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iPhone Xs im Test: Das Geld einfach nicht wert

Ein Jahr nach Einführung des iPhone X, mit dem Apple das zehnjährige Jubiläum seines Smartphones feierte, steht der Konzern so gut wie noch nie da. Die riskante Strategie, ein Gerät anzubieten, das selbst in der kleinsten Konfiguration bereits 1149 Euro kostete, ging auf. Im August verkündete Apple einmal mehr ein Rekordquartal mit einer Umsatzsteigerung von 17 Prozent auf 53,3 Milliarden Dollar und 14,5 Milliarden Dollar Gewinn.

Exorbitante Preise

Beim iPhone Xs lautet die Devise einmal mehr: Wenig Innovation für extrem viel Geld zu verkaufen. So kostet das 64-Gigabyte-Modell erneut 1149 Euro. Wer 256 Gigabyte möchte, muss 1319 Euro, wer sich 512 Gigabyte einbildet, gar 1549 Euro hinblättern. Das alles schreit nach hochwertig. Die verwendeten Materialien – Edelstahl für Rahmen und Kameragehäuse sowie Glas auf der Vorder- und Rückseite – werden zumindest diesem Anspruch gerecht. Auch die Verarbeitung ist wie schon beim Vorgänger iPhone X, dessen Design das iPhone Xs übernommen hat, tadellos.

Die neben Dunkelgrau und Silber hinzugekommene Gold-Variante ist erstaunlich dezent ausgefallen und erinnert in der Färbung eher an Bronze denn an gleißendes Gold. Die minimal veränderte Rahmenunterseite, die nun mit weniger Aussparungen auskommt, ist ein Hinweis, dass die Lautsprecher laut Apple 25 Prozent lauter sein sollen. Im Test war diese „Verbesserung“ allerdings kaum spürbar. Der Klang ist eine Spur lauter, aber noch blecherner als beim iPhone X. Audiophiles Musikhören ist anders.

Kamera

Den Großteil seiner iPhone-Xs-Präsentation verwendete Apple darauf, sein überarbeitetes Kamerasystem vorzustellen. Im Test kristallisierte sich schnell heraus, warum das so war. Denn es ist die Funktionalität, mit der sich das iPhone Xs am stärksten vom iPhone X abhebt. Aufnahmen in der Dunkelheit sind erstmals weitgehend frei von störendem Bildrauschen. Und auch mit Blitz lassen sich in der Dämmerung  schöne Porträt-Fotos schießen – eine Aufgabe, an der das iPhone X noch spektakulär scheiterte.

Dasselbe gilt für Aufnahmen mit Gegenlicht, die nun besser ausbalanciert sind und harmonischere Farben aufweisen. Verantwortlich für die stärkere Foto-Leistung, die sich naturgemäß auch beim Filmen von Videos niederschlägt, sind bessere Sensoren, die mehr Licht einfangen. Dazu gibt es eine leicht veränderte Doppellinse, die weitwinkeliger als beim iPhone  X arbeitet, sowie der verbaute neue Apple-Chip A12. Dieser errechnet im Zusammenspiel mit den anderen Komponenten in Echtzeit das bestmögliche Bild.

Neu ist auch, dass die Tiefenschärfe nachträglich verändert werden kann – etwa, wenn man den Hintergrund bei einem Porträt besonders unscharf haben will, um das Gesicht zu betonen. Bei einfachen Lichtverhältnissen hingegen fallen die Verbesserungen im Vergleich zum iPhone X nicht dramatisch aus. Gelegentlich neigt die Software auch dazu, es mit dem Farbausgleich zu übertreiben, was Gesichter von Porträtierten im Test ein wenig artifiziell aussehen ließ.

Design mit Tücken

Da das iPhone Xs vom Design her mit dem iPhone X identisch ist, profitieren Nutzer zwar vom rahmenlosen Display und bekommen so mehr Bildschirmfläche für weniger Gehäuse als bei früheren iPhone-Modellen. Der bewährte und von vielen geschätzte Fingerprint-Sensor ist damit allerdings weiterhin Geschichte. Für die Neuauflage hat es Apple verabsäumt, den Fingerprint-Scanner im Display oder auf der Rückseite zu verbauen, wie das asiatische Hersteller in ihren Geräten bereits realisiert haben.

iPhone-Xs-Nutzer müssen folglich – so sie nicht wieder zur alten PIN-Eingabe zurückkehren wollen – mit FaceID vorlieb nehmen. Nun kann sich Apple zwar wirklich auf die Fahnen schreiben, als bisher einziger Hersteller eine ausgezeichnet funktionierende und relativ sichere Gesichtserkennung implementiert zu haben. Mit Sonnen- oder Schibrille, aber auch in vielen Lebenssituationen, ist und bleibt FaceID allerdings auch beim iPhone Xs ein Lotteriespiel. Weil man technisch bedingt in einem bestimmten Winkel auf den Bildschirm schauen muss, was gerade im Stockdunkeln oder im Bett liegend nicht ausnahmslos klappt. Auch ist und bleibt es nervig, dass man nach der Gesichtserkennung noch mit dem Finger nach oben wischen muss, um Inhalte anzuzeigen.

