Das iPad Pro im futurezone-Test
Das iPad Pro im futurezone-Test
© Thomas Prenner

Business-Tablet

Apple iPad Pro im Test: Eine vertane Chance

Mit dem 2010 veröffentlichten iPad hat Apple den Tablet-Markt für die Massen erschlossen – mit einem für ein Erstgerät erstaunlich ausgereiften Modell. Während Android und die anderen Hersteller noch Jahre brauchen sollten, um ein ähnlich geschmeidiges Gesamtsystem von Hardware und Software auf den Markt zu bringen, wurde Apple nicht zuletzt durch den hohen Reifegrad der Geräte zum Opfer des eigenen Erfolgs.

Verunsichert durch schwächelnde Verkaufszahlen und die vorübergehend starke Samsung- und Nexus-Konkurrenz zog Apple schließlich mit einem kleineren, günstigeren iPad Mini nach, was das Problem der sinkenden Gesamterträge aber eher verstärkte. Auf der anderen Seite positionierte sich Microsoft mit seiner Surface-Reihe und Windows 8 als vollwertiges Business-Hybrid-Gerät. Während das Surface Pro 4 den Anspruch als Notebook-Ersatz im Test großteils einlösen kann, muss Apple den Beweis für die von Tim Cook aufgestellte Behauptung für das iPad Pro erst erbringen. Einmal mehr kann man sich allerdings dem Eindruck nicht erwehren, dass Apple mit dem eigenen Business-Tablet eher reagiert als agiert.

Keine Frage, die Größe des 12,9-Zoll-Displays imponiert. Tatsächlich gibt es immer noch kaum große Tablets bzw. Convertibles auf dem Markt, geschweige denn solche, die für die tägliche Nutzung ohne Dock oder Tastatur vorgesehen sind. Nimmt man das iPad Pro zum ersten Mal in die Hand, überrascht das für die Größe geringe Gewicht und das dünne Gehäuse. Bei knapp 70 Prozent mehr Fläche ist das iPad Pro mit seinen 713 Gramm um nur 57 Prozent schwerer als das ältere iPad Air. Verarbeitung und Design sind wie bei den anderen iPads tadellos, jeder Knopf, jeder Anschluss und Auslass sitzen perfekt.

Das iPad Pro liegt gut in der Hand. Die Aluminium-Rückseite rutscht nicht und die geschliffenen Kanten sind gerade nicht so scharf, dass es unangenehm wird. Das Tablet über längere Zeit in den Händen zu halten, ist zwar anstrengend, aber möglich, für die flexible Nutzung mit einer Hand ist das iPad Pro trotz seiner leichten Bauart aber einfach zu schwer. Das Display weist natürliche Farben und eine gute Strahlkraft auf. Im Freien bzw. bei direkter Sonneneinstrahlung spiegelt das Display aber gewohntermaßen stark – ein bekanntes Problem, das sich das Gerät mit praktisch sämtlichen Notebook-Displays teilt. Fingerabdrücke fallen bei dem großen Bildschirm stärker auf als bei kleineren iPads.

Hohe Pixeldichte, unscharfe Elemente

Mit der Auflösung 2732 x 2048 Pixel bietet das iPad Pro die selbe Pixeldichte von 264 ppi wie das kleinere iPad Air. Nur das iPad mini ist mit 326 ppi noch schärfer aufgelöst. Die Größe des Displays bewirkt, dass manche Grafik-Elemente auf Webseiten, aber auch Icons und Schriften in diversen Apps pixelig dargestellt werden. Auch dafür kann Apple wenig bis nichts. Durch das größere Display fallen die Versäumnisse von App-Entwicklern und Webseitenbetreiber nun aber viel stärker auf als bei den kleineren iPads.

iPad Pro schlägt Microsofts Surface
Seltsam, um nicht zu sagen enttäuschend mutet die praktisch unveränderte App-Anordnung auf dem Home-Screen an. Anstatt den großen Screen auszunützen, hält Apple beim Raster von fünf mal vier Apps fest. Auch in die fixierte Leiste unten kann kein zusätzliches App-Icon hineingezogen werden, obwohl der Platz definitiv vorhanden ist. Die Einstellung Anzeigezoom vergrößert die Icons und Schriften lediglich, was allerdings nur dazu führt, dass selbst die Apple-eigenen Icons und die Schriften unscharf erscheinen.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt stellt man sich die Frage, worin der Mehrwert des iPad Pro als produktives Business-Gerät im Vergleich zu seinen kleineren Vorgängern eigentlich besteht. Das von Microsoft bekannte Teilen des Screens zur Nutzung zweier Apps gleichzeitig gibt es bei den kleineren iPads ebenfalls. Die Funktion ist praktisch, leider kann man die beiden Fenster aber nicht völlig frei verändern – die linke Seite kann maximal auf die Hälfte des Screens verkleinert werden – auch das Anheften und Tauschen der beiden Displayhälften könnte noch besser gelöst sein.

