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„Neben Apple ist definitiv genug Platz“

Withings-CEO Mathieu Letombe erklärt im futurezone-Interview, wohin die Reise bei smarten Gesundheitsgeräten geht, warum die Übernahme durch Nokia nicht klappte und wie abhängig Withings von Apple ist.

Apple mag zwar der Konzern sein, der Gesundheits-Apps und medizinische Messungen mit dem iPhone und der Apple Watch massentauglich machte. Die Vorarbeit leisteten aber einmal mehr andere. Eine dieser Firmen ist Withings. Schon 2009 entwickelte sie eine smarte Körperwaage, die über WLAN Gewicht, Fettanteil und BMI (Body-Mass-Index) aufzeichnete und auf einer Webseite für seine User aufbereitete. Zwei Jahre später folgte ein Blutdruckmessgerät, das bereits am iPhone andockte sowie diverse Fitness-Tracker.

2016 schien das Start-up es geschafft zu haben. Nokia kaufte Withings, Co-Gründer Cédric Hutchings wurde zum Leiter der Sparte „Digital Health“ beim finnischen Konzern ernannt. Der Plan ging nicht auf, bereits 2018 verkaufte Nokia die Sparte zurück an den zweiten Co-Gründer Éric Carreel, der die in der Zwischenzeit eingestampfte Marke Withings wiederbelebte. Das neueste Produkt ist eine Smartwatch, die auch zur Bekämpfung von Corona eingesetzt wird. Die futurezone hat CEO Mathieu Letombe interviewt.

futurezone: Mittlerweile ist Withings eine der wichtigsten Firmen im Bereich Gesundheitsgeräte und Medizin-Apps. Aber wie ist das Unternehmen eigentlich entstanden?
Letombe: Die drei Gründer stammen aus dem Telekombereich und wollten etwas mit WLAN machen. Die Überlegung war: Welche Gegenstände bzw. Geräte könnte man mit dem Internet verbinden, um etwas Neues zu schaffen. Daraus entstanden die erste Körperwaage und der Blutdruckmesser. Wir haben quasi schon „Internet der Dinge“ gemacht, als das Thema noch gar nicht so präsent war.

Was ist bei der Übernahme durch Nokia damals schiefgelaufen?
Nokia hat sich schwergetan, unser Start-up mit 200 Personen in ihren Konzern mit 100.000 Mitarbeitern zu integrieren. Da Nokia nach dem Ende der Handy-Ära keine Consumer-Sparte mehr hatte, war auch das schwierig. Es hat einfach nicht gepasst. Wir haben aber extrem viel gelernt - unter anderem, was mit den finanziellen und personellen Ressourcen eines Großkonzerns erst alles möglich ist.

Seit dem Neustart 2018 fokussiert Withings noch stärker auf Gesundheitsprodukte. Ist diese Nische groß genug? Apple, Samsung, Huawei - alle setzen jetzt darauf.
Neben Apple und den anderen ist definitiv genug Platz. Allein in den USA leiden 180 Millionen Menschen an einer chronischen Krankheit. Wir verfügen jetzt über Sensoren, mit denen wir echte medizinische Geräte bauen können, die im Alltag bequem zu bedienen sind. Nutzer verstehen, dass das keine technischen Gadgets sind, sondern ihnen tatsächlich bei ihrer Gesundheit helfen können. Das haben mittlerweile auch Ärzte, Krankenhäuser und andere medizinische Einrichtungen erkannt.

Wie schwierig war das Geschäftsjahr angesichts der Pandemie?
So herausfordernd die Rahmenbedingungen waren, haben wir viele neue Kunden gewonnen. Durch Corona und die schweren Verläufe bei Risikopatienten ist vielen Menschen erst bewusst geworden, wie wichtig eine gute körperliche Verfassung ist und dass man auch aktiv etwas dafür tun kann – etwa, was Blutdruck, Gewicht, Körperfett und andere Parameter betrifft. Unsere Scanwatch misst zudem die Sauerstoffsättigung im Blut, was beim Corona-Verlauf eine essenzielle Rolle spielt.

Wie offen sind Ärzte und medizinische Forschungseinrichtungen, was den Einsatz von Smartwatches und anderen Geräten betrifft?
Die Pandemie hat hier viel verändert. Anstatt persönlich zum Arzt gehen zu können, mussten viele auf telemedizinische Konsultationen ausweichen. Ärzte haben damit prinzipiell kein Problem, wollen aber verlässliche Daten haben, nach denen sie sich bei einer Behandlung richten können. In den USA war der Trend schon vor COVID-19 spürbar, bei uns in Europa hat das im vergangenen Jahr einen kräftigen Schub bekommen.

Inwiefern verändern solche Geräte die medizinische Behandlung?
Wenn Ärzte bei ihren Patienten Werte erheben, ist das nur eine Momentaufnahme. 99,9 Prozent ihrer Zeit verbringen Patienten aber außerhalb der Praxis. Kardiologen bekommen mithilfe solcher Geräte Daten monatelanger Messstrecken. Man kann viel leichter erkennen, ob eine Medikation oder andere Maßnahmen anschlagen. Und was noch wichtiger ist: Auch die Betroffenen können es selber ablesen, was oft eine Motivation bedeutet. Viele hören ja mit Medikamenten oder ihrem Training auf, weil sie den Effekt nicht messen können.