Im Vergleich zum iPhone X war die angekündigte FaceID-Verbesserung im Test des iPhone Xs kaum spürbar. Generell profitiert das iPhone Xs vom aufgemotzten Innenleben, wie dem neuen A12-Bionic-Prozessor. Wenn man die beiden Modelle direkt nebeneinander legt und gewisse Apps und Funktionen startet, ist dieser Millisekunden-Vorteil sichtbar. In der Praxis wird dies aber niemandem auffallen. Abzuwarten bleibt, ob die künstliche Intelligenz im A12-Chip besser mitlernt und so auch das Entsperren mittels FaceID noch zuverlässiger macht.

Kamerahügel und Notch

Auch auf die Gefahr hin, dafür ein #Mimimi zu kassieren: Dass Apple es seit dem iPhone 6 und damit seit vier Jahren nicht schafft bzw. nicht für notwendig hält, die Kamera ohne Hervorstehen im iPhone-Gehäuse unterzubringen, ist mir absolut unverständlich. Legt man das iPhone Xs auf den Tisch, wackelt es bei jeder Berührung munter vor sich hin. Es ist schwer vorstellbar, dass der design-verliebte Perfektionist Steve Jobs das dem Entwicklerteam so lange hätte durchgehen lassen.

Auch der umstrittene Notch, also die schwarze Aussparung am oberen Displayrand, wo Front-Kamera und Lautsprecher untergebracht sind, ist und bleibt keine schöne Lösung. Gerade bei hellen Inhalten, die am Display dargestellt werden, stört der schwarze Fleck das Sichtfeld zwar nicht beträchtlich, ist aber doch immer präsent.

Display und Akku

Auch das OLED-Display überzeugt mich im Vergleich zum LCD bei älteren iPhones nicht restlos. So verändert sich die Farbe leicht, wenn man das Display neigt – was etwa beim Lesen von schwarzer Schrift auf weißem Display auffällt. Die maximale Helligkeit könnte ebenfalls noch stärker sein, um die offenbar immer noch unvermeidlichen Spiegeleffekte beim Lesen in der Sonne ausgleichen zu können.

Dass Apple das laut eigenen Aussagen stabilste Glas verwendet, das es je in einem Smartphone gab, mag vielleicht stimmen. Kratzfest ist es aber leider trotzdem nicht, wie Gebrauchsspuren nach ein paar Tagen Nutzung am Display zeigen, ohne dass ich mit dem Gerät besonders nachlässig umgegangen wäre. Wer seine Investition längerfristig schützen möchte, kommt folglich an einem Gehäuse- und Displayschutz leider nicht vorbei.

Auch beim Akku ist alles wie gehabt. Laut Apple soll das iPhone Xs 30 Minuten länger als das iPhone X laufen. In der Praxis macht das wenig Unterschied. Im Test hielt das iPhone Xs bei relativ ausgiebiger Verwendung inklusive Streaming, Fotografieren und intensiver Mobilfunk-Nutzung etwa 24 Stunden durch. Bei weniger intensiver Verwendung muss das Gerät aber auch nach 36 Stunden aufgeladen werden. Zwei volle Tage Akkuleistung sind und bleiben offenbar etwas, das im Jahr 2018 immer noch zuviel verlangt ist.

Fazit

Das neue Kamerasystem und minimale Verbesserungen wie ein schnellerer LTE-Chip, die Möglichkeit, das Telefon mit zwei SIM-Karten (eine davon als virtuelle eSIM) zu benützen, Wasserschutz bis zwei Meter Tiefe (maximal 30 Minuten) und ein leicht verbesserter Akku sind auf der Haben-Seite ein bisschen wenig für die Neuauflage eines bis zu 1549 Euro teuren Gerätes.

Wer bei Apple bleiben will oder muss, sollte auf das ein Jahr alte iPhone 8 ausweichen, das im freien Markt schon bei knapp über 600 Euro zu finden ist. Eine Alternative könnte zudem das leicht abgespeckte iPhone Xr sein, das allerdings erst ab Ende Oktober erhältlich ist. Einziger Wermutstropfen: Auf eine Dual-Kamera muss man bei beiden Ausweichmodellen leider verzichten.

Disclaimer: Das für den Test verwendete iPhone Xs in Gold, 512 GB wurde uns für einen begrenzten Zeitraum von A1 zur Verfügung gestellt

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Martin Jan Stepanek

martinjan

Technologieverliebt. Wissenschaftsverliebt. Alte-Musik-Sänger im Vienna Vocal Consort. Mag gute Serien. Und Wien.

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Martin Jan Stepanek

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