Garmin Forerunner 645 Music im Test: iPod fürs Handgelenk
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Ungefährlich, effektiv, unterhaltend: Musik ist wohl das beste legale Dopingmittel. Zahlreiche Studien belegen den positiven Effekt von Musik auf die Laufleistung. Die Auswirkungen sind so maßgeblich, dass zahlreiche Bewerbe bereits den Einsatz von Kopfhörern und MP3-Playern verbieten. Doch auch wenn man nicht um neue Rekorde kämpft, Musik, Hörbücher und Podcasts können einen langweiligen Lauf erst unterhaltsam machen.
Doch all das hatte bislang einen Haken: Man musste ein Smartphone mitschleppen. Ein 200 Gramm schweres Gerät am Oberarm mag zunächst keine große Last sein, nach einer Weile nervt es jedoch. Die Lösung: Die Musik wird auf der Laufuhr gespeichert, das Smartphone darf zuhause bleiben. Während Geräte von Apple, Samsung, Polar und TomTom bereits seit einigen Jahren die Möglichkeit bieten, Musik auf dem internen Speicher zu hinterlegen, zieht der US-Hersteller mit der Forerunner 645 Music erst jetzt nach. Eine professionelle Laufuhr mit langer Laufzeit, die sich hinter modernen Smartwatches nicht verstecken muss - das klingt zumindest vielversprechend. Die futurezone hat den Nachzügler getestet.
Hochwertiger Kunststoff-Metall-Mix
Optisch hat sich im Vergleich zum mittlerweile drei Jahre alten Vorgänger Forerunner 630 einiges verändert. Während der Vorgänger noch eher von Kunststoff geprägt war, umrandet die Forerunner 645 Music eine silberne Lünette aus Metall. Die Grundfläche der Uhr ist etwas geschrumpft - das Gehäuse ist knapp 2,5 Millimeter schmaler - dafür ist sie etwas dicker geworden (13,5 statt 11,7 Millimeter). Auch beim Gewicht trennt die beiden Uhren nur ein Hauch, mit 42,2 Gramm ist sie jedoch angenehm leicht.
Die Verarbeitung macht einen deutlich hochwertigeren Eindruck, auch wenn die Rückseite des Gehäuses nach wie vor aus Kunststoff besteht. Die insgesamt fünf verbauten Metalltasten sind ebenso deutlich besser verarbeitet als beim Vorgänger und verfügen über einen angenehmen Druckpunkt. Das ist auch bitter notwendig, denn die Uhr kann nun nur mehr über die Tasten bedient werden. Der Vorgänger verfügte auch über einen Touchscreen.
Der Abschied vom Touchscreen fällt nicht schwer, denn dieser war bereits bei den Vorgängermodellen eine Katastrophe. Eingaben wurden meist nur träge und unzuverlässig erkannt. Die Bedienung per Tasten funktioniert da deutlich besser und schneller, auch wenn einige Funktionen (langes Drücken der “Oben”-Taste öffnet die Einstellungen) gut versteckt sind. Nach kurzer Zeit merkt man sich aber die meisten Befehle intuitiv und man kann die Laufuhr bedienen, ohne auf den Bildschirm zu blicken.
Kratzer- und Werkzeug-frei
Das mitgelieferte elastische Armband aus Silikon hat einen hohen Tragekomfort und lässt sich dank des neuen Mechanismus leicht abnehmen. Bei der Forerunner 630 musste man noch zum Schraubendreher greifen, beim Nachfolger kommt der gleiche “Quick Release”-Mechanismus wie bei der Vivoactive 3 zum Einsatz. Der Vorteil: Nutzer können das Armband mit einem Handgriff ohne Werkzeug abnehmen. Dabei ist man allerdings auf die offiziellen Armbänder von Garmin beschränkt, beim Vorgänger konnten noch beliebige 20-Millimeter-Armbänder verwendet werden.
Der Bildschirm ist im Vergleich zum Vorgänger etwas geschrumpft (1,2 statt 1,23 Zoll), ist aber qualitativ ebenfalls deutlich hochwertiger. So fällt die Darstellung der Schrift aufgrund einer höheren Auflösung (240 mal 240 Pixel statt 215 mal 180 Pixel) deutlich schärfer aus. Obwohl das Glas deutlich stärker spiegelt, ist der Bildschirm auch bei Tageslicht gut ablesbar. Bei Nacht schaltet sich auf Wunsch die Hintergrundbeleuchtung automatisch ein, wenn der Nutzer die Hand hebt. Ich habe es aber meist bevorzugt, die Beleuchtung per Tastendruck zu aktivieren - das ist vor allem im Kino deutlich diskreter.
