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Netzpolitik

"Kickl kann YouTube ja klagen"

Nikolaus Forgó leitet das Institut für Innovation und Digitalisierung im Recht an der Universität Wien. Er ist auch Expertenmitglied des österreichischen Datenschutzrats.

futurezone: Twitter-Chef Jack Dorsey hat die Entscheidung, das Konto von US-Präsident Donald Trump nach dem Sturm auf das Kapitol zu sperren, als richtig, aber gefährlich bezeichnet. Wie beurteilen Sie das?
Nikolaus Forgó: Ähnlich. Es gibt dabei ein grundsätzliches Dilemma. Man hat vor 25 Jahren Verantwortlichkeitsprivilegierungen für Plattformbetreiber geschaffen. Das heißt vereinfacht, dass jemand, der eine Plattform anbietet, nicht dafür verantwortlich ist, was darauf passiert, solange er davon nichts weiß. Ebenso wie auch die Post nicht für erpresserische Briefe verantwortlich ist. Dadurch ist viel Innovationskraft entstanden. Gleichzeitig haben Unternehmen aber auch die Möglichkeit, Nutzungsbedingungen zu gestalten. So wurden Spielregeln entwickelt, etwa dass man auf Facebook keine nackten Brüste posten darf.

Was hat sich geändert?
Man hat insbesondere in Europa, aber auch in den USA zunehmend begonnen, mehr von den Plattformen zu verlangen. Dass sie aktiv anfangen zu moderieren und sich mehr in Richtung klassischer Medienunternehmen bewegen. Sie sollten inhaltlich und juristisch Einfluss nehmen. Man hat auch begonnen, das in Recht zu gießen. In Österreich ist etwa erst vor wenigen Wochen das Kommunikationsplattformengesetz (Anm.: das Hass im Netz eindämmen soll) in Kraft getreten.

Wozu hat dieses Vorgehen geführt?
Die Plattformen haben begonnen, genau das zu tun. Sie orientieren sich dabei aber weniger an den gesetzlichen Vorschriften, sondern an ihren Nutzungsbedingungen, wenn sie Postings löschen und Nutzer sperren. Da entsteht das Unbehagen. Unternehmen treffen Entscheidungen, der Staat hat dafür Anreize geschaffen. Das zeigt deutlich, wie wichtig diese Plattformen geworden sind - auch für den politischen Diskurs. Die Entscheidungen über den politischen Diskurs werden aber nicht in Europa getroffen werden, weil die Unternehmen nicht aus Europa kommen.

Es geht um die Frage, mehr an Moderation zu fordern oder mehr laufen zu lassen. Beides zugleich wird nicht funktionieren.

Wie wird es weitergehen?
Wir müssen uns klarer werden, was wir von den Unternehmen wollen. Wollen wir, dass sie moderieren und eine Herausgeber- oder Richterfunktion erfüllen, oder sollen sie sich neutral zurückhalten? Das Erste hat den Nachteil, dass die Plattformen auf den politischen Prozess Einfluss nehmen, das Zweite, dass alle möglichen Inhalte zu sehen sind. Es geht um die Frage, mehr an Moderation zu fordern oder mehr laufen zu lassen. Beides zugleich wird nicht funktionieren.

Was schlagen Sie vor?
Das Wichtigste wäre, dass man versucht, ein Umfeld zu schaffen, das es europäischen Anbietern ermöglicht in dem Spiel Fuß zu fassen und mitzuspielen. Gesetze, die den Markteintritt erschweren, dienen nicht dazu. Je mehr europäische Innovationen gefördert werden, je mehr Wettbewerb es gibt, desto eher wird das gelingen.

Sie vertrauen auf den Markt?
Ein gutes Beispiel dafür ist der in der vergangenen Woche eingetretene Nutzerexodus von WhatsApp zu anderen Anbietern. Wer hätte gedacht, dass mehrere Millionen Nutzer weiterziehen, weil es ihnen zu blöd ist, die WhatsApp-Geschäftsbedingungen zu akzeptieren? Wenn es Alternativen gibt, treffen Menschen auch Entscheidungen.

Trump supporters protest during a Stop the Steal rally at the U.S. Capitol

Am 6. Jänner stürmten Trump-Anhänger das US-Kapitol

Alternative europäische Plattformen entstehen, wenn überhaupt, nicht von heute auf morgen. Vieles, was auf den Plattformen passiert, verursacht jetzt Probleme.
Natürlich ist es ein gesellschaftliches und politisches Problem, wenn Menschen anfangen, sich auf Plattformen zu organisieren, um unerwünschte legale, halblegale oder illegale Dinge zu tun. Der Sturm aufs Kapitol ist illegal, Corona zu leugnen wahrscheinlich aber nicht. Das müssen wir als Gesellschaft aushalten. Was genau aber sollen wir von Plattformen verlangen? Dass sie keines oder beides verhindern, dass sie eines unterbinden und das andere nicht? Plattformen sollten diese Frage nicht entscheiden. Diese Linie müssen Gerichte ziehen.

Polen will Account-Sperren und das Löschen von Inhalten, die nicht gegen das polnische Recht verstoßen, verbieten.
Wenn man Plattformen verpflichtet, legale Inhalte auf der Plattform zu halten und illegale zu löschen, drängt man sie noch mehr in richterliche Rollen. Rechtliche Verfahren, etwa bei Gerichten, existieren ja nur deswegen, weil derartige Fragen im Vorhinein nicht eindeutig entschieden werden können. Wenn das klar wäre, bräuchte man keinen Richter und keine jahrelangen Verfahren. Wenn man von Plattformen verlangt, richterlich zu agieren, wird aber eine Linie gezogen, wo ich diese nicht haben will. Es gibt ja nicht eines, sondern Millionen Postings. Viele dieser Entscheidungen werden maschinell oder durch nicht juristisch ausgebildete Content-Moderatoren getroffen, über deren Arbeitsbedingungen man zurecht diskutiert.

Die FPÖ hat, nachdem YouTube ein Video ihres Klubobmannes Herbert Kickl gesperrt hat, ähnliches gefordert und von Zensur gesprochen.
Dass die Löschung des Kickl-Videos Zensur wäre, ist Unsinn. Kickl kann seine Meinung äußern wo er will, dass sich jemand entschließt, das nicht zu verbreiten, hat mit Zensur nichts zu tun. Kickl kann ja YouTube klagen. Wenn es etwas gibt, das Plattformen in den letzten Jahren geprägt hat, waren das gerichtliche Auseinandersetzungen mit Privaten, in denen es darum gegangen ist, was sie dürfen und was nicht. Das trifft für die Klagen von Max Schrems gegen Facebook ebenso zu wie auf die Auseinandersetzung von Eva Glawischnig mit dem Netzwerk. Was Facebook löschen muss, hat letztlich ein staatliches Gericht entschieden.

Nicht jeder Nutzer kann sich Klagen leisten.
Es könnte beispielsweise auch so etwas geben, wie institutionalisierte Interessenverbände, die eine Art von Musterprozess führen können, um strittige Fragen vor Gericht zu klären. Man könnte auch überlegen, ob es Sammelklagen geben sollte.

Unabhängige Beschwerdemechansimen für Nutzer, wie sie in dem geplanten Digital Service Act der EU vorgesehen sind, sind keine Lösung?
Das ist sehr bemüht und im Grunde auch richtig. Dort, wo es politisch heikel ist, wird es aber wenig helfen, weil Entscheidungen schnell getroffen werden müssen. Im Alltag, es wird Tausende Fälle geben, schafft man sehr viel an Bürokratie und hemmt die Innovation von neu auftretenden Unternehmen, die sich damit auch auseinandersetzen müssen.

Wir reden seit 25 Jahren darüber, ob das Internet etwas anderes ist als ein klassisches Medium. Es ist aber nicht gelungen, irgendeines der Netzwerke in Europa entstehen zu lassen.

Was wird der Digital Services Act ändern?
Im Grunde ändert sich dabei mit der Verantwortlichkeitsprivilegen nichts. Plattformen werden anders behandelt als Medienunternehmen. Ihre Verantwortung tritt erst dann ein, wenn sie von rechtswidrigen Inhalten wissen und nichts tun. Der Digital Services Act stellt aber hohe Anforderungen an große Plattformen, etwa, wie sie organisiert sein müssen, um Beschwerden rasch und schnell erledigen zu können. Es wird aber auch viel Bürokratie erzeugt. Ob das dazu dienen wird, das eigentliche Ziel, weniger Hass im Netz, zu erreichen, wird sich zeigen.

Kommen Regulierungen nicht zu spät?
Wir reden seit 25 Jahren darüber, ob das Internet etwas anderes ist als ein klassisches Medium. Es ist aber nicht gelungen, irgendeines der Netzwerke in Europa entstehen zu lassen. Als neuer Anbieter in die Märkte einzutreten, wird zunehmend schwierig. Das kann auch mit wettbewerbs- und kartellrechtlichen Problemen zu tun haben. Es ist aber vor allem ein Problem, Innovation in Europa zuzulassen.

Die Plattformen selbst tragen durch ihr Geschäftsmodell und ihre Empfehlungs- und Belohnungsmechanismen auch dazu bei, dass sich Verschwörungstheorien und Fake News schnell verbreiten. Wie kann das eingedämmt werden?
Dass es das Problem gibt, ist unbestritten. Dass wir aufgrund von Algorithmen bestimmte Dinge sehen oder nicht sehen, führt dazu, dass wir entsprechend unserer politischen Überzeugungen bestärkt werden. So war es aber im Grunde früher auch. Wer konservativ war, hat bestimmte Zeitungen gelesen. Dass Menschen auf Grundlage ihrer politischen Überzeugung Präferenzen entwickeln und Verstärkungen erfahren, ist also nichts Neues. Die traditionelle Antwort war, mit besseren Argumenten zu überzeugen. Wenn sich also nichts geändert hat, sollte auch die alte Regel eingehalten werden, dass man Menschen nicht vorschreibt, was sie sehen sollen, sondern das bessere Argument gewinnt. Jeder soll – aufgeklärt! - selbst entscheiden können, in welche Filter-Bubble er hineingeht.

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Patrick Dax

pdax

Kommt aus dem Team der “alten” ORF-Futurezone. Beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Innovationen, Start-ups, Urheberrecht, Netzpolitik und Medien. Kinder und Tiere behandelt er gut.

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