Die virtuelle Tastatur bildet aufgrund des größeren Displays praktisch alle Tasten einer physischen Tastatur ab, ohne dass man sich erst per Umschalttaste zu den Ziffern und wichtigsten Sonderzeichen hanteln muss. Damit hat es sich aber mit den Vorteilen schon. Die vom MacBook Trackpad bekannte und beim iPhone 6s eingeführte Force Touch Bedienung, mit der man per festerem Druck auf das Display zusätzliche Menüpunkte, Shortcuts etc. aufrufen kann, fehlt unverständlicherweise. Beim Arbeiten mit angedockter Tastatur ertappt man sich in den Office-Programmen von Microsoft und Apple zudem ständig dabei, gerne eine Maus per Bluetooth verbinden zu wollen.

Dass Apple zum Verkaufsstart des iPad Pro keine passende deutsche Tastatur anbieten kann, ist peinlich. Das sogenannte Smart Keyboard ist nur mit englischem Layout um 179 Euro erhältlich, die Lieferzeit beträgt zudem vier bis fünf Wochen. Wer eine Tastatur mit deutschem Layout verwenden mag, die wie das Apple-Keyboard über den neuen Anschluss auf der Tablet-Seite dockt und folglich keine Bluetooth-Verbindung und keinen eigenen Akku braucht, muss derzeit auf Logitechs Create-Tastatur um 149 Euro ausweichen.

Die Logitech-Tastatur ist die einzige mit deutschem Layout

Alternative: Logitech Create

Im Test funktioniert die Logitech-Tastatur ohne Probleme. Das iPad Pro kann leicht im Case fixiert, aber auch wieder herausgenommen werden. Die Beleuchtung der Tasten ist ein nettes Feature, der Druckpunkt der Tasten ist in Ordnung. Drückt man etwas fester geben die Umgebungstasten ein wenig nach, was aber im Alltagsbetrieb wenig störend ist. Die Tastatur trägt zum Notebook-Feeling bei – bis man allerdings wieder an die Einschränkungen von iOS 9 erinnert wird. Für mehr Produktivität sorgen eine Reihe von Keyboard-Shortcuts, die allerdings nicht auf das Logitech-Modell beschränkt sind. Eine Übersicht der praktischen Tasten-Kombinationen findet sich auf 9to5Mac.

Der größte Nachteil der Logitech-Lösung ist deren Gewicht. Mit 725 Gramm ist das Keyboard-Case schwerer als das iPad Pro selber und sorgt dafür, dass die Kombi sogar schwerer als Apples 13-Zoll MacBook Air ist. Anders als die leichtere Apple-Keyboard-Lösung (das genaue Gewicht wird auf der Apple-Homepage leider nicht angeführt) schützt das massive Logitech-Cover das Tablet auch auf der Rückseite. Da das Case aber großzügige Aussparungen auf den jeweiligen Seiten hat, ist auch bei der Logitech-Lösung kein vollständiger Rundumschutz gegeben.

Der Magnet im zusammengeklappten Zustand hält, dennoch lassen sich die beiden Hälften im geschlossenen Zustand leicht verschieben. Das Material bietet einen gewissen Schutz gegen Stöße und ist zudem Spritzwasser-fest. Wenngleich das Andocken probemlos klappt, sorgt die Lösung aufgrund der Schwere des iPads dennoch nur bedingt für Stabilität. Auf dem Tisch aufgestellt gibt das Display bei der Touch-Bedienung zwar nicht nach, hebt man die Tastatur mit iPad auf, wackelt dieser bedrohlich. Ersten Tests zufolge soll dies aber auch beim Apple-Keyboard der Fall sein.

Leistung und Geschwindigkeit des iPad Pro lassen nichts zu wünschen übrig. Der Apple-Chip A9X mit 1,8 Ghz Dual-Core-Prozessor sorgt in Kombination mit 4 Gigabyte RAM für einen absolut ruckelfreien Betrieb – selbst bei ressourcen-intensiven Apps und der Dual-Nutzung im Split-Screen. Im Gegensatz zum kleineren iPad Air 2 wird das Gehäuse weniger schnell warm. So gut das Innenleben, so schwach die 8-Megapixel-Kamera auf der Rück- und die 1,2-Megapixel-Kamera auf der Vorderseite. Apple hat die Kamera beim iPad nie völlig Ernst genommen und das ist auch beim iPad Pro leider keine Ausnahme.