Der Bildschirm wird nun auch offiziell von Corning Gorilla Glass 3 geschützt, das sich im Vergleich zum “chemisch verstärkten Glas” des Vorgängers auch gegenüber leichten Kratzern als widerstandsfähiger erweist. Eine Schutzfolie ist somit nicht mehr unbedingt erforderlich. Zudem profitiert man von der Tatsache, dass man nicht mehr ständig mit dem Finger auf den Bildschirm tapsen muss, sodass dieser von Fingerabdrücken frei bleibt. Lediglich auf der Metall-Lünette zeigten sich nach ein paar Wochen leichte Kratzer.
Wie zu iPod-Zeiten
Obwohl sie sich funktional den Großen annähert, ist die Forerunner 645 Music keine Smartwatch. Über die hauseigene Plattform Connect IQ können zwar Apps heruntergeladen werden, diese sind aber funktional deutlich eingeschränkter als bei der Apple Watch oder Android-Wear-Geräten. So gibt es beispielsweise eine Uber-App, die dem Nutzer verrät, wann der Uber-Fahrer kommt, eine Bestellung kann aber nicht über die Uhr abgegeben werden. Fans von Navigations- und Karten-Apps werden hier aber rasch fündig. Zudem gibt es eine reichhaltige Auswahl an anpassbaren Ziffernblätter-Designs und praktische Mini-Apps, beispielsweise um das geparkte Auto wiederzufinden.
Die Installation der Apps ist allerdings mühsam. Der Nutzer muss Garmin Express auf seinem PC oder Mac installieren und dort sein Garmin-Konto und Gerät registrieren. Von dort aus öffnet man den Connect-IQ-Store und wählt die gewünschten Apps aus. Erst dann kann die App heruntergeladen und mit der Uhr synchronisiert werden. Ein langwieriger Prozess, der an das Synchronisieren alter MP3-Player erinnert. Das mag im Jahr 2009 noch in Ordnung gewesen sein, 2018 wäre die Verwaltung per Smartphone-App aber durchaus angebracht.
Musik hören wie 2007
Von diesem Problem wird auch das namensgebende Feature der Forerunner 645 Music geplagt: Die Musik-Wiedergabe. Die Uhr verfügt über rund vier Gigabyte Speicher, wovon der Großteil für Musik verwendet werden kann. Laut Garmin können bis zu 500 Titel hinterlegt werden, wobei das von Titellänge und Bitrate abhängig ist. So weit, so gut. Doch bereits das Übertragen der Musik ist mühsam. Wie bei den Apps können die Titel nur über PC oder Mac auf die Uhr übertragen werden. Auch Playlists müssen vor dem Synchronisieren erstellt und können weder auf Uhr noch in der App bearbeitet werden.
Ein mühsamer Prozess, der den Musikspaß etwas trübt. Als problematisch erweist sich hier auch der fehlende Shuffle-Modus. Die Forerunner 645 gibt die Titel stets in der gleichen Reihenfolge wieder, sodass man selten für Abwechslung sorgen kann. Ebenfalls etwas seltsam ist die Tatsache, dass derzeit lediglich MP3- und AAC-Dateien unterstützt werden - das heißt, man muss die Musik zuvor gekauft haben. Streaming-Anbieter wie Spotify oder Google Play Music werden vorerst nicht unterstützt. Zumindest für Deezer hat Garmin bereits eine App in Aussicht gestellt, mit der Titel auf der Uhr gespeichert werden können. Zugegeben, bislang unterstützen lediglich Samsungs Gear S3 und Gear Sport Spotifys Offline-Synchronisation, dennoch ist der fehlende Support enttäuschend.
