer, eine Leiter für Malerarbeiten, ein aktueller Bestseller oder einen Akkuschrauber. Statt sich etwas neu zu kaufen, bekommt man Zugriff darauf und hat vielleicht auch noch ein nettes Zusammentreffen. „Erlebnisse sind wichtiger als Dinge“, findet Glöckler.
Untersuchungen zufolge soll allein in deutschen Haushalten ungenutzter Hausrat im Wert von 35,5 Milliarden Euro herumliegen. Jeder Haushalt hortet demgemäß Dinge im Wert von mehr als 1000 Euro, die er nie oder fast nie benötigt. Die vielzitierte Bohrmaschine etwa wird auf ihre Lebensdauer gerechnet im Durchschnitt 13 Minuten lang genutzt. Aber auch in Österreich hat die Idee „borgen statt kaufen“ schon Wurzeln geschlagen. Vorerst noch auf Wien beschränkt, kann man sich etwa bei usetwice.at vom PKW-Anhänger bis zur Violine alles mieten, das man sich nicht unbedingt ständig anschaffen möchte.
Die Dinge fahren durch die Welt
Auch mit Fahrzeugen verhält es sich nicht viel anders als mit der Bohrmaschine. Auf 1.000 Österreicher kommen durchschnittlich 540 Autos, die eine Stunde am Tag gefahren werden und 23 Stunden stehen – Voraussetzungen, die förmlich danach schreien, dass man sich einen Wagen teilt. Erhört wird man auf Plattformen wie car2go (nur in Wien), Zipcar, Flinkster oder Carsharing24/7.
Mit dem florierenden Interesse am digital bequemisierten Tauschhandel beginnt sich auch der Wert von Besitz zu verändern. Der Zugriff auf Dinge und Dienstleistungen gewinnt gegenüber dauerhaftem Besitz an Bedeutung. Der Unterschied wird deutlich, wenn man die Philosophie des Versandhändlers Amazon mit der von Uber vergleicht, einem Start-up, das als Taxidienst ohne eigene Taxis begonnen hat (Uber stellt nur eine App bereit, die Fahrer und Fahrgast zusammenbringt), inzwischen aber auch eigene Wagen einsetzt. Während Amazon sich auf das Liefern von Dingen an deren künftige Eigentümer verlegt hat und dies immer weiter zu beschleunigen versucht, ist man bei Uber zu dem Schluß gekommen, nicht im Taxigeschäft sondern in der Logistikbranche tätig zu sein und Dinge schnell, simpel und billig irgendwo hinzubringen – ob Fahrgäste oder eine Bohrmaschine, und ob von privat zu privat oder von einem Logistikzentrum zu einem Kunden.
Auch diese Idee ist in Österreich bereits in Fahrt gekommen. Vor einem Jahr nahm mit Checkrobin auf der Strecke zwischen Wien und Villach eine neue Art des Car-Sharings den Betrieb auf: das Crowd-Transporting. Dabei stellen Privatpersonen via Checkrobin Platz in ihrem Auto für den „schnellen Transport von Dingen aller Art” zur Verfügung. Gewöhnlich sind die Fahrzeuge zu 90 Prozent bis auf den Fahrer fast leer – warum diesen wertvollen Laderaum also nicht als schnellen und einfachen Transportweg nutzen?
Revolution des Verkaufens
Ein vielversprechendes Geschäftsmodell, wenn man davon ausgeht, dass es in Zukunft immer öfter darum gehen könnte, eine Bohrmaschine - oder was auch immer - zur Verfügung zu haben, ohne sie kaufen, besitzen und herumliegen haben zu wollen.
Und dadurch verändert sich noch etwas: Ein Hersteller, der nicht unter Konkurrenzdruck die kostengünstigste Bohrmaschine herstellen muß, die es zu kaufen gibt, sondern eine, die man sich leihen kann, wird darauf bedacht sein, dass die Bohrmaschine so lange wie möglich hält. Das wiederum ist nicht nur vom ökonomischen, sondern auch vom ökologischen Standpunkt her interessant. Wenn immer weniger Produkte und immer mehr Dienstleistungen verkauft werden, wird womöglich das ganze Modell des Verkaufens revolutioniert.
Kommentare