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Netzpolitik

Anonymität im Internet: "Digitale Masken haben viele Vorteile"

"Digitale Masken sind eine Form der Pseudonymität. Sie haben Vorteile auf beiden Seiten", sagt Christian Burger im Interview

"Wenn wir nur auf den Hass im Netz schauen, laufen wir Gefahr, die positiven Aspekte der Online-Kommunikation außer Acht zu lassen", sagt Christian Burger. In seiner vor kurzem erschienenen Streitschrift "Sch(m)utz im Netz - Warum wir digitale Masken brauchen" sucht der Leiter des Community Management beim Standard Wege, um die Qualität von Debatten im Netz zu verbessern. Das Auftreten unter echtem Namen sei dafür nicht notwendig, sagt Burger im Gespräch mit der futurezone.

futurezone: Viele sehen in der Anonymität einen wesentlichen Grund für den Hass im Netz. Sie treten für digitale Masken ein. Warum?
Christian Burger:
Grundsätzlich gibt es etwas, das zwischen den Extrempolen totaler Anonymität und totaler Preisgabe von Daten steht. Das ist die Pseudonymität. Digitale Masken sind eine Form der Pseudonymität. Sie haben Vorteile auf beiden Seiten. Auf der einen Seite gibt es eine gewisse Art von Identifikation und Repräsentation der Person. Das ist wichtig um negativer Enthemmung entgegenzuwirken. Auf der anderen Seite bieten sie auch einen gewissen Schutz. Man kann sich im Internet zu sensiblen Themen äußern oder seine politische Einstellung preisgeben, auch wenn Personen mitlesen, von denen man nicht will, dass sie sie kennen.  

Die Nutzer sind für den Plattformbetreiber identifizierbar?
Wenn grobe Beleidigungen oder gefährliche Drohungen ausgesprochen werden, sind Daten vorhanden und können herausgegeben werden. In den meisten Fällen ist das für die Verfolgung ausreichend.

Christian Burger leitet das Community Management beim Standard, einer der größten deutschsprachigen Medien-Communities.

Sie schreiben, dass der verengte Blickwinkel auf Hass im Netz, die Sicht auf das komplexe Wesen von Online-Debatten verstellt. Für viele Nutzer ist Hass im Netz aber ein wirkliches Problem.
Es gibt das Problem und man muss es bekämpfen, aber es ist wichtig, das im Hintergrund zu tun und dem Ganzen keine Bühne zu geben. Wenn wir nur auf die negative Eskalation schauen, laufen wir Gefahr, dass wir die positiven Aspekte der Online-Kommunikation außer Acht lassen, etwa dass man sich dadurch öffnen und über sensible Themen sprechen kann. Wenn wir nur negativen Phänomenen Aufmerksamkeit schenken, spielen wir auch denen, die dahinter stehen, in die Hände.

Leute richten sich immer nach Beispielen. Wenn sie ein Posting sehen, in dem argumentiert wird, dann ist es wahrscheinlicher, dass sie selber auch argumentieren werden.

Christian Burger

Wie kann die Qualität von Debatten im Netz verbessert werden?
Zum Beispiel, wenn wir die Aufmerksamkeit auf konstruktive Beiträge lenken und sie emporheben. Wenn ich ein Posting sehe, das interessante Gesichtspunkte enthält, bringt mir das etwas. Damit kann man auch beeinflussen, wie diskutiert wird. Leute richten sich immer nach Beispielen. Wenn sie ein Posting sehen, in dem argumentiert wird, dann ist es wahrscheinlicher, dass sie selber auch argumentieren werden.
 
Wie können virtuelle Räume gestaltet werden, damit sie konstruktive Debatten ermöglichen?
Leicht ist es nicht. Ein wesentlicher Aspekt sind virtuelle Repräsentationen der Personen. Man soll nicht nur Postings lesen, sondern sich auch ein Profil ansehen und etwas über die Person erfahren können, damit man sich ein umfassendes Bild machen kann. Das Nutzer Postings bewerten können, kann auch helfen. Das muss aber über ein reines rauf- oder runtervoten hinausgehen und verschiedene Qualitäten berücksichtigen.

Welche Möglilchkeiten bieten automatisierte Systeme und Algorithmen beim Moderieren von Foren?
Ich bin ein Verfechter davon, das man maschinelle Unterstützung nutzt. Es geht um das Vorsortieren, das Klassifizieren von Postings nach bestimmten Kriterien, dann werden Menschen aktiv.

Online-Debatten haben auch einen demokratischen Wert, es sollte nicht nur um ökonomische Interessen gehen.