Die Wiedergabe funktionierte im Test relativ reibungslos, mehrere verschiedene Bluetooth-Kopfhörer ließen sich problemlos hinzufügen. Die Oberfläche, mit der die Wiedergabe gesteuert wird, ist zwar etwas gewöhnungsbedürftig, nach einer Weile hat man sich an diese jedoch gewohnt. Der Nutzer navigiert durch ein Rad an Funktionen (zum Beispiel Lautstärke, nächster Titel oder 30 Sekunden vorspulen) und bestätigt diese mit der “Start/Stop”-Taste. Gespeicherte Titel können nach Künstler, Album und Genre gefiltert werden, zudem gibt es eigene Ordner für Hörbücher und Podcasts.
Das Bluetooth-Signal fiel hin und wieder etwas schwächer als bei Smartphones aus, was sich insbesondere bei vollständig drahtlosen Ohrhörern, wie den Jaybird Run, bemerkbar machte. Hielt man die Hand zu weit unten, ging das Signal oftmals verloren und die Wiedergabe wurde unterbrochen. Herkömmliche Bluetooth-Kopfhörer, deren Lautsprecher durch ein Kabel miteinander verbunden sind, bereiteten hingegen keine Probleme.
Abgespeckte Forerunner 935
Obwohl die Forerunner 645 in der Rangordnung unter der Forerunner 935 steht, muss sie sich nicht vor dem großen Bruder verstecken. Tatsächlich ließen sich im Test kaum Unterschiede zwischen den beiden Modellen feststellen, auch wenn sie sich minimal voneinander unterscheiden. So eignet sich die Forerunner 935 auch für das Triathlon-Training, da Freiwasserschwimmen und der Multisport-Modus unterstützt werden - diese Funktionen fehlen bei der Forerunner 645. Wer also auch Bewerbe mit verschiedenen Sportarten aufzeichnen will, muss zum 100 Euro teureren Modell greifen.
Während die Forerunner 630 lediglich mit Brustgurt den Puls aufzeichnen konnte, ist die Forerunner 645 erstmals auch mit einem optischen Pulssensor ausgestattet. Dieser zeichnet die Herzfrequenz im Sekundentakt auf, auch wenn keine Aktivität gestartet wurde. Die Akkulaufzeit wird durch die Messung des Ruhepuls nicht beeinträchtigt, mit einer Ladung kann die Uhr knapp eine Woche lang betrieben werden. Wer jeden Tag eine rund einstündige Aktivität aufzeichnet, muss den Akku bereits nach fünf Tagen wieder laden. Da der Ladevorgang aber kaum länger als eine Stunde dauert, ist das verschmerzbar.
Apropos Laden: Garmin setzt weiterhin auf ein proprietäres USB-Ladekabel, das wie eine Wäscheklammer an der Uhr befestigt wird. Obwohl das Design dem des Vorgängers stark ähnelt und die Uhr sogar lädt, können keinerlei Daten übertragen werden. Die App erkennt zwar die Uhr, bittet den Nutzer aber, das mitgelieferte Kabel zu verwenden.
Präzise beim Laufen
Der optische Pulssensor lieferte erstaunlich präzise Messergebnisse, die kaum von denen eines Brustgurtes abweichen - zumindest solange das Tempo konstant blieb. Der gemessene Puls liegt bei raschen Veränderungen der Belastung, beispielsweise beim Tempowechsel im Intervalltraining, deutlich daneben. Der korrekte Wert wird erst nach ein bis zwei Minuten ausgewiesen. Eine für Intervalltraining oftmals zu lange Zeit. Bei längeren Läufen mit konstantem Tempo kann man den angezeigten Werten aber bedenkenlos vertrauen.
Wer auf präzise Werte angewiesen ist, kommt daher weiterhin nicht um einen Brustgurt herum. Um zusätzliche Informationen, wie Bodenkontaktzeit, Schrittfrequenz oder die vertikale Bewegung, erfassen zu können, benötigt zudem den offiziellen Garmin-Brustgurt HRM-Run. Dieser ist separat für rund 80 Euro erhältlich. Bei der Aufzeichnung der Routen gab es keinerlei Probleme, Probeläufe mit mehreren GPS-Geräten (Forerunner 630, Polar M600, Huawei P20 Pro) gab es keinerlei nennenswerten Abweichungen in Distanz und Positionierung der erfassten Strecke. Hin und wieder verlor die Uhr jedoch das GPS-Signal. Eine Ursache dafür ließ sich nicht feststellen, da es zu verschiedenen Tageszeiten und Wetterbedingungen passierte. Das Signal wurde aber bereits nach wenigen Sekunden wieder erfasst, die verlorene Strecke wurde problemlos interpoliert und mitgerechnet.
