Die Vernetzung macht auch vor Unterwäsche nicht halt
Die Vernetzung macht auch vor Unterwäsche nicht halt
© Getty Images/iStockphoto/Ocskaymark/istockphoto

Peter Glaser: Zukunftsreich

Der twitternde Slip

Angefangen hat die kalifornische Unterhosenfirma Joe Boxer. 1995 - in dem Jahr, in dem HotWired, das ehemalige Online-Angebot der Zeitschrift Wired, erfolgreich die erste Online-Werbung überhaupt auf seiner Website präsentierte und die Hotelkette Hyatt Internet-Buchern erstmals Sondertarife bei Übernachtungen einräumte - pries Joe Boxer als erster Wäschefabrikant die Vorzüge seiner Produkte auf einer eigenen Homepage an.

Dating per Dessous

Auf riesigen Reklametafeln am Straßenrand und auf den Unterhosenverpackungen prangte die Internet-Adresse des Unternehmens. Am New Yorker Times Square gab es ein Billboard, auf dem E-Mails zu lesen waren, die Leute an die Joe Boxer-Website schickten. Ein gewisser Bob Norris aus South Carolina, der sich in einem Chatroom auf AOL in eine Catherine Smylie verknallt hatte, machte seiner Angebeteten auf dem Billboard einen Heiratsantrag und brachte es damit zu einer CNN-Meldung – und einer von Joe Boxer gesponserten Hochzeit.

Die Marketingphilosophie von Joe Boxer war Mitte der Achtzigerjahre entstanden, als der Secret Service 1000 Paar mit 100-Dollar-Noten bedruckter Unterhosen beschlagnahmte, weil der Aufdruck gegen ein Gesetz zur Geldfälschung verstieß. Als klar war, dass er dafür nicht ins Gefängnis musste, ergriff Firmenchef Nick Graham sofort die Chance und verwandelte die Beschlagnahmung in eine werbewirksame Nachrich.

Die Unterhose hält Kontakt

Dem wollte die Markenagentur Glad Eye aus dem neuseeländischen Auckland offenbar ein zeitgemäßes Update verpassen – mit etwas unbeholfen Vibrundies benannten Unterhosen, die „durch unser spezielles Undies-Batteriepack vibrieren oder dich über dein Smartphone alarmieren.“ Die vibrierende Unterhose scannt Twitter nach dem Vorkommen von Markennamen, die man im Auge behalten möchte, „und vermittelt dir ein spezielles Gefühl.“ Immer und überall, wo man keine Gelegenheit habe, auf sein Smartphone zu schauen, „in Meetings, unterwegs, in der Kirche oder während Beratungen gibt es eine bessere Möglichkeit, dem Summen und Brummen seiner sozialen Aktivitäten nachzuspüren.“

Die Erotisierung der Dingwelt

Werbung und Marketing arbeiten seit jeher an der Erotisierung der Dingwelt. Mehr und mehr von dem, was wir als Welt wahrnehmen, liegt hinter Glas - Auslagen, Bildschirme, Displays. Wir gehen durch die kühlen Vitrinenfluchten der Städte und lassen uns anfluten von den raffinierten Rufen der Waren, dem Spiel der Lichter, den wie schwerelos hingesetzten Arrangements in den Schaufenstern. Wir alle gehören noch nicht Dir, flüstern die Marken, oh wie gern wir es doch würden. Wie wunderbar, in wehrlosen Dingen zu wühlen.

Ruft man die Vibrundies-Website auf, spürt man allerdings so etwas wie ein visuelles Bremsgeräusch werblicher Verführung. Vor einem schmutzigrosa Hintergrund hat ein käsiger Typ im Slip seinen Fuß auf ein kistengroßes Vibrundies-Icon gestellt, als habe er das gute Stück gerade bei einer Großwildjagd erlegt. Die Grafikergesichtsfrisur gibt dem dringenden Verdacht Raum, es handle sich nicht um ein professionelles Model, sondern aus Kostengründen um einen Mitarbeiter der Agentur, der sich zu einer Mutprobe hat überreden lassen.

Eine nette, kleine Vibration

Vibrundies wurden geschaffen, „um dich intimer mit deiner Marke zu verbinden“, heißt es. Bewerkstelligt wird das mit einem zusätzlich angenähten Täschchen, in dem die Vibrationseinheit untergebracht wird. Dazu gibt es eine kleine Fernbedienung, um das Schnurren ein- und auszuschalten. Schaltzentrale des Ganzen ist eine App, die sich via Bluetooth mit der Unterhose paart. Der Nutzer gibt einen Markennamen ein und geht vermittels der App auf Twitter, „sodass er, wann immer die Marke genannt wird, eine nette, kleine Vibration spürt.“

In der App lässt sich noch die Intensität der Vibrationen regeln und auch ein „Bitte nicht stören“-Modus für eher ernsthafte Momente wie Essen bei den Eltern, Bewerbungsgespräche oder Beisetzungen aktivieren. Wer braucht im Übrigen noch einen Partner, wenn er stattdessen seine Vibrundies anzuziehen braucht und die tiefgehende Zuneigung zu seiner Lieblingsmarke zeigen kann?

Hat dir der Artikel gefallen? Jetzt teilen!

Peter Glaser

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

mehr lesen
Peter Glaser

Kommentare