Den Viren mit Kälte auf die Pelle rücken
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Jeder von uns weiß inzwischen, wie das Coronavirus aussieht: eine Kugel mit vielen kleinen Noppen – die sogenannten Spike-Proteine. Die bilden eine Krone („Corona“) an der Virushülle und unterstützen das Virus, an den entsprechenden Rezeptor auf der Zelloberfläche anzudocken und in die Zelle einzudringen.
Die Bestimmung der biomolekularen Struktur von Viren ist fundamental. Denn erst wenn diese bekannt ist, kann ein Wirkstoff entwickelt werden, der das Virus bekämpft. Seit den 70er-Jahren wird dafür die Kryo-Elektronenmikroskopie (Kryo-EM) eingesetzt, 2017 wurde sie hinsichtlich der Detektortechnik und Software aber entscheidend weiterentwickelt. Sie ermöglicht eine Abbildung der atomgenauen Struktur von einzelnen Proteinen und Biomolekülen in 3D. Die Proteine werden schockgefroren, wodurch sie ihren komplett natürlichen Zustand erhalten – ohne Chemie.
Atomnahe Auflösung
Der Molekularbiologe Florian Schur am IST Austria (Institute of Science and Technology) forscht an Retroviren – Stichwort: HIV – und bestimmten DNA-Viren wie Pocken. Ihm zufolge haben viele Viren unterhalb ihrer Hülle Bausteinproteine (Kapside), die miteinander interagieren und das Gerüst bilden. Diese Bausteine geben dem Virus nicht nur Form und Stabilität, sondern erlauben ihm zum Beispiel auch, aus der Zelle herauszukommen. Schur untersucht keine Einzelproteine, sondern Viren oder Zellen als Ganzes. Diese Methode nennt sich Kryo-Elektronentomografie.
„Bei den Retroviren wussten wir längere Zeit zwar, wie die Struktur eines einzelnen Bausteins aussieht, aber wir wussten nicht, wie das Virus diese Bausteine zusammensetzt, um ein Viruspartikel zu formen“, sagt er gegenüber der futurezone. Um das herauszufinden, wird eine Vielzahl der zu untersuchenden Viren in der Lösung eingefroren. Da aber jedes Viruspartikel anders aussieht, können sie nicht addiert werden, um die hochaufgelöste Struktur zu ermitteln. Es werden daher nicht ein, sondern mehrere Bilder desselben Partikels aus unterschiedlichen Blickwinkeln gemacht: „Wir schauen uns das Partikel von allen Seiten an, sodass wir ein 3D-Bild bekommen.“
Mit dem Wissen, wie sich Bausteine verbinden, könne man in der Folge Ansätze und Methoden ausarbeiten, mit denen diese Verbindungen verhindert oder unterbrochen werden können. So könnte erreicht werden, dass sich das Virus gar nicht erst zusammensetzt.
Zellwanderung
Ein Forschungsschwerpunkt von Schur ist auch, einen der wichtigsten Akteure in der Fortbewegung von Zellen zu untersuchen: das sogenannte Aktin-Zytoskelett. Die Zellwanderung ist für physiologische Vorgänge wie die Embryonalentwicklung oder Wundheilung wichtig. Eine Störung dieser Prozesse führt hingegen zu diversen Pathologien, etwa zur Metastase von Tumorzellen.
„Zellen bewegen sich von A nach B. Eine Immunzelle macht das und eine Krebszelle leider auch, etwa wenn sie metastasiert“, sagt Schur. Alle Zellen verfügen über ein dynamisches Zellskelett, das aus verschiedenen Komponenten besteht, etwa die Aktin-Filamente – das sind fadenförmige Zellstrukturen. Je nachdem, in welche Richtung die Zelle wandern will, sei sie in der Lage, diese Filamente dorthin wachsen zu lassen. „Die Immunzelle etwa spürt, dass in einem Bereich ein Bakterium ist und möchte dorthin. Dann wächst in diese Richtung das Aktin-Zellskelett und drückt die Zelle dorthin“, erklärt der Forscher. Gleichzeitig baut sie am Hinterteil des Zellskeletts ab, damit sie nicht länger wird. Die Filamente werden laut Schur streng reguliert, damit ihre Ausbildung nicht außer Kontrolle gerät und die Zelle auch das tut, was sie tun will.
Genetische Manipulation
Schur untersucht, welche Rolle diese regulatorischen Moleküle in der Zelle spielen und welche Wechselwirkung sie aufeinander haben. Er beobachtet die Dynamik der Proteine im Lichtmikroskop. Mittels genetischer Manipulation würden dann gezielt bestimmte Proteine aus der Zelle weggenommen, um zu sehen, wie sie reagiert und ob sie bestimmte Dinge noch ausführt.
„Die experimentelle Herausforderung, das in der Zelle mittels Kryo-Elektronentomografie zu machen, ist relativ groß“, erklärt der Spezialist. Denn nicht nur die Probenvorbereitung, sondern auch die Datenaufnahme, um Proteine zu visualisieren, seien sehr aufwendig. Zum ersten Mal ist es nun gelungen, einen dieser regulatorischen Faktoren in der Zelle aufzulösen und detailliert darzustellen. „Jetzt haben wir das erste Bild, wie diese Interaktionen stattfinden können“, sagt Schur. Mit der Methodenentwicklung sollen künftig weitere bedeutende Erkenntnisse gewonnen werden.
Kraftwerke der Zellen
Mitochondrien sind die Kraftwerke der Zellen. Sie erzeugen Energie, die für das Leben essenziell ist. Der Biophysiker Leonid Sazanov vom IST Austria (Institute of Science and Technology) ist Experte in diesem Bereich und hat mithilfe der Kryo-Elektronenmikroskopie erstmals das Enzym „Komplex I“ aufgelöst, das als Pumpe in der Energieerzeugung eine wichtige Rolle spielt.
Das Wissen über die Struktur von Komplex I ist nicht nur für die Entwicklung von Medikamenten wesentlich, sondern auch, um mitochondrialen Erkrankungen auf die Spur zu kommen. Meist liegt hier ein genetischer Defekt in den Mitochondrien vor und betrifft vor allem die Muskelzellen.
Brennstoff
„Komplex I ist das größte Enzym. Und je größer ein Enzym, umso schwieriger ist es, die Struktur zu erkennen“, sagt Sazanov. Komplex I ist das erste Enzym in der Atmungskette – eine Reihe von Enzymen in der inneren Membran von Mitochondrien. Diese Kette ist für den Großteil der Energieproduktion der Zelle verantwortlich. Der Brennstoff der Zelle ist ATP (Adenosintriphosphat), das von den Mitochondrien erzeugt wird. „Diese ATP-Moleküle treiben alle Lebensprozesse an“, sagt Sazanov.
Mechanismus
2019 haben er und sein Team die ersten atomaren Strukturen von Komplex I bestimmt. Trotz der zentralen Rolle von Komplex I bei der Energieerzeugung ist es erst in diesem Jahr gelungen, auch zu ermitteln, welchen Mechanismus es dabei nutzt. „Drei Enzyme kreieren in der Atmungskette einen sogenannten Protonengradienten, wodurch Protonen über die Membran transportiert werden“, sagt Sazanov.
Die Enzyme bewegen sie von der äußeren und inneren Membran in den Innenraum der Mitochondrien – die Erzeugung der ATP-Moleküle wird mithilfe des Protonengradienten angetrieben.
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