Christian Burger

Sie schreiben, dass Online-Netzwerke wie Facebook oder Twitter schlechte Vorbilder sind, wenn es um Debatten im Netz geht. Was läuft falsch?
Bei diesen Plattformen gibt es Mechanismen, die dafür sorgen, dass Dinge, die viel Aufmerksamkeit bekommen noch mehr Aufmerksamkeit bekommen. Themen die emotionalisieren, finden auf Facebook und Twitter viel Verbreitung. Es kommt eine Empörungsmaschine in Gang. Dadurch können zerstörerische Effekte in sehr kurzer Zeit sehr mächtig werden. Bei den meisten Online-Medien ist das nicht der Fall, weil solche Kommentare nicht so stark sichtbar werden.

Die Plattformen wollen, dass die Leute so viel Zeit wie möglich auf ihren Angeboten verbringen, weil sie damit mehr Geld verdienen. Brauchen Online-Diskurse andere wirtschaftliche Grundlagen?
Online-Debatten haben auch einen demokratischen Wert, es sollte nicht nur um ökonomische Interessen gehen. Wir müssen uns als Gesellschaft auch darauf fokussieren und entsprechenden Druck auf Plattformen ausüben.

"Sch(m)utz im Netz" von Christian Burger ist im Leykam Verlag erschienen.

In Österreich trat vor kurzem das Kommunikationsplattformengesetz in Kraft, mit dem Hass im Netz bekämpft werden soll. Auf europäischer Ebene gibt es ähnliche Pläne. Sie sind davon nicht restlos überzeugt. Was kann man besser machen?
Diese Initiativen entstehen aus sinnvollen Motiven. Man versucht, Opfern etwas in die Hand zu geben, damit sie rascher Hilfe bekommen und sich wehren können. Man versucht, Betreiber von Plattformen in die Pflicht zu nehmen, anstößige Inhalte rasch vom Netz zu nehmen. Das ist wichtig. Es besteht aber die Gefahr, dass sie sich nur darauf konzentrieren, die digitale Müllabführ zu sein. Es bräuchte seitens des Gesetzgebers noch zusätzliche Initiativen, die konstruktive Debattenkultur zu fördern. Es gibt Möglichkeiten, zum Beispiel über die Medienförderung.

Es ist nach wie vor gültig, dass das Internet ein unglaubliches Potenzial hat, Menschen in einen Diskurs zu Themen zu bringen, die anderswo nicht gut behandelt werden können.

Christian Burger

In der Anfangszeit des Netzes wurde vor allem das positive Potenzial virtueller Gemeinschaften hervorgehoben. Aus heutiger Sicht klingt das naiv. Lässt sich heute noch eine positive Utopie virtueller Gemeinschaften formulieren?
Ich würde das auf jeden Fall bejahen. Es ist nach wie vor gültig, dass das Internet ein unglaubliches Potenzial hat, Menschen in einen Diskurs zu Themen zu bringen, die anderswo nicht gut behandelt werden können. Wir sind einfach nur blind dafür geworden. Es gibt etwa diverse Foren für Selbsthilfe in schwierigen Situationen. Da bietet die Online-Kommunikation viele Vorteile. Man kann Dinge, die man selbst in der Familie nicht einfach ansprechen kann, mit Menschen diskutieren, die auch davon betroffen sind. Es gibt noch viel Potenzial.

Sie appellieren auch an die Eigenverantwortung der Nutzer. Was kann jeder von uns tun, um gute Gespräche im Netz zu ermöglichen?
Man sollte sich vor Augen halten, dass alles, die Online- und die Offline-Welt, die echte Welt ist und dass man Gefühle verletzen kann. Es ist nur Text zu sehen, der leicht falsch interpretiert werden kann. Deshalb sollte man sich klar ausdrücken. Man sollte toxische Kommunikationsräume meiden. Das wichtigste ist, sich mit denen auszutauschen, die es auch mit dem öffentlichen Diskurs gut meinen.

Wie soll man mit Hasspostings umgehen?
Wenn es etwas Arges ist, melden. Aber auf keinen Fall darauf antworten und nicht darauf einsteigen. Weil damit kommt man selbst in das Fahrwasser hinein. Man muss es aber thematisieren und darf es nicht schlucken. Das Problem liegt nie bei einem selber, es liegt bei dem, der Hassbotschaften verbreitet.

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Patrick Dax

pdax

Kommt aus dem Team der “alten” ORF-Futurezone. Beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Innovationen, Start-ups, Urheberrecht, Netzpolitik und Medien. Kinder und Tiere behandelt er gut.

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