Plant protection robot pilot project in Switzerland
© EPA / ANTHONY ANEX

Gastkommentar

Von Äckern und Datenfeldern

Vor einem Monat fand der Welternährungsgipfel der Vereinten Nationen (UNFSS) statt. Er stand von Anfang an massiv in der Kritik, zu stark von den Interessen großer Unternehmen dominiert zu sein und sowohl zivilgesellschaftliche Stimmen als auch die etablierten Gremien innerhalb der Vereinten Nationen auszugrenzen. Schon die Tatsache, dass das Programm des Gipfels mit dem Weltwirtschaftsforum vorbereitet wurde, schürte den Verdacht, dass Konzernen eine unangemessen große Plattform geboten werde. Diese Zweifel räumt der Fokus des Gipfels, in der Landwirtschaft auf Hightech als Königsweg zu setzen, nicht aus. Im Gegenteil: Denn während jene Stimmen wenig Gehör fanden, die menschenrechtsbasierte Lösungen ins Zentrum des Ernährungssystems stellen, wie etwa jene des UN-Sonderberichterstatters für das Recht auf Nahrung, wurden vor allem Biotechnologien, Präzisionslandwirtschaft und digitale Landwirtschaft propagiert. Sehen wir uns an, weshalb das problematisch ist.

Agrar- und Techriesen vereint

Die großen Player sind auf den Zug der digitalen Technologie aufgesprungen: Monsanto-Bayer bietet beispielsweise die Plattform "Climate Fieldview" an und erhält darüber direkten Zugang zu landwirtschaftlichen Daten vom Feld. Aus demselben Grund betreibt BASF die App "Xarvio", ChemChina-Syngenta hat "Cropio" und Microsoft "FarmBeats".

Vorneweg: Nicht die digitalen Agrartechnologien per se stehen in der Kritik. Wie so oft geht es dabei um die die Frage, wer die Kontrolle über diese Innovationen hat, wer davon profitiert und wer verliert. Die Art und Weise, wie die meisten dieser technikbasierten Möglichkeiten umgesetzt werden, schadet wahrscheinlich mehr als sie nützt: Von profitorientierten Konzernen statt von Lebensmittelproduzent*innen selbst kontrolliert, dienen sie hauptsächlich der intensiven industriellen Landwirtschaft und deren Ziel, umwelt- und klimaschädliche großflächige Monokulturen noch stärker zu verbreiten.

Zu den Agrochemieunternehmen, welche die Lebensmittelindustrie dominieren und durch das Verdrängen kleinstrukturierter und umweltschonender Landwirtschaft die globale Ernährungs- und Klimakrise verschärfen, gesellen sich Akteure aus der Tech-Szene wie Microsoft und Amazon. Sie wirken bei der Einführung der digitalen Landwirtschaft zusammen. Die Agrarindustrie stattet die Landwirt*innen mit der Hardware aus – etwa Traktoren, Drohnen, chemische Betriebsmittel. Tech-Konzerne stellen die kompatiblen Softwareanwendungen bereit. Und sie kontrollieren die Agrar- und Klimadatenströme.

Kunden, die Mais pflanzen, kauften auch …

Die Bäuer*innen bekommen im Gegenzug für ihre Daten Ratschläge, was und wie sie anpflanzen sollen. Ortungsgeräte an den Feldmaschinen liefern zusätzliche Daten über die Praktiken auf den Feldern. Die gleicht das Unternehmen dann mit seinen Datensätzen - etwa zu Bodenqualität, Schädlingen und Krankheiten - ab und gibt den Landwirt*innen entsprechende Empfehlungen. Sie vermuten es wahrscheinlich, aber nennen wir das Kind beim Namen: Es handelt sich dabei natürlich um Kaufempfehlungen.

Der massive Einsatz chemischer Betriebsmittel - Düngemittel, Herbizide und Saatgut - und fossil betriebener Maschinen in der industriellen Landwirtschaft ist eine der Hauptursachen für die weltweite Nahrungsmittel- und Klimakrise, wie auch der IPCC-Sonderbericht über Klimawandel und Landsysteme (SRCCL) festhält. Soziale Ungerechtigkeiten, Menschenrechtsverletzungen und die starke Abhängigkeit von oft kostspieligen chemischen Betriebsmitteln und Maschinen halten Lebensmittelproduzent*innen bereits jetzt in einer Armutsspirale. Konzerndominierte digitale Technologien in der Landwirtschaft drohen, sie noch mehr in einen weiteren Abhängigkeitszyklus zu drängen.

UN-Klimakonferenz als Lobbyforum?

Der Fokus auf konzerngesteuerte digitale Ansätze in wichtigen politischen Foren wird die bereits bestehende enorme Machtkonzentration der Konzerne im Lebensmittel- und Agrarsektor noch verstärken. So standen sie nicht nur beim vergangenen UN-Ernährungsgipfel im Mittelpunkt, sondern werden auch auf der bevorstehenden UN-Klimakonferenz (COP26) in Glasgow eine zentrale Rolle einnehmen, zu deren Hauptsponsoren im Übrigen Microsoft zählt. Unter Buzzwords wie "naturverträgliche Produktion" und "klimafreundliche Landwirtschaft" werden Initiativen wie Tech For Our Planet und AIM in Glasgow mit konzerngeprägten digitalen Lösungen vorstellig sein.

Eine Partnerschaft zwischen der Alliance for a Green Revolution (AGRA), der von den USA finanzierten philanthropischen Organisation, und Microsoft im Jahr 2020 ist ein Beispiel für eine weitere mächtige gemeinsame Unternehmensinitiative. Die lokalen Netzwerke von AGRA helfen Microsoft, seine digitale Plattform und Chatbot-App Kuzabot zu fördern. Microsoft verkauft die gesammelten Daten dann zum Beispiel an Pestizid- und Versicherungsunternehmen.

Agrartechnologie in die Hände der Landwirt*innen

Digitale Technologie in der Landwirtschaft kann nur funktionieren, wenn sie die Anliegen jener Menschen in den Mittelpunkt rückt, die unsere Nahrung produzieren und wenn nachhaltige, ökologische Lösungen statt Gewinnmaximierung intensiver industrieller Landwirtschaft das Ziel sind. So haben Netzwerke von Landwirt*innen wie etwa "FarmHack" wahres Potenzial, die zerstörten Öko- und Ernährungssysteme wiederherzustellen. Die Zeit läuft uns davon. Wir brauchen radikale Lösungen, die die aktuelle Fortsetzung des "Business-as-usual" verhindern. Bleiben wir offen für technologische Innovationen, die dabei helfen, der Klimakrise Einhalt zu gebieten – aber bleiben wir auch kritisch, ob sie tatsächlich diesem Interesse dienen.

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Tina Wirnsberger

Tina Wirnsberger ist Trainerin für nachhaltige Wirtschaft & Politik und Sozialpädagogin. Sie war bis Jänner 2019 Grüne Stadträtin für Umwelt und Frauen in Graz.

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