Wenn Drachen große Schiffe ziehen
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr!
Die Idee ist so naheliegend wie alt. Bereits 3000 vor Christus nutzten Segelboote im alten Ägypten den Wind, um von A nach B zu gelangen. Dass mit Wind und Segel aber auch riesige Tanker oder Containerschiffe übers Wasser gezogen werden könnten, galt bis vor kurzem als törichtes Vorhaben. Davon nicht abhalten ließ sich der deutsche Wirtschaftsingenieur Stephan Wrage, der 2001 die Firma SkySails gründete.
Luftige Höhen
In mühsamer Pionierarbeit entwickelte er einen Drachen, der in 200 bis 400 Metern Höhe vor ein Containerschiff gespannt wird und dieses ziehen kann. Um die Windausbeute zu erhöhen, fliegt der Drachen in präzisen Achterschleifen seine Runden. Die Steuerung der Flugbewegungen passiert automatisiert mit künstlicher Intelligenz.
Den fossilen Antrieb ganz ersetzen kann man damit zwar nicht. Je nach Schiff und Windverhältnissen soll sich der Treibstoffverbrauch damit aber um 20 bis 40 Prozent verringern lassen. „Bei einem typischen Frachtschiff mit 190 Metern Länge und 50.000 Tonnen Fracht kann man so im Mittel 5 bis 10 Tonnen Öl pro Tag einsparen“, erklärt Wrage im futurezone-Interview. Die durch den Drachen erreichte Antriebsleistung betrage bis zu zwei Megawatt.
Das über die Jahre perfektionierte System besteht aus einem ausfahrbaren Mast, mit dem der zusammengefaltete Drachen in die Höhe gehoben wird. Die einströmende Luft bläst diesen zu einem dreidimensionalen Flügel mit Ober- und Untersegel auf. Sind die Vorbereitungen abgeschlossen, wird der Drachen vom Mast abgekoppelt und steigt an einem Seil hängend nach oben, wo er das Schiff zu ziehen beginnt. Bis zu 800 Meter hoch kann der Drachen theoretisch steigen. Das größte erprobte Modell hat eine Oberfläche von 400 Quadratmetern.
Schwierige Anfangsphase
Mit seiner Idee, die Kraft des Windes auszunutzen und so Schiffe treibstoffschonender fahren zu lassen, war Wrage allerdings fast zu früh dran. Der niedrige Ölpreis sowie die fehlende Innovationsbereitschaft von Reedereien drohten das Konzept und somit auch das Unternehmen scheitern zu lassen. Nach einer Teilinsolvenz im Jahr 2016 und einer Umstrukturierung im selben Jahr ist das Unternehmen mittlerweile wieder auf etwa 100 Mitarbeiter gewachsen. Das Konzept wurde zudem erweitert. So wird der Drachen mittlerweile nicht mehr nur zum Ziehen von Schiffen, sondern auch zur Stromproduktion eingesetzt.
In die Hände spielen könnte SkySails nun der Kampf gegen den Klimawandel, der auf politischer Ebene eine höhere CO2-Bepreisung und ein Drängen auf klimaschonendere Technologien vorsieht. Zusätzlichen Rückenwind bekommt das deutsche Unternehmen auch durch den Markteintritt des Airbus-Ablegers Airseas. Das 2016 gegründete Start-up will noch heuer ein Frachtschiff des Luftfahrtkonzerns mit einem 500 Quadratmeter großen Drachen ausstatten.
Atlantikquerung geplant
Das 150 Meter lange Schiff soll riesige Luftfahrtbauteile von Frankreich quer über den Atlantik in die USA führen und mithilfe des Segels Treibstoff sparen. Bereits 2021 soll das System bei einem 230 Meter langen Riesenfrachter der japanischen Reederei K Line zum Einsatz kommen. Der dafür vorgesehene Drachen hat die beeindruckende Fläche von 1000 Quadratmetern. „Das wird die Standardgröße für unsere Segel werden“, sagt Airseas-Sprecher Luc Reinhard zur futurezone.
Auch das System des französischen Start-ups funktioniert völlig automatisiert. „Der Drachen wird in einem Winkel von 30 Grad vor dem Bug in 150 Metern Höhe positioniert. Die gesamte Steuerung ist software-basiert. Die Algorithmen antizipieren mithilfe von Sensordaten, wie sich der Drachen im Wind verhalten wird und passen die Flugbewegungen laufend an. Dieser sogenannte digitale Zwilling ist quasi ein virtuelles Spiegelbild des realen physischen Systems“, erklärt Reinhard. Im Schnitt 20 Prozent Treibstoff-Einsparung verspricht Airseas potenziellen Interessenten.
Wasserstoff und Elektro
Die Gefahr, dass das Riesensegel von anderen Technologien wie Elektroantrieb oder Wasserstoff schon bald wieder abgelöst werden könnte, ortet Reinhard nicht: „Manche Technologien, die noch nicht ganz ausgereift sind, werden dadurch erst möglich. Wasserstoff etwa braucht größere Tanks. Wenn wir 20 Prozent weniger Treibstoff benötigen, ist auch diese Alternative schneller realisierbar.“
Das sieht auch SkySails-Gründer Wrage so. Unabhängig von der Antriebsart könne man mit einem Segel immer Energie und damit auch Kosten sparen. „Wind ist die mit Abstand günstigste und effizienteste Energiequelle. In Wahrheit hängt man ein Stück Stoff in die Luft und profitiert davon. Das auf hoher See zu verschenken, wo die Ressource Wind fast immer verfügbar ist, ergibt keinen Sinn“, sagt Wrage.
Dazu komme, dass die Technologie schon einsatzbereit sei. „Wir können jederzeit liefern. Wie schnell sich das System durchsetzt, liegt jetzt ein Stück weit auch an den politischen Rahmenbedingungen. Das Interesse im Markt ist jedenfalls sehr groß.“
Lohnende Investition
Wie viel Reedereien für eine entsprechende Lösung bezahlen müssen, wollen sowohl Airseas als auch SkySails nicht öffentlich kommunizieren. Wrage zufolge sollten sich die Investitionskosten je nach Schiff und Route bereits in vier bis sechs Jahren amortisieren. Ausgelegt ist das System auf 20 bis 25 Jahre, der Drachen als Verschleißteil muss alle ein bis zwei Jahre gewechselt werden.
Wie man mit dem Drachen Strom erzeugen kann, lest ihr am Dienstag auf futurezone.at
Kommentare