Stressige Daten
Wie der Vorgänger verfügt die Forerunner 645 über WLAN. Über die Express-App können WLAN-Netzwerke und Passwörter hinterlegt werden, sodass sich die Uhr automatisch verbindet. So können aufgezeichnete Aktivitäten auch ohne Smartphone hochgeladen werden. Garmins Connect-App ist weiterhin gewöhnungsbedürftig, aber auch relativ mächtig. So können erhobene Daten auf die Sekunde genau ausgewertet, um Details ergänzt (zum Beispiel welche Schuhe getragen wurden) sowie mit der Garmin-Community verglichen werden. Wem das nicht ausreicht, kann die Daten aber auch problemlos mit Strava synchronisieren, wo man sich mit einer deutlich größeren Community messen kann.
Recht interessant ist auch der automatisch erhobene “Stress-Tageswert”, der mithilfe der Herzfrequenzvariabilität ermittelt wird. Über das Protokoll kann auch ermittelt werden, wann man besonders entspannt oder unter Stress gestanden ist. Die Schlafanalyse fällt hingegen etwas enttäuschend aus. Der Nutzer kann das Schlaf-Tracking nicht manuell starten, sondern muss übliche Ruhezeiten in der App angeben. Bewegt man sich in dieser Zeit nicht, wird eine Schlafphase angenommen. Das Tracking erfasst lediglich leichten und tiefen Schlaf sowie die Bewegung. Hier bieten bereits simple Apps, wie “Sleep as Android” mehr Einblick. Apropos: Diese ist auch per Connect-IQ-App mit der Forerunner 645 kompatibel.
Die Forerunner 645 ist zudem die erste Laufuhr, die Garmins hauseigenen Bezahldienst Garmin Pay unterstützt. Mit diesem kann eine Bankomat- oder Kreditkarte auf der Uhr hinterlegt werden, der Nutzer muss lediglich diese auf ein NFC-Terminal halten, um zu bezahlen. Da die meisten Bezahlterminals bereits über einen NFC-Leser verfügen, hätte man somit zumindest theoretisch auch einen guten Grund, die Brieftasche zuhause zu lassen. Leider nur theoretisch, denn Garmin Pay wird derzeit noch nicht in Österreich unterstützt. Auch Deutschland findet sich derzeit noch nicht auf der Liste, dafür aber die Schweiz, Großbritannien sowie 13 weitere Länder. Auf Anfrage bestätigte Garmin jedoch, dass in "wenigen Wochen eine Lösung bekanntgegeben [wird], mit der Garmin Pay in Deutschland und Österreich endlich in die Praxis übergehen kann".
Fazit
Musik hören könnte so einfach sein - doch wie viele Wearables beweisen, ist das komplizierter als gedacht. Auch die Forerunner 645 Music (450 Euro UVP) ist in dieser Hinsicht kein fehlerloses Exemplar. Die Musikwiedergabe funktioniert zwar gut und reibungslos, allerdings ist die Synchronisation mühsam und die Funktionen sind stark eingeschränkt. Eine Shuffle-Funktion sowie das Verwalten der Musik in der App wären für das Jahr 2018 durchaus angebracht, ebenso wie die Unterstützung für aktuelle Streaming-Dienste wie Spotify. Denn gekaufte Musik ist heutzutage eher die Ausnahme statt der Regel.
Glücklicherweise handelt es sich dabei um Makel, die sich allesamt mit Updates bereinigen lassen. Sollte Garmin hier nachbessern, hätte man eine fast perfekte Laufuhr geschaffen. Denn theoretisch kann man mit der Forerunner 645 Music Smartphone, Brieftasche und Brustgurt zuhause liegen lassen.
Abgesehen von der Musik-Funktion liefert Garmin mit der Forerunner 645 eine der derzeit besten Laufuhren in dieser Preisklasse. Der Aufpreis zur Forerunner 935 lohnt sich lediglich, wenn man auf die Multisport-Funktion angewiesen ist. Wer zudem auf Musik verzichten kann, spart sich noch einmal 50 Euro und erhält die Forerunner 645 bereits für 400 Euro.
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