Peter Glaser: Zukunftsreich

Hereables – die Hier-Geräte

Ein paar Minuten von hier entfernt beginnt ein Grünzug, ein asphaltierter Weg, auf dem kein motorisierter Verkehr gestattet ist und an dessen Ufern wieder gepflegte wilde Gräser anfangen, grün zu werden. Der kilometerlang fortlaufende Asphaltfluss und seine florale Einfassung erinnert mich manchmal an eine miniaturisierte Version von Ägypten, das ja gleichfalls großteils an einem Flussufer stattfindet.

Wenn ich auf meinen täglichen Wegen durchs Netz auf zu viel Verallgemeinerung stoße und verdrießlich werde, mache ich einen Spaziergang dorthin und finde dann manchmal zurück ins Unverwechselbare. Drei junge Araber mit ernsten Gesichtern gehen an mir vorbei, einer isst einen Schokoriegel, einer geht in der Mitte und einer schiebt einen Kinderwagen mit leuchtendrosa Verdeck. Ich lasse mir Zeit, in einer Brise überholt mich mit insektenhaftem Geräusch ein Stück Alufolie. Eine Läuferin arbeitet sich aus der Entfernung heran, ihre Hände baumeln wie welke Salatblätter, und während sie sich an mir vorbei durch ihren Sauerstofftunnel bohrt, sehe ich die zierlichen Kopfhörerkabel und den Fitnesstracker an ihrem Handgelenk.

Eine neue digitale Eskalationsstufe?

Gleich nach ihr ein Mann, der eher schnell geht als zu laufen, und der in jeder Hand ein Smartphone hält, auf das er abwechselnd schaut. Ist das eine neue Eskalationsstufe? Hat seine Frau ihn gebeten, für sie Pokémons mitzufangen? Eine neue Trainingsform, die auch die Multitasking-Muskeln berücksichtigt? Der Mann trägt auch noch eine Smartwatch. Wearables, will ich denken, verdenke mich aber und heraus kommt Hereables. Hiergeräte.

Im Hier und Jetzt zu leben war gestern, heute ist Hier und Netz. Aber ist dieses digitale Hier nicht ein ewig unerreichbares Dort hinter dem Displayglas? Sind nicht die Rechner, die sich wie niedliche Tiere an unserem Körper eingenistet haben, vielmehr Parasiten, die das Vollgefühl der Gegenwärtigkeit aushöhlen?

Zukunft? Es gibt nur die Gegenwart

Die Zukunft ist ein einsamer Ort, niemand wird je dort sein, und über die Vergangenheit hört man auch die verschiedensten Geschichten. Es gibt nur die Gegenwart. Und wie die Trichter von Ameisenbären im Sand, durch die es unentrinnbar nach unten geht, öffnen sich immer mehr Internet-Schnittstellen, durch die uns die Gegenwart davonrieselt.

Und es ist nicht nur das Netz, das uns da im Kern anzapft. Der einigermassen alphabetisierte Europäer kennt noch ein zugehöriges Problem, das ich Zeichentrance nenne. Ein Versunkensein in sich selbst. In das, was man sich über sich selbst erzählt – und dann das stumme, faule Gefühl, einfach irgendwie irgendwer zu sein und notfalls ein auswendiggelerntes Selbst vorzeigen zu können, wie einen Ausweis.

Zeichentrance

Erstmals aufgefallen war mir das anlässlich einer Reise nach Ägypten, in ein Land mit vielen Analphabeten. Mich erstaunten die wachen Menschen, wie sehr sie sich einem zuwenden. Sie haben nur diese Zuwendung, sie können sich keine Notizen machen. Mir wurde bewusst, wie normal es bei uns ist, wenn jemand gelegentlich wegtaucht und in Zeichentrance gerät.

Nun haben wir mit dem Netz eine Welt fast nur noch aus Zeichen. Zwei Mädchen laufen durch die Wiese, schattendunkle Silhouetten, nur ihr Haar leuchtet in der Abendsonne auf, wenn es hochfliegt. Über ihnen schnelle Wolken. "In love, dear love, my love", schreibt der Dichter W.C. Williams, "detail is all."

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Peter Glaser

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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