Eine Frau sitzt mit ihrem Smartphone auf einer Bank

Eine Frau sitzt mit ihrem Smartphone auf einer Bank

© Getty Images/Svetlanais/istockphoto

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Sez Us: Soziales Netzwerk mit Anti-Ragebait-Funktion

Der Verkauf von Twitter sowie der Wandel der Plattform Richtung X haben Bewegung in das Land der sozialen Netzwerke gebracht. Die fortlaufende Verrohung der Konversation sowie eine immer extremere Verschiebung des Sagbaren auf X haben Alternativen befördert. Während als Gegenstück zu Twitter/X vor allem Bluesky und Mastodon als ernstzunehmende Alternativen übriggeblieben sind, versuchen weiterhin neue Plattformen, das perfekte Angebot zu erschaffen. 

Mit Sez Us gibt es seit einigen Monaten ein neues soziales Netzwerk, das mit einem neuen Ansatz gegen Ragebait, Verrohung der Sprache und gezielter Sabotage des Diskurses ankämpfen möchte.

Gegründet von Joe Trippi, Politberater der demokratischen Partei, und Yevgeny Simkin, möchte man eine neue Art des Online-Austausches schaffen. Über die vergangenen Wochen haben nun auch die Apps für Sez Us Gestalt angenommen. Wir haben uns die neue Plattform angesehen.

Vertrauter Aufbau

Um mit Sez Us durchzustarten, brauchen wir nicht viel mehr als die App. Sind die 50 Megabyte heruntergeladen, präsentiert uns die Plattform direkt ihren Aufbau. Auch ohne Registrierung können wir uns bereits umschauen, was sie so zu bieten hat.

Optisch fühlt es sich hier gleich vertraut an, lehnt sich Sez Us doch an den Pedants Twitter/X bzw. Bluesky an, statt das Rad neu zu erfinden. Untereinander werden verschiedenste Posts aufgefädelt, die mit Knöpfen für Daumen hoch und runter, zum Kommentieren und zum Reposten ausgestattet sind. Im Hintergrund werkt das Decentralized Social Networking Protocol (DSNP), eine Bindung an die Plattform wird also nicht erzwungen.

Am oberen Bildschirmrand finden wir zudem Kategorien, die auf Wunsch die Posts für uns filtern. Während sich in „All“ sämtliche Posts versammeln, gibt es außerdem „News“, „Politics“, „Sports“, „Fun“ und „Help“. Ausgewählt werden kann hier aber immer nur eine Kategorie. Wer etwa nur Politik von „All“ ausschließen möchte, kann das derzeit leider nicht tun.

Ohne Registrierung bekommen wir zwar einen kleinen Einblick in die Plattform, um richtig loslegen zu können erstellen wir aber erstmal einen Account. Neben Vor- und Nachnamen braucht es hier auch einen Username sowie eine Handynummer zur Aktivierung. Per Einmalcode müssen wir dann die Anmeldung bestätigen, auch zukünftige Logins laufen über diese etwas laxe Authentifizierungsmethode ab, zusätzlich lässt sich aber immerhin ein Passwort anlegen.

Skeptisches Folgen

Sind wir dann erstmal registriert, kann endlich die gesamte Funktionsweise erkundet werden. Accounts, die uns interessieren, können wir mit einem Follow versehen. Hier unterscheidet Sez Us bereits zwischen einem klassischen Follow und einem "skeptischen Follow".

Skeptische Follows eignen sich für Profile, deren Inhalte wir im Auge behalten möchten, etwa weil sie trollen oder unfreundlich sind, ohne dass der Account Reputation davon erhält. Außerdem erfahren die Gefolgten, wie viele Nutzerinnen und Nutzer ihren Account skeptisch beobachten. 

Posts, die wir für erwähnenswert halten, können wir reposten. Eine Option zum Zitieren gibt es aber nicht. Dank der bereits erwähnten Ähnlichkeit zu den Platzhirschen in dieser Branche fällt das Zurechtfinden hier äußerst leicht. Spannend wird es aber, wenn wir einen eigenen Post absetzten. Über eine Schaltfläche am unteren Bildschirmrand öffnen wir den Post-Composer. Hier können wir eine Überschrift sowie den eigentlichen Text verfassen.

Herzstück Bewertungen

Auch das Anhängen von Bildern und Videos sowie die Formatierung des Texts ist möglich. Zusätzlich besteht die Option, unseren Post auch über Twitter/X bzw. Bluesky zu verbreiten. Ist der Post erstmal abgesetzt, wird er zuerst wie jeder andere Inhalt in den allgemeinen Teil von Sez Us, die „All“-Kategorie gespült. Von hier aus können dann sämtliche Nutzerinnen und Nutzer den Post bewerten und klassifizieren. 

Bei der Klassifizierung ordnen wir Posts einer gewissen Kategorie, etwa „Sports“ oder „Politics“ zu. Neben den bereits vorhanden können wir aber auch eigene Kategorien eintippen, die wir vielleicht für passender halten. Das Herzstück von Sez Us ist aber das Bewertungssystem. Über den Button mit den Daumen-Emojis können wir einen Post in einzelnen Disziplinen bewerten.

Derzeit sind das 5 Wertungen: „Troll/Sichtweise verändert“, „irreführend/lehrreich“, „gefällt mir nicht/gefällt mir“, „irrelevant/wichtig“ und „gemein/nett“. In jeder dieser Wertungen können wir den Regler von -3 bis +3 schieben, um eine Einschätzung abzugeben.

Sez Us erklärt ausführlich, wie das Bewerten funktioniert.

Reputation als Währung

Um diese Wertungen aber auch abgeben zu können, braucht es Reputationspunkte. Diese sammeln wir, in dem wir selber posten und auf andere Posts reagieren. Die Anzahl der Reputationspunkte ist immer in unserem Profil sichtbar und kann dann zum Bewerten eingesetzt werden. Bei jeder Wertung, die wir abgeben, erhalten wir auch eine Übersicht, wie viele Punkte das Bewerten uns kosten würde. Unter jedem Post lässt sich dann die Reputation einsehen, die bisher von anderen vergeben wurde. 

Ein klarer Nachteil dieses Reputationssystems ist aber, dass passive Nutzerinnen und Nutzer, die eher selten posten oder kommentieren, auch weniger oft bewerten können. Hier besteht vor allem die Gefahr, dass zum Generieren von Reputation unbedeutende Inhalte abgesondert werden, die nicht zur Konversation beitragen.

Sez Us setzt für sich selbst eine Reihe an Standards.

Die App bzw. die Plattform hat noch einigen Feinschliff nötig. So hakte die Registrierung am Anfang meines Tests gewaltig, österreichisch Nummern wurden partout als ungültig deklariert. Auch der Videoplayer macht noch zