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Netzpolitik

Wie wir mit Big Data die Corona-Krise bewältigen können

Das österreichische Rote Kreuz hat mit „Stopp Corona“ gerade eine App veröffentlicht, mit der Nutzer ihre Begegnungen mit Freunden, Familie oder im Beruf festhalten können. Wenn der Nutzer dann plötzlich Symptome bekommt und den Verdacht hat, erkrankt zu sein, können seine Kontakte anonymisiert benachrichtigt werden. Die Betroffenen können sich dann in freiwillige Quarantäne begeben, um die Verbreitung des Coronavirus einzudämmen.

Tracking als Lösung?

Die Rote-Kreuz-App symbolisiert den derzeitigen österreichischen Weg, um die Verbreitung des Coronavirus mittels Technologie einzudämmen. Sie setzt auf eine freiwillige Nutzung und anders als in Südkorea werden Patienten nicht rund um die Uhr bewacht und bestraft, wenn sie sich aus der Wohnung entfernen.

In Südkorea wurden Personen auch per SMS darüber informiert, wenn in einem Wohnblock, dem sie sich näherten, besonders viele Fälle registriert waren. Das heißt: Die Bürger wurden dort rund um die Uhr getrackt und überwacht, aber auch entsprechend informiert, wenn sie sich einem Risikogebiet näherten. Diese Lösung hatte dort laut Berichten dazu geführt, dass die Erkrankung stark zurückgedrängt werden konnte. Doch wäre das auch ein Weg für Europa?

Das Epidemiegesetz in Österreich hebelt den Datenschutz weitgehend aus. Auch die EU-Kommission hält es aus datenschutzrechtlicher Sicht für möglich, sensible persönliche Daten im Kampf gegen die Ausbreitung des Virus zu verwenden. Mit der „Stopp Corona“-App hält man sich jedoch an geltende Datenschutz-Gesetze. Es wurde kein Instrument gebaut, das Tracking von Personen ermöglicht oder sogar bewusst fördert. Das Prinzip, seine Kontakte anonym zu teilen, beruht auf Freiwilligkeit.

Zu ungenau, zu viele Daten

„Die personenbezogene Nutzung von Bewegungsdaten, etwa für die Nachverfolgung von Kontakten zu Infizierten, kann ich mir nicht vorstellen. Ich bezweifle auch die Sinnhaftigkeit einer solchen Maßnahme", sagt Datenexperte Wolfie Christl zur futurezone. Er setzt sich seit Jahren kritisch mit dem Thema Big Data auseinander.

Die Standortdaten der Handynetzbetreiber seien ohnehin viel zu ungenau dafür. "Bewegungsdaten auf Basis von GPS oder WLAN via Smartphone und Apps sind nicht nur ungenau, sondern auch noch systematisch fehlerbehaftet. Wenn ich nun zum Beispiel analysieren möchte, welche Telefone in den letzten zwei Wochen in der Nähe einer infizierten Person waren, bekomme ich Hunderte bis Tausende Ergebnisse. Wer soll das auswerten", ist Christl skeptisch.

Ausnahmezustand und Überwachung

Nils Zurawski, Wissenschaftler an der Universität Hamburg vom Institut für kriminologische Sozialforschung, erklärt das Gefahrenpotenzial, das in der gesamten Entwicklung steckt: „Corona hat einen anderen Alltag in unser Leben gebracht. Das wird sich wieder ändern, aber Technologien, die aus Sicht der Überwacher sinnvoll erscheinen, werden bleiben. Zu überwachen gibt es immer etwas und wenn darüber Beziehungen zwischen Menschen und Krankheiten sichtbar werden, dringt diese Überwachung in Bereiche vor, die wir bisher maximal erahnen konnten. Wollen wir das? Nein. Aber können wir uns wehren, wenn es so sinnvoll erscheint? Ich fürchte nein.“

Peter Reichl, Informatikprofessor an der Universität Wien, hält Trackingapps ebenfalls nicht für eine geeignete Maßnahme im Kampf gegen Corona „Überwachungsapps sehe ich problematisch, weil sie Schnellschüsse wären und man zuerst fundiert darüber nachdenken sollte. Man muss vor allem die langfristige Perspektive sehen und wir alle müssen unser Verhalten langfristig ändern und anpassen“, warnt der Professor.

Impfstoff und offene Daten

Doch anderorts macht das Sammeln von vielen Daten im Kampf gegen die Corona-Krise sehr wohl Sinn. Big Data ist schließlich auch eine Schlüsseltechnologie für die medizinische und auch pharmazeutische Forschung. Ziel ist es, schnellere und bessere Therapien, Tests und Impfungen zu entwickeln. „Big Data kann in der Corona-Forschung sehr viel bringen, auch bei der Frage, was ein guter Impfstoff ist“, sagt Reichl.

BRAZIL-HEALTH-VIRUS

Doch auch beim Auswerten und Analysieren der bekannt gewordenen Fälle können Daten helfen. Während Daten in den meisten Ländern der Welt als positives Gut gesehen werden, ist das in Österreich und Deutschland bisher komplett anders. „Wir sollten uns in dieser Situation der Macht von Daten bewusst werden, und sie auch nützen können, damit wir als Bürger korrekte Informationen erhalten“, heißt es dazu auf futurezone-Anfrage aus Kreisen des Digitalisierungsministeriums.

Nachbesserungen erforderlich

Als Information über die Zahl der aktuell Erkrankten in Österreich und anderen Ländern sind Datensammlungen sinnvoll. Allerdings sollten diese Datensätze auch als offene Daten veröffentlicht werden. Das ist derzeit noch nicht der Fall, wie das Dashboard des Gesundheitsministeriums zeigt. „Dazu müssen sie leichter maschinenlesbar und unter einer offenen Lizenz veröffentlicht werden, damit sie weiterverwendet werden dürfen und zu einer besseren Verbreitung der Informationen für Nachrichtenorganisationen beitragen können“, erklärt Open-Data-Experte Robert Harm gegenüber der futurezone.

„Dazu sollten die Daten über die bekannten Fälle auch auf data.gv.at veröffentlicht werden.“ Damit könnten App-Entwickler in Folge auch Anwendungen basteln, die etwa darüber informieren, wenn sich in einem Grätzl besonders viele Fälle häufen - funktionieren würde das ganz dann auch ohne Mobilfunk-Tracking. Außerdem würde die Datenqualität verbessert. Medien müssen  die Zahlen rauskopieren, womit Fehler vorprogrammiert sind. Offene Daten würden folglich zur Bekämpfung von Fehlerquellen und einer guten Information für Bürger beitragen, sind sich Datenexperten einig.

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Barbara Wimmer

shroombab

Preisgekrönte Journalistin, Autorin und Vortragende. Seit November 2010 bei der Kurier-Futurezone. Schreibt und spricht über Netzpolitik, Datenschutz, Algorithmen, Künstliche Intelligenz, Social Media, Digitales und alles, was (vermeintlich) smart ist.

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