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Netzpolitik

Andrus Ansip: „Menschen müssen wissen, ob eine Maschine entscheidet“

Um gegen Konkurrenz aus den USA und China bestehen zu können, will die EU-Kommission die Entwicklung von künstlicher Intelligenz (KI) in Europa aktiv vorantreiben. Dazu wurde gemeinsam mit den EU-Staaten ein Plan beschlossen, der vorsieht, dass jedes Land bis Mitte des Jahres eine eigene, nationale KI-Strategie auszuarbeiten hat. Zusätzlich sollen bis Ende 2020 mindestens 20 Milliarden Euro an privaten und öffentlichen Investitionen in dem Bereich zusammenkommen. Die EU-Kommission will zusätzlich 1,5 Milliarden Euro an öffentlichen Geldern bereitstellen. Zudem sollen die Staaten untereinander enger zusammenarbeiten und KI-Forschungszentren bilden.

Zuletzt stellte die EU-Kommission auch Ethik-Leitlinien für eine vertrauenswürdige KI vor, die von einer Experten-Gruppe entwickelt wurden. Europa könnte auf dem Gebiet der KI-Ethik ähnlich wie beim Datenschutz eine Vorreiter-Rolle einnehmen. Die futurezone sprach mit dem EU-Vizekommissionspräsidenten Andrus Ansip, zuständig für den digitalen Binnenmarkt, über das Thema.

Futurezone: Wie können wir sicherstellen, dass mit Künstlicher Intelligenz nicht dasselbe passiert wie mit anderen Internetdiensten wie Facebook, Google und Amazon? Also, dass US-Unternehmen Monopole bilden?
Andrus Ansip: Bei der Dominanz der großen Plattformen gibt es zwei Schlüsselelemente: Netzwerkeffekte und Datenverfügbarkeit. Bei Netzwerkeffekten (Anmerkung: große Plattformen werden größer, weil alle dorthin gehen, wo alle anderen sind) können wir nichts tun, aber sie können sich schnell umkehren, und Unternehmen können genauso schnell nach unten absteigen wie nach oben.

In Bezug auf die Datenverfügbarkeit können wir jedoch viel tun. Wir arbeiten zum Beispiel an der Schaffung gemeinsamer europäischer Datenräume in einer Reihe von Bereichen wie Produktion, Energie oder Gesundheit, die für europäische Innovatoren und Unternehmen von großem Nutzen sein werden. In diesen gemeinsamen europäischen Datenräumen werden Daten sowohl für den öffentlichen Sektor als auch im B2B-Bereich in ganz Europa gesammelt und zur Verfügung gestellt, um die KI in einem Umfang zu trainieren, der die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen ermöglicht.
 
Gibt es bereits wichtige KI-Projekte, die aus Europa stammen?
Wir haben in Europa hervorragende Start-ups wie Arago, das Unternehmen dabei hilft, ihre IT-Prozesse zu automatisieren. Und Anzyz, das Patientenakten in drei Sekunden anstelle von drei Stunden lesen kann. Oder DeepL, das bei der Online-Übersetzung hervorragende Ergebnisse erzielt. Große Akteure aus Europa bauen außerdem gerade ihre KI-Strategie auf, etwa SAP, Telefonica, Airbus, Bosch oder Siemens.

Zudem gibt es mit AI4EU ein europäisches KI-Projekt. Damit soll die Technologie für alle verfügbar gemacht werden und sie soll auf einem europäischen Ökosystem basieren. KI-Know-How, Wissen und Werkzeuge sollen über eine einzigartige Plattform geteilt werden.
 
In welchen EU-Ländern sehen Sie bisher die meisten Anstrengungen in Bezug auf KI?
In den Mitgliedstaaten, die digital am weitesten fortgeschritten sind, ist die Entwicklung der neuesten Technologie von Natur aus einfacher. Dank unseres koordinierten Ansatzes mit den Mitgliedstaaten bin ich jedoch zuversichtlich, dass jeder Mitgliedstaat bis Mitte dieses Jahres eine spezifische KI-Strategie haben wird. Acht Mitgliedstaaten haben bereits eine: Finnland, Schweden, Frankreich, das Vereinigte Königreich, Deutschland, Dänemark, Litauen und Belgien. Viele andere Mitgliedstaaten, einschließlich Österreich, haben den Prozess zur Verabschiedung ihrer Strategie bereits eingeleitet.

