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Apple Watch 4 mit eSIM im Test: Mobile Freiheit mit Tücken

Die Apple Watch ist ein merkwürdiges Produkt. Nach dem medienwirksamen Start im April 2015 und dem abgeklungenen Smartwatch-Hype fristete sie im Schatten des iPhone ein eher bescheidenes Dasein. Doch wie beim iPad, das mit steigenden Verkaufszahlen und einem neuen Betriebssystem zuletzt kräftige Lebenszeichen von sich gab, machte Apple einfach beharrlich weiter. Nach Schätzungen wurde die Apple Watch im Vorjahr mehr als 22 Millionen Mal verkauft. Das Geschäft damit ist längst größer als am Höhepunkt des iPods.

Mit Series 4 vollzog Apple im Herbst 2018 erstmals ein bemerkbares Redesign. Die Uhr bekam einen größeren Bildschirm, einen EKG- und Sturzsensor, wurde gleichzeitig aber flacher und damit eine Spur filigraner. Während man die Uhr in Deutschland bereits seit längerem mit Mobilfunk verwenden konnte, gibt es die eSIM-Möglichkeit in Österreich erst seit Juni - wenn vorerst auch nur bei A1. Die futurezone hat das zum Anlass genommen, die Apple Watch nach längerer Zeit wieder einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.

eSIM aktivieren

Für die Aktivierung der eSIM, welche die Apple Watch mit Mobilfunk versorgt, öffnet man die Watch App auf dem iPhone und ruft den Menüpunkt „Mobilfunk“ auf. Über den Konfigurieren-Button erhält man die Aufforderung, mit der iPhone-Kamera den QR-Code des Mobilfunkanbieters zu scannen. Alternativ kann man die vom Mobilfunker erhaltenen eSIM-Daten auch manuell eingeben. Für den eSIM-Tarif werden bei A1 zusätzlich 6,90 Euro pro Monat fällig.

Ich hatte beim Einrichten zunächst Pech und bekam eine Fehlermeldung, dass der Tarif nicht kompatibel sei. Das dürfte wohl dem Umstand geschuldet gewesen sein, dass ich es am ersten Tag der Verfügbarkeit probierte und der Server noch mit Problemen zu kämpfen hatte. Bei einem weiteren Versuch einen Tag später klappte schließlich alles in wenigen Augenblicken.

Welche Apps profitieren von der eSIM?

So schnell das Freischalten der eSIM im Idealfall geht, ist es gar nicht so einfach herauszufinden, was die aktive Mobilfunkverbindung auf der Apple Watch in der Praxis eigentlich bringt. Da die Uhr über Bluetooth 5.0 ständig mit dem iPhone verbunden ist, wenn dieses in der Nähe ist, und auch auf bekannte WLAN-Netze zugreift, merkt man im Alltag zunächst keinen Unterschied zu einer Apple Watch ohne Cellular-Chip.

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Somit bleibt auch unklar, welche Apps auf der Watch eigenständig funktionieren und welche – Mobilfunkverbindung hin oder her – doch auf das iPhone als Begleiter angewiesen sind. Den eSIM-Trumpf ausspielen soll die Uhr ja genau dann, wenn man das Handy bewusst zuhause lassen will – sei es jetzt, weil man eine Runde Joggen geht oder ins Schwimmbad fährt. Das führte im Test zu einigen teilweise unliebsamen Überraschungen.

Alle folgenden Ausführungen beziehen sich auf das Szenario, in dem das iPhone zuhause blieb und die Watch ausschließlich auf ihre eSIM-Mobilfunkverbindung angewiesen war.

Telefonieren und Nachrichten

Für wen telefonieren im Jahr 2019 immer noch wichtig ist, der bekommt mit der eSIM ein sogenanntes Killerfeature. Ich war ohne iPhone über die eigene Nummer erreichbar und konnte problemlos telefonieren. Über die verwendeten Bluetooth-Kopfhörer mit Mikrofon, wie den Apple Airpods, machte es von der Sprachqualität keinen Unterschied, ob ich mit dem iPhone oder der Watch telefonierte.

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Der Empfang von Nachrichten funktionierte ebenfalls problemlos. Über die Siri-Anbindung konnte ich problemlos diktierte Nachrichten per SMS versenden. Wer E-Mails abrufen und die eine oder andere kurze Antwort senden will, braucht ebenfalls kein iPhone mehr. Vorsicht beim ersten Einrichten: Um den E-Mail-Account wirklich nutzen zu können, muss man etwa für Gmail in der Watch App auf dem iPhone das Passwort erneut bestätigen. Wer das übersieht, steht im Ernstfall ohne E-Mail-Zugang da.

Spotify Fehlanzeige

Die erste unliebsame Überraschung folgte auf dem Weg in die Arbeit. Mit meiner bestehenden Watch nutze ich die Spotify-App, um gekoppelt mit dem iPhone durch Musik zu navigieren und die Lautstärke mit der Digital Crown zu steuern. Umso erstaunter war ich, als nach dem Öffnen der Spotify-App auf der neuen Watch nichts passierte. Nach kurzem Googeln (mit einem anderen Handy) war klar: Spotify bietet die Streaming-Funktion ebenso wie Offline-Musikhören für die Watch ohne iPhone nicht an.

