Riesen-Segler soll Schiffsverkehr umweltfreundlicher machen
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Der Schiffsverkehr ist derzeit noch eine große Baustelle, was den Kampf gegen den Klimawandel betrifft. Ein großer Teil aller Wasserfahrzeuge wird mit Hilfe extrem schadstoffhaltiger Treibstoffe angetrieben. Die Schifffahrt insgesamt ist für rund 3 Prozent aller Treibhausgasemissionen weltweit verantwortlich. Bemühungen der internationalen Schifffahrtorganisation (IMO), die Emissionen zu senken, gehen Klimaschützer*innen nicht weit genug. Womit sie sich wohl eher anfreunden könnten, wären Schiffe mit 90 Prozent weniger Emissionen. Genau das sieht "Oceanbird" vor.
Oceanbird: Segel setzen gegen Klimakatastrophe
7000 Autos an Bord
Das Schiffskonzept beschreibt einen 200 Meter langen und 40 Meter breiten Frachter, der bis zu 7000 Fahrzeuge laden kann. Weil die nicht per Kran verladen werden, sondern über eine riesige Rampe wie in einem Parkhaus ein- und ausfahren, spricht man von einem Ro-Ro-Schiff (Roll on, Roll off). Angetrieben wird es durch fünf gigantische Segel, die vom Oberdeck aus wie Teleskope auf bis zu 80 Meter Höhe ausgefahren werden können.
Kooperation mit Forschungspartnern
"Seit ungefähr 2004 denken wir darüber nach, wie wir die Vision eines weitgehend abgasfreien Schiffes umsetzen können", erklärt Per Tunell vom schwedischen Schiffsdesignunternehmen Wallenius Marine der futurezone. "Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass wir die vorhandene Energie rund um das Schiff nutzen müssen." Solarzellen würden nicht genug Energie liefern, die Kraft der Wellen wäre schwierig umzuwandeln, Flugdrachen (Kites) wären zu klein - daher musste es ein Segelschiff werden.
Wallenius Marine tat sich mit dem Forschungsinstitut SSPA und der Technik-Uni KTH zusammen, um ein Segelfrachtschiff von Grund auf neu zu entwickeln. 2019 wurde ein Forschungsprojekt gestartet, das auch vom schwedischen Verkehrsministerium gefördert wird. Dass es unbedingt ein Ro-Ro werden sollte, liegt an Firmenmutter Wallenius Lines, die auf diese Art von Transportmitteln spezialisiert ist. Der Schiffstyp sei aber auch vorteilhaft, weil er ein freies Oberdeck habe.
Robuste, verlässliche Segel
Im Rahmen des Forschungsprojekts wurde u.a. untersucht, wie sich Winde in einer Höhe über dem Meer verhalten, die die Oceanbird-Segel erreichen. "Dieser Teil der Atmosphäre ist noch wenig erforscht", meint Tunell. Die Erkenntnisse sollen in das Design der Segel einfließen. Sie sollen aus einem Metall-Kunststoff-Mix bestehen, nicht aus Stoff. "Verlässlichkeit und Robustheit sind sehr wichtig. Die Segel müssen selbst rauem Wetter standhalten und 250 Tage pro Jahr eingesetzt werden können." Stoffsegel müssten dagegen oft ausgetauscht werden.
Die Teleskop-Bauweise der Segel sei notwendig, um die Angriffsfläche für Stürme bei Bedarf verkleinern zu können. Außerdem könne das Schiff so unter bestimmten Brücken durchfahren. Wie sich dieses Konzept in der Praxis bewährt, wird derzeit mit Hilfe eines 7 Meter langen Schiffmodells im Meer vor Stockholm untersucht.
Wind ist immer irgendwo am Ozean
Unterwegs sein sollen Schiffe nach dem Oceanbird-Design auf hoher See zwischen den Kontinenten, etwa auf Transatlantikrouten. Während herkömmliche Schiffe die Ozeanüberquerung in 7 bis 8 Tagen schaffen, soll es mit dem Frachtsegler rund 12 Tage dauern. "Auf dem Ozean zu fahren, ist vorteilhaft, weil man fast immer eine Route wählen kann, auf der genug Wind herrscht", meint Tunell. Genaue Wettervorhersagen seien für den Betrieb des Schiffes maßgeblich und dank heutiger Technologien auch jederzeit verfügbar.
Klappt es mit dem Wind mal gar nicht, wird ein Hilfsantrieb an Bord aktiviert. Hier sehen sich die Entwickler*innen gerade unterschiedliche Motorisierungen an. Von Diesel bis Methan, Ammoniak oder Wasserstoff werden alle möglichen Treibstoffe untersucht. Im Endeffekt sei aber hier Zuverlässigkeit das oberste Gebot, meint Tunell. "Wir wollen hier Technologie einsetzen, die sich bewährt hat. Wir können nicht in alle Richtungen gleichzeitig große Schritte machen."
Planbarkeit wichtiger als Geschwindigkeit
Zuverlässigkeit sei schließlich auch für die Kundschaft äußerst wichtig. Tunell: "Als wir das Konzept im letzten Jahr vorstellten, erhielten wir viele Anfragen. Einige Unternehmen versicherten uns, dass es genau solche nachhaltigen Transportmittel seien, die sie haben wollen. Dass die Reisezeiten damit länger sind, ist für sie okay, solange der Zeitplan eingehalten wird."
Aus dem Oceanbird-Konzept soll nun bald das erste echte Schiff hervorgehen. 2025 soll das Schiff "Orcelle Wind" auslaufen. Wallenius Marine hat zuletzt bekannt gegeben, mit dem Industrieunternehmen Alfa Laval einen Vertriebspartner gefunden zu haben. Gemeinsam wird derzeit das Joint Venture AlfaWall Oceanbird gegründet, um das Oceanbird-Konzept weiterzuentwickeln. Tunell wird es leiten. Sein großer Plan ist es, später auch andere Güter außer Autos durch riesige Segelschiffe transportieren zu lassen.
Andere Windantriebe für Schiffe
Es gibt verschiedenste Möglichkeiten, um Schiffe ohne die Verwendung fossiler Energieträger zu bewegen oder konventionelle Antriebe zumindest zu entlasten. Eine ist das Ausnutzen der Windkraft. Ein Konzept dafür sind etwa riesige, automatisch gesteuerte Flugdrachen, durch die selbst große Frachter zu Kite-Surfern werden.
Luftunterstützung
Dieses Konzept wird vom deutschen Unternehmen SkySails verfolgt. Es hat Kites entwickelt, die in 200 bis 400 Meter Höhe vor einem Schiff fliegen und dieses ziehen. Um die Windausbeute zu erhöhen, fliegt der Drachen in präzisen Achterschleifen seine Runden. Die Steuerung der Flugbewegungen passiert automatisiert mit künstlicher Intelligenz. Den fossilen Antrieb ganz ersetzen kann man damit zwar nicht. Je nach Schiff und Windverhältnissen soll sich der Treibstoffverbrauch damit aber um 20 bis 40 Prozent verringern lassen.
Drehende Türme
Eine andere Art von Windantrieb für Schiffe stellen sogenannte Flettner-Rotoren dar. Das sind hohe Türme mit einer Art Deckel an der Spitze. Sie werden elektrisch gedreht und nutzen den sogenannten Magnus-Effekt aus. Bei quer anströmendem Wind entsteht aus einer Kombination von Sog- und Staudruckkräften Vortrieb. Das Prinzip ist seit den 1920ern bekannt und erlebt derzeit eine Renaissance.
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