Klimafasten? Eh ok, aber …
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Nach Unmengen an Krapfen und Alkohol heißt es seit einer Woche: Wer zuerst über die Stränge geschlagen hat, übt sich gezielt in Bewusstwerdung und Verzicht. Ganz freiwillig und voller Stolz darauf, den inneren Schweinehund zu überwinden. Begeistert von der eigenen Fähigkeit, Routinen und Angewohnheiten zu verändern. Und nicht selten steht am Ende der vierzig Tage die Erkenntnis: Verzichten ist gar nicht so schwer, wie man sich das anfangs denkt. Im Gegenteil: Oft lebt es sich sogar viel besser ohne, oder zumindest mit weniger. Fleisch. Nikotin. Süßigkeiten. Alkohol. Facebook, Twitter und Instagram.
Die Menschheit hat in Sachen Umweltzerstörung jahrzehntelang über die Stränge geschlagen. Es ist also höchste Zeit, den kollektiven Schweinehund in die Schranken zu weisen. Da erscheint es schlüssig, dass „Klimafasten“ 2020 das Social-Media-Fasten als Trend der letzten Jahre endgültig abgelöst hat. Plastik aus dem Alltag verbannen, mit dem Fahrrad oder zu Fuß in die Arbeit statt mit dem Auto, Energiewettsparen, Unterhaltungselektronik einschränken. Allesamt gute, persönliche Schritte. ABER.
Klimagerechtigkeit am Teller
Traditionell ist die Fastenzeit verbunden mit unserer Ernährung. Und die ist ein Schlüssel zum Tor in eine klimagerechte Welt. Immerhin geht ein Drittel der konsumbedingten Umweltbelastungen auf das Konto unseres Essens. Und zwar - das mag jetzt überraschen - nicht vordergründig wegen des Plastiks, in das es eingepackt ist, oder weil es quer durch die Welt reist, sondern zu einem Hauptteil wegen der Produktion. Und - das wird mittlerweile niemanden mehr überraschen – da schlägt besonders die Tierhaltung für Fleisch- und Milchprodukte zu Buche.
Cheeseburger oder Fernsehen?
Es macht einen Unterschied, ob Fleisch die Ausnahme am Speiseplan bleibt oder jeden Tag Schnitzel, Wurst und Steak drauf stehen. Man müsste täglich 12,5 Stunden vor der Glotze sitzen, damit sich der Verzicht darauf beim Klimafasten verglichen mit einem Cheeseburger rentieren würde. Der hat nämlich die gleiche Auswirkung auf die Umwelt wie ein 500 Stunden lang laufender Fernseher.
Essen ist politisch
Natürlich verbesserst du deinen CO2-Fußabdruck enorm, wenn du dich fleischfrei, biologisch, regional und saisonal ernährst. Jede*r kann und soll seinen Beitrag leisten, aber wenn wir ehrlich sind: Ich allein habe mit meiner persönlichen Entscheidung, mich nach einem gelungenen Fastenzeit-Experiment ein paar Jahre vegan zu ernähren, die Welt nicht verändert. Dass es mehr veganes Angebot in Restaurants und Märkten gab, haben Gruppen erreicht, die gezielt bei Gastro und Handel dafür kampagnisiert haben. Dass regelmäßig katastrophales Tierleid auffliegt und kombiniert mit politischem Druck zu Verbesserungen in der Tierhaltung führt, ist nicht meinem Verzicht auf Fleisch, Eier und Käse, sondern mutigen Tierschützer*innen zu verdanken.
Ich will beileibe niemanden entmutigen, schon gar nicht die motivierten Faster*innen unter euch. Macht weiter so! Die Sache ist die: Es ist gut, umweltfreundliche Entscheidungen zu treffen. Es ist besser, sie darüber hinaus auch als politische Forderungen zu formulieren. Denn für sozial und ökologisch gerechte weltweite Ernährungssysteme braucht es entsprechende Politik – und die macht sich nicht von allein. Fordert sie ein, von fairen internationalen Handelsabkommen über nationale und regionale Spielregeln für Landwirtschaft und Märkte bis hin zur Ernährungspolitik direkt vor eurer Haustüre.
Milan Urban Food Policy Pact
Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in Städten. Wie im Mailänder Abkommen über Städtische Ernährungspolitik festgehalten wird, kommt ihnen eine bedeutende strategische Rolle bei der Entwicklung nachhaltiger Ernährungssysteme zu. Wien hat diesen Pakt unterzeichnet und arbeitet an der Umsetzung.
Die Verantwortlichen in Städten und Gemeinden können rasch und unkompliziert vielfältige Aspekte umsetzen. Sie können Bewusstsein bilden und im eigenen Wirkungsbereich wie öffentlichen Kantinen oder Schulversorgung mit kleinen Schubsern, sogenannten Nudges, den Menschen klimafreundliche Ernährungsentscheidungen leichter machen. Das geht einfach, indem man bei der Auswahl in Menükarten oder Vitrinen die umweltschonende (bio, regional, fleischfrei) Variante nach vorne stellt. Versuche haben bewiesen, dass die Menschen dann eher dazu greifen.
Macht die Städte zu Gemüsegärten
Städte können zum Ausgangsort für eine demokratische Ernährungswende werden. Indem sie öffentliche Flächen für nicht-kommerzielle Gemeinschaftsgärten zur Verfügung stellen und wie beispielsweise Graz solche Urban Gardening-Projekte zu fördern. Projekte auszeichnen, die sich für nachhaltige Produktion und gegen Lebensmittelverschwendung einsetzen. Gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Initiativen wie Ernährungsräten Strategien erarbeiten. Machen wir die Städte zu Orten, an denen wir nicht nur an 40 Tagen für die Umwelt fasten. Machen wir sie zu Gemüsegärten für alle, in denen wir das ganze Jahr aus breiter Vielfalt fürs Klima schöpfen können!
Über die Autorin
Tina Wirnsberger ist Trainerin für nachhaltige Wirtschaft & Politik und Sozialpädagogin. Sie war bis Jänner 2019 Grüne Stadträtin für Umwelt und Frauen in Graz.
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