"Wir wollen definitiv keine Ärzte ersetzen"

Mathieu Letombe | CEO Withings

Viele rechnen damit, dass Konzerne wie Apple und Google künftig zu medizinischen Dienstleistern werden und – etwa für eine monatliche Gebühr – die professionelle Interpretation von Gesundheitsdaten übernehmen. Hat Withings auch solche Ambitionen?
Wir wollen definitiv keine Ärzte ersetzen. Unsere Aufgabe sehen wir darin, mit unseren Geräten die besten Daten liefern zu können. Derartige Services sind nicht unsere Sache.

Warum hat sich Withings entschieden, die eigene Smartwatch als klassische Uhr ohne farbiges Display auf den Markt zu bringen?
Leute lieben es, eine klassische Uhr zu tragen. Das wollen wir nicht ändern. Wir wollen die Technologie so unauffällig implementieren wie es nur geht. Uns war auch wichtig, dass man die Uhr nicht alle 24 Stunden aufladen muss – damit heben wir uns ganz wesentlich von den anderen Herstellern ab. Mit dem Formfaktor und der einfachen Bedienbarkeit erreichen wir zudem auch Leute, die nicht ganz so technologie-affin sind.

Durch die notwendige Smartphone-App zur Aufbereitung der Daten und Einrichtung der Uhr ist Withings stark von Apple bzw. Google/Android abhängig. Ist das kein enormes Risiko?
Natürlich profitieren wir ein Stück weit auch vom Erfolg von Apple und Android. Gerade Apple sehen wir aber überhaupt nicht als Bedrohung, sondern als Partner. Die Apple Watch ist ein schönes Gerät und hat durch die integrierte EKG-Messung viel zur Akzeptanz beigetragen. Wir setzen auf einen anderen Formfaktor und Fokus. Wenn Apple gegen uns wäre, würden sie unsere Geräte nicht in ihren Stores verkaufen. Die meisten medizinischen Daten in der Health App auf dem iPhone kommen von unseren Geräten.

Über Withings

2009 bei Paris gegründet, zählt Withings zu den Vorreitern bei E-Health-Geräten. Nach einem kurzen Intermezzo beim Technologiekonzern Nokia wurde das französische Unternehmen 2018 von einem der drei Gründer, Éric Carreel, wieder zurückgekauft und fokussiert nun fast ausschließlich auf Gesundheitsprodukte.

Withings beschäftigt aktuell 275 Mitarbeiter. Neben der Zentrale in Frankreich mit 200 Beschäftigten gibt es zwei weitere Standorte in Boston und Hongkong. In einer Investitionsrunde vergangenen Sommer konnte Withings 53 Millionen Euro aufstellen.

Produkte: Neben Körperwaagen und Blutdruckmesser hat Withings auch eine intelligente Schlafmatte im Portfolio, die Schlafstörungen und Apnoe erkennen soll. Die im Herbst eingeführte Scanwatch kann neben Puls und EKG auch die Sauerstoffsättigung im Blut messen. Sie wird derzeit in einer medizinischen Corona-Studie des LMU München eingesetzt.

Viele fürchten, dass ihre sensiblen Daten von Firmen an Dritte weitergegeben bzw. deren Schutz nicht gewährleistet werden kann.
Wir haben uns natürlich nicht erst mit der Einführung der Datenschutz-Grundverordnung Gedanken darüber gemacht. Wir geben niemals Daten weiter. User können zudem wählen, ob sie sie auf ihrem Gerät oder in unserer Cloud speichern wollen. Auch das Teilen – etwa mit anderen Apps – geschieht nur mit Einwilligung unserer User. Die Entscheidung liegt bei ihnen.

Bräuchte es diesbezüglich aber nicht strengere und klarere Regeln?
Natürlich wäre es besser, wenn bei Apps, die Zugriff auf medizinische und Fitness-Geräte haben, klarer ersichtlich wäre, woher diese stammen. Es sollte auch ersichtlich sein, wie valide diese sind – also ob sie etwa von einem zertifizierten medizinischen Gerät stammen oder manuell eingegeben wurden. Was man auch noch erwähnen sollte: User wollen ihre Daten verwenden und teilen. Das war auch bei unseren Geräten immer schon das Feedback von Usern.

Sind die strengen Zertifizierungen für medizinische Geräte ein Fluch oder ein Segen?
Für bestimmte medizinische Anwendungsbereiche in den jeweiligen Ländern zertifiziert zu werden, ist ein komplizierter Prozess. Dass Menschen und deren Gesundheit dadurch geschützt werden, ist begrüßenswert. Uns schützt es vor Mitbewerbern, die auf jeden beliebigen Trend aufspringen, denn für sie ist so eine Zertifizierung einfach zu aufwändig. Andererseits können solche Regularien natürlich auch innovationshemmend sein.

Wie geht es technologisch weiter? Welche Körperfunktionen wird man mittels neuer Sensoren und Geräte künftig noch messen können?
Nach der Aufzeichnung von Puls, EKG, Atemfunktionen und des Schlafes versucht man jetzt auch den Blutzucker und den Blutdruck am Handgelenk zu messen. Das funktioniert bisher noch nicht gut genug, aber da wird sich sicher noch einiges tun in den kommenden Jahren. Kamerasensoren könnten eine wichtige neue Rolle spielen. Ebenso bessere Algorithmen, die Unregelmäßigkeiten entdecken und User vor potenziellen Erkrankungen warnen.

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Martin Jan Stepanek

martinjan

Technologieverliebt. Wissenschaftsverliebt. Alte-Musik-Sänger im Vienna Vocal Consort. Mag gute Serien. Und Wien.

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