A case against Royal Dutch Shell to force the energy firm to cut its reliance on fossil fuels, in The Hague
© REUTERS / PIROSCHKA VAN DE WOUW

Gastkommentar

Klima und Klagen: Ein Plot Twist

Aktivist*innen verklagen zunehmend Regierungen und Unternehmen, um Maßnahmen gegen den Klimawandel durchzusetzen - und gewinnen.

Im vergangenen Jahrhundert war es durchaus ein erfolgreiches Werkzeug von Unternehmen und Politik, Proteste von Öko-Aktivist*innen gegen ihre Pläne durch Klagsdrohungen bis hin zu existenzvernichtend teuren Gerichtsprozessen zu zerschlagen. Im 21. Jahrhundert erleben wir einen Wendepunkt: Die strategische Kriminalisierung von Umweltschützer*innen stößt auf breit getragenen gesellschaftlichen Widerstand, nicht einmal mehr der Boulevard beteiligt sich bereitwillig an Diffamierungskampagnen. Umgekehrt sind es nun die Aktivist*innen, die zunehmend Regierungen und Unternehmen verklagen, um Maßnahmen gegen den Klimawandel zu ergreifen - und gewinnen.

Im Mai dieses Jahres führte die Klage mehrerer Umwelt-NGOs im Namen einer Gruppe junger Aktivist*innen zu einer bahnbrechenden Entscheidung des deutschen Verfassungsgerichts: Es hielt fest, dass das Regierungsversäumnis, das Klima für die nächsten Generationen zu schützen, verfassungswidrig sei. Das Gericht entschied, dass das Klimaschutzgesetz zugunsten der ambitionierteren Reduktion von CO2-Emissionen geändert werden muss.

Es sind Erfolge wie diese, die vor allem jungen Klimaaktivist*innen langen Atem in ihrem mühsamen Kampf verleihen. Sie sehen, dass es nach jahrelangen Protesten endlich gelingt, Politiker*innen unter Druck zu setzen und sie gezwungen werden können, effektive Schritte gegen die Klimakrise zu setzen und die Zukunft der Jungen zu schützen.

Klimaklagen mehr als verdoppelt

Seit 2015 haben sich die Klimaklagen mehr als verdoppelt. Zwischen 1986 und 2014 wurden nur etwas mehr als 800 Klagen eingereicht, während in den letzten sechs Jahren mehr als 1.000 Klagen eingereicht wurden, so das Grantham Research Institute on Climate Change and the Environment. In den letzten Jahren nahmen nicht nur die Klagen selbst zu, sondern es gab auch immer mehr Gerichtsurteile zugunsten von Umweltschützer*innen in aller Welt.

Einer der aufsehenerregendsten Fälle war ein niederländischer Fall im Jahr 2015, in dem ein Gericht entschied, dass die niederländische Regierung eine Sorgfaltspflicht hat, wenn es um den Schutz ihrer Bürger vor dem Klimawandel geht. Die Richter entschieden, dass der Plan der Regierung, die Emissionen bis 2020 um 14-17 Prozent gegenüber 1990 zu senken, angesichts des drohenden Klimawandels rechtswidrig war. Sie ordneten an, das Ziel auf 25 Prozent zu erhöhen. Daraufhin schloss die niederländische Regierung ein Kraftwerk vier Jahre früher als geplant und führte 2019 einen neuen Klimaplan ein.

Judge gives ruling in climate case against Shell

Niederländische Klimaaktivisten feiern ein Urteil, das den Ölriesen Royal Dutch Shell zur Einhaltung des Pariser Klimaabkommens verpflichtet.

Die steigende Zahl der Fälle ebnet den Weg für eine strengere Durchsetzung von Umweltgesetzen auf der ganzen Welt und ermutigt Aktivist*innen, sich zu organisieren und ebenfalls den Schritt vor die Gerichte zu wagen. Hinzu kommt, dass die wissenschaftlichen Fakten dafür, dass die Klimakrise von Menschen gemacht wird – und auch von ihnen verhindert werden kann – inzwischen unbestreitbar sind. Das liefert Anwält*innen vor Gericht eine bessere Beweisgrundlage als noch vor zehn Jahren. Das allgemein gewachsene Bewusstsein für die Klimakrise und ihre Auswirkungen hat zudem auch Einzug in die rechtswissenschaftlichen Fakultäten gehalten, etwa das ClimLaw an der Uni-Graz oder das Sabin Center for Climate Law der Columbia in New York, das auch eine öffentliche Datenbank über Klimawandel-Prozesse führt.

Und dann hat sich natürlich das Bild, das die Gesellschaft vom Klimawandel hat, geändert. Ein Großteil des Rechts ist bis zu einem gewissen Grad flexibel, weil man bestehende Regeln immer auslegen muss. Und wenn Richter*innen das tun, berücksichtigen sie die gesellschaftlichen Normen. In Umfragen steht die Klimakrise regelmäßig an erster Stelle der Sorgen der Menschen. Das führt vermutlich auch dazu, dass die Gerichte eher bereit sind, gegen jene zu entscheiden, die sie verursachen.

Bahnbrechendes Urteil in den Niederlanden

Neben den Verfahren gegen Regierungen haben auch Prozesse gegen Unternehmen an Fahrt aufgenommen. Ein bahnbrechendes Urteil aus dem Jahr 2021 erging erneut in den Niederlanden, wo der Ölriese Royal Dutch Shell zur Einhaltung des Pariser Klimaabkommens verurteilt wurde. Das hat den Weg für weitere Klagen geebnet, die darauf abzielen, Unternehmen zur Einhaltung des Abkommens zu zwingen, etwa gegen die Autohersteller BMW, Mercedes-Benz und Volkswagen. Im Erfolgsfall würden sie dazu gezwungen, Verbrennungsmotoren bis 2030 abzuschaffen.

Rechtsstreitigkeiten sind ein unglaublich mächtiges Instrument – und zwar nicht mehr auf der Seite jener, die damit versuchen Umweltschützer*innen und Klimaaktivist*innen einzuschüchtern und zu demoralisieren, sondern auf der Seite jener, die sich mit den Großen anlegen und für die Zukunft der kommenden Generationen kämpfen. Das Blatt hat sich gewendet. Hört die Signale.

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Tina Wirnsberger

Tina Wirnsberger ist Trainerin für nachhaltige Wirtschaft & Politik und Sozialpädagogin. Sie war bis Jänner 2019 Grüne Stadträtin für Umwelt und Frauen in Graz.

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