Die EU-Kommission spricht immer davon, einen KI-Ansatz in den Vordergrund stellen zu wollen, der auf Menschen zentriert ist. KI soll für Menschen hilfreich sein. Kann man sich hier auf Unternehmen verlassen oder wird dies in der EU-Gesetzgebung festgeschrieben?
Sicherzustellen, dass KI auf ethische Weise entwickelt und angewendet wird, ist ein Schlüsselelement unserer Politik. Als ersten Schritt haben wir eine Expertengruppe mit Vertretern der verschiedensten Interessengruppen wie Wissenschaft, Technologie, Wirtschaft und Zivilgesellschaft beauftragt, eine Reihe ethischer Richtlinien aufzustellen. Diese Richtlinien wurden vergangene Woche veröffentlicht und können dann während einer Pilotphase von allen interessierten Stakeholdern getestet werden. Sie können ein strukturiertes Feedback zur Umsetzung der Richtlinien in ihrem Bereich geben.

Firmen wie Microsoft oder Google sprechen bei KI viel über Vertrauen und darüber, dass ohne Vertrauen Menschen keine KI akzeptieren. Denken Sie, dass dies mehr als ein Slogan ist?
Ich spreche nicht für Microsoft, aber es stimmt sicherlich, dass die Leute eine Technologie nur ungern einsetzen würden, der sie nicht vertrauen. Das bedeutet nicht, dass die KI perfekt sein muss - jede Technologie hat Ausfälle und unvorhergesehene Nebenwirkungen. Dies bedeutet jedoch, dass die Technologie insgesamt mehr Vorteile ohne allzu viele Nachteile mit sich bringen sollte. Die Menschen müssen definitiv wissen, ob eine Maschine oder ein Mensch entscheidet, und müssen dann Informationen anfordern können.

Es gibt bereits einige negative Beispiele, bei denen sich KI diskriminierend verhalten hat. Sie hat dies von Menschen gelernt. Wie lässt sich sicherstellen, dass die KI nicht alle schlechten Gewohnheiten von Menschen annimmt, sondern nur die guten?
Um Diskriminierung zu vermeiden, muss nicht nur der Algorithmus, sondern auch die Trainingsdaten sorgfältig analysiert werden. Es ist sehr selten, dass ein KI-System absichtlich diskriminierend ist. Meist liegt das Problem an den Trainingsdaten, die nicht sorgfältig genug ausgewählt wurden. Mehr Bewusstsein für dieses Thema wird sicherlich helfen. Die Einrichtung diverser Designteams und die Einrichtung von Mechanismen, die die Beteiligung von Interessengruppen, insbesondere von Bürgern, an der KI-Entwicklung sicherstellen, können ebenfalls dazu beitragen, diese Probleme zu lösen.
 
Wo sehen Sie die größte Chance für KI, um der Gesellschaft zu helfen?
KI hat in vielen Bereichen Vorteile, aber ich denke, dass die Auswirkungen im Gesundheitsbereich am größten sein werden. Bei der Verwendung von Daten zur besseren Diagnose und bei der Berechnung zur besseren Behandlung von Krankheiten hat KI die Möglichkeit, unsere Gesundheit zu verbessern.

Disclaimer: Die Reise nach Brüssel wurde von der EU-Kommission bezahlt.

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Barbara Wimmer

shroombab

Preisgekrönte Journalistin, Autorin und Vortragende. Seit November 2010 bei der Kurier-Futurezone. Schreibt und spricht über Netzpolitik, Datenschutz, Algorithmen, Künstliche Intelligenz, Social Media, Digitales und alles, was (vermeintlich) smart ist.

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