Der beste Wunderheiler der Welt
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Hunderte Menschen richten ihren Blick zur Bühne, manche haben Tränen in den Augen, allen ist ihre Ergriffenheit anzumerken. Vorne auf der Bühne steht der vermutlich merkwürdigste Wunderheiler der Welt: Braco, ein Superstar der Esoterik-Szene.
Im Gegensatz zu anderen Wunderheilern ist Braco kein Scharlatan. Er verbreitet keinen Unfug über heilsam-energetisierende Quantenschwingungen. Er erzählt keine Lügengeschichten über außersinnliche Kommunikation mit Aliens, er konstruiert keine Verschwörungstheorien. Braco steht einfach da – entspannt, unaufdringlich, fast ein bisschen schüchtern. Sein „heilsamer Blick“ schweift über die Menschenmenge. Er sagt kein Wort. Er schaut nur. Und dann geht er wieder.
Im Saal hinterlässt Braco (sprich: „Bratzo“) ein begeistertes Publikum: Ganz unterschiedliche Krankheiten seien durch ihn verschwunden, berichten die Leute. Kopfschmerzen und Allergien soll er durch seinen Blick geheilt haben, Hautprobleme sollen zurückgegangen sein, ein taubes Kind soll durch Bracos heilende Kraft wieder hören. Die meisten seiner begeisterten Fans berichten aber einfach, dass sie durch Braco Ruhe und Kraft spüren, dass er ihnen ein Gefühl von Frieden und Wohlbefinden vermittelt.
Wer nichts sagt, der lügt auch nicht
Bracos Konzept ist so genial, dass wir eigentlich alle neidisch sein sollten, nicht selbst auf die Idee gekommen zu sein: Er behauptet einfach gar nichts. Er bezeichnet sich nicht als Heiler, er macht keine Versprechungen. Er lässt bloß seine Fans jubeln und ihre Begeisterungsmeldungen auf seine Homepage stellen. Braco lügt nicht, Braco betrügt nicht, Braco kann man eigentlich überhaupt nichts Böses vorwerfen. So betrachtet ist Braco wohl der sympathischste Wunderheiler von allen. Braco steht einfach auf der Bühne und bekommt Geld fürs Nichtstun. Nach der Show kann man zusätzlich noch tolle Braco-Produkte kaufen, von der DVD bis zur Original-Braco-Sonne aus Gold.
Aufgewachsen ist Braco in Kroatien, eigentlich heißt er Josip Grbavac. Als er 26 Jahre alt war, lernte er den charismatischen Wunderheiler Ivica Prokic kennen, von dem er auch seinen Künstlernamen bekam: Prokic nannte ihn „Braco“ – kroatisch für „kleiner Bruder“. Nach Prokics Tod trat Braco in dessen Fußstapfen, heute reist er von Bühnenshow zu Bühnenshow. Er trat in Australien auf und in Russland, er richtete seinen heilenden Blick auf Menschen in Japan und in den USA. Immer wieder ist er auch in Deutschland und Österreich zu bewundern – im September kommt er wieder nach Vösendorf bei Wien.
Natürlich könnte man Bracos angebliche Fähigkeiten wissenschaftlich untersuchen. Man könnte aufwändige klinische Studien durchführen, um festzustellen, ob es in Bracos Fangemeinde tatsächlich zu einem signifikanten Anstieg von Heilungen kommt. Man könnte Braco gegen einen Placebo-Heiler mit ähnlich hübscher Haarpracht aber ohne „heilenden Blick“ antreten lassen und die Wunderhäufigkeit statistisch analysieren. Dann würde man wohl (wie praktisch immer in solchen Fällen) erkennen, dass es den angeblichen Heilungseffekt gar nicht gibt. Aber nachdem sich Braco nie als Wunderheiler aufspielt, wäre das ein nutzloses Unterfangen.
Ist das Kunst oder kann das weg?
Vielleicht wird man dem Phänomen Braco eher gerecht, wenn man seine Auftritte als Kunstform versteht. Da stellt sich jemand auf die Bühne, in einer Art performativer Minimal-Art, und blickt nur still herum – aber die Leute freuen sich. Die Begeisterung ist echt. Die Herzenswärme, die Bracos Fans spüren, ist wirklich da, völlig egal, ob sie durch irgendwelche Besonderheiten von Bracos Blick zustande kommt, oder einfach durch eine klug aufgebaute Erwartungshaltung und den meisterhaften Einsatz gruppendynamischer Effekte. Wenn Zuhörer im Konzertsaal ergriffen sind, oder wenn sich kleine Kinder gemeinsam über den illuminierten Weihnachtsbaum freuen, dann fragt schließlich auch niemand nach wissenschaftlichen Gründen.
Vielleicht ist das Geniale an Braco einfach, dass er menschliche Grundbedürfnisse erkannt hat und sie auf marketingtechnisch meisterhafte Weise befriedigt? Sind emotionale Gruppenerlebnisse heute etwas so Seltenes, dass Menschen dafür zahlen, sich mit vielen anderen als Braco-Fangemeinde fühlen zu dürfen?
Diese Gedanken sind irgendwie ein bisschen traurig. Sind wir so schlecht im Befriedigen von Gemeinschafts- und Geborgenheits-Bedürfnissen, dass wir Leute wie Braco brauchen? Wenn man einen Braco-Auftritt buchen muss, um emotionale Wärme zu erfahren, ist dann nicht irgendetwas falsch? Geht das nicht besser? Wenn man Bracos Nichtstun als glorreiche Erfahrung der menschlichen Herzenswärme feiert – ist das dann nicht ein bisschen so, als würde man drei Minuten Regengeräusch zum großartigsten Musikstück des Jahres wählen, weiße Spanplatten als Kunstwerk an die Wand hängen oder Reiswaffeln im Gourmetrestaurant bestellen?
Das ist natürlich reine Ansichtssache. Wenn sich jemand durch Bracos Blick tatsächlich tief emotional beglückt fühlt, ist dagegen grundsätzlich wenig zu sagen. Doch wie jede Guru-Verehrung birgt auch die Braco-Begeisterung ihre Gefahren. Seine Gesundheit sollte man Wunderheilern jedenfalls nie anvertrauen – auch nicht solchen, die gar nicht behaupten, Wunder zu vollbringen.
Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen schreibt er jeden zweiten Dienstag in der futurezone.
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