Wie gehabt - super Verarbeitung, edles Design
Neu und verbessert ist auch das Lautsprecher-Konzept, das gegenüber dem iPad Air 2 noch einen draufsetzen möchte. So ist das iPad Pro mit vier Lautsprechern, jeweils zwei rechts und links, ausgestattet. Die Welt neu erfinden kann Apple damit aber auch nicht. Der Sound klingt zwar voller und räumlicher, bleibt aber dumpf und blechern. Irritierend ist zudem, dass der Klang sich nicht vor, sondern hinter dem Display bildet, man folglich also das Gefühl hat, der Screen schirmt diesen ab. Wer Filme schaut und Musik hört, sollte weiterhin auf Kopfhörer oder Bluetooth-Lautsprecher setzen. Der Akku ist mit ca. zehn Stunden Dauer kein Thema, das Aufladen dauert allerdings ebenfalls mehrere Stunden.

Die von Apple groß angekündigte Neuerung, der Apple Pencil, mit dem vor allem Grafiker, Kreative und Architekten eine feinfühlige Eingabeoption erhalten, ist derzeit in Europa kaum erhältlich. Auf der offiziellen Seite wird die Lieferzeit für den 109 Euro teuren Pencil mit vier bis fünf Wochen angegeben. Auch die futurezone konnte den Stift deshalb noch nicht testen – zumal Apple österreichische Medien seit einiger Zeit auch nicht mehr mit Testgeräten ausstattet.

Nein, das iPad Pro ist kein Notebook- oder Desktop-Ersatz bzw. nicht mehr und nicht weniger als die anderen iPads. Tim Cooks Einschätzung, dass das Arbeiten am Computer heute längst nicht mehr mit Notebooks und PCs gleichzusetzen ist, kann man zu 100 Prozent unterschreiben. Niemand hat Apple gezwungen, ein größeres Tablet zu entwickeln, das noch dazu mit der Bezeichnung „Pro“ nach „Business“-Usern schreit. Während der Nutzung fragt man sich aber oft: Was bringt der Riesen-iPad und wem?

Die Vorteile, die ein größeres Display mit sich bringt, werden schnell zu Nachteilen, etwa wenn das Tablet mit einer Hand über einen längeren Zeitraum als wenige Minuten gar nicht gehalten werden kann. Ohne entsprechenden Case ist das iPad folglich kaum nutzbar, mit diesem – wie der Logitech-Tastatur – wird es erst recht ein schwererer Begleiter, als es die neuen Macbooks jetzt sind.

Split Screen
Das größte Manko und die größte vertane Chance ist aber Apples dogmatisches Festhalten an iOS inklusive einer fehlenden Möglichkeit Speichersticks oder auch Festplatten einfach mittels USB anschließen zu können. Auch dass das große iPad weiterhin nicht per Maus – und sei es nur optional - bedienbar ist, beschneidet die Möglichkeiten des Geräts. Dazu kommt, dass viele Firmenlösungen - etwa CMS-Systeme - weiterhin von Flash und anderen Webtechnologien und Scripts abhängen, die vom iPad im Gegensatz zu Macbooks nicht unterstützt werden.

Innovation gesucht

Apple hätte beim iPad Pro durch einen neuen Software-Zugang, der Vorzüge von iOS und Mac OSX verknüpft, und Schnittstellen, die bei anderen iPads noch nie zur Diskussion standen, einen wirklichen Mehrwert für Business-User schaffen können. Am Ende entschied man sich – leider wie so oft in den vergangenen Jahren – für die sichere und bewährte Variante. Dass ausgerechnet das von Steve Jobs lächerlich gemachte Konzept des Stiftes von seinen Nachfolgern als große Innovation präsentiert wurde, passt in dieses Bild. Unterm Strich bleibt übrig: Das iPad Pro ist ein großes iPad. Nicht mehr und nicht weniger.

Das iPad Pro ist in den drei Farben Silber, Gold, Space Grau verfügbar. Das 32 Gigabyte-Modell kostet 899 Euro, für 128 GB Speicher muss man 1079 Euro auf den Tisch legen. Wer ein iPad Pro mit LTE-Anschluss haben möchte, muss gar 1229 Euro ausgeben. Das kleinere Modell ist nur mit WLAN-Funktion ausgestattet. Alle genauen technischen Spezifikationen finden sich auf der Apple-Seite.

Disclaimer: Das iPad Pro Testgerät wurde der futurezone zeitlich begrenzt von T-Mobile zur Verfügung gestellt.

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Martin Jan Stepanek

martinjan

Technologieverliebt. Wissenschaftsverliebt. Alte-Musik-Sänger im Vienna Vocal Consort. Mag gute Serien. Und Wien.

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