Wer zum Trainieren oder Baden gehen auf Spotify-Streaming setzt, bleibt ohne iPhone also aufgeschmissen. Dasselbe gilt für YouTube Music, das für die Apple Watch ebenfalls nicht als App verfügbar ist. In der Spotify-Community ist das Problem bekannt. Man darf also hoffen, dass Spotify darauf reagiert und bald ein App-Update für die Apple Watch bereitstellt. Die Offline-Funktion hätte Spotify bereits umsetzen können. Für Audio-Streaming schafft Apple mit dem nun kommenden watchOS 6 die Voraussetzung.

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Den einzigen Ausweg bietet zur Zeit Apple Music. Über den Apple-eigenen Service kann man Musik streamen bzw. erhält über iCloud auch Zugriff auf dort gespeicherte Songs und Alben, die man gekauft oder hochgeladen hat. Das funktionierte im Test über die Mobilfunkverbindung der Uhr einwandfrei. Eine weitere Möglichkeit ist, Musik über iTunes auf die Apple Watch zu übertragen. Aber dafür braucht man wiederum keine eSIM bzw. Mobilfunk-Verbindung.

Navigieren ohne Google

Was die Nutzung von Kartenmaterial betrifft, muss man auf der Watch leider mit Apple Maps vorlieb nehmen, da Google den Support von Google Maps für die Uhr 2017 eingestellt hat. Die Mobilfunkverbindung hilft, um sich unterwegs zurecht zu finden, indem man von der Uhr aktiv nach einer Route gelotst wird. Für mich entpuppte sich die Funktion allerdings als praktisch wertlos, da ich sie mehrmals auf dem Fahrrad gebraucht hätte, Apple diese Option aber immer noch nicht anbietet.

Wer Apps auf der Watch nutzt, die aktuelle Informationen abrufen, wird von der Mobilfunkverbindung definitiv profitieren. Ob es jetzt ist, um aktuelle Öffi-Fahrzeiten oder das Wetter nachzusehen bzw. über Shazam einen Song zu finden – all das funktioniert mittels eSIM. Apps, die auf die Rechenleistung oder bestimmte Sensoren des iPhone angewiesen sind, bleiben auch mit eSIM eingeschränkt. Welche das genau sind, kann man eigentlich nur App für App selber herausfinden.

Apple Pay geht auch ohne

Eine Funktion, bei der man interessanterweise weder auf die Kopplung mit dem iPhone noch auf eine aktive Mobilfunkverbindung angewiesen ist, ist das Bezahlen mit Apple Pay über die Watch. Wenn die kompatiblen Debit- bzw. Kreditkarten über die Watch App auf dem iPhone einmal hinterlegt sind, kann man problemlos mit der Uhr zahlen - auch ohne iPhone im Gepäck und ohne eSIM-Modell.

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Fazit: eSIM-Modell als Zukunftsinvestition

Ob man sich eine Apple Watch mit eSIM-Funktion (Cellular) kaufen sollte, hängt stark vom Nutzungsverhalten ab. Wer sein Handy bei Freizeitaktivitäten öfter mal zuhause lassen will und nicht auf Spotify- und YouTube-Streaming bzw. Google Maps angewiesen ist, kann bedenkenlos zuschlagen. Aber auch wen die von mir aufgezeigten Schwachstellen stören, könnte mit dem eSIM-fähigen Modell auf längere Sicht mehr Freude haben.

Denn Apple hat bereits angekündigt, dass die Uhr künftig stärker vom iPhone entkoppelt werden soll. Apps sollen etwa ohne iPhone installiert werden können und generell eigenständiger funktionieren. Auch bleibt stark zu hoffen, dass durch die steigende Popularität der Watch beliebte Apps wie Spotify oder Google Maps ein langersehntes Update erhalten, damit sie ohne Einschränkungen auf der Uhr verwendet werden können. Dann wird man ebenfalls von der eSIM-Variante profitieren.

Bei der Entscheidung, ob Apple Watch Series 3 oder Series 4, ist meine Empfehlung ganz klar Series 4. Die Design-Veränderungen sind zwar auf den ersten Blick subtil, das Traggefühl ist durch das dünnere Gehäuse aber deutlich angenehmer als bei den Vorgängermodellen. Das geringfügig größere Display ist zwar keine Revolution, aber ebenfalls eine spürbare Verbesserung. Bei der Geschwindigkeit und Akkudauer gibt es immer noch Luft nach oben – aber auch hier kann die Series 4 punkten.

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Martin Jan Stepanek

martinjan

Technologieverliebt. Wissenschaftsverliebt. Alte-Musik-Sänger im Vienna Vocal Consort. Mag gute Serien. Und Wien.

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Martin Jan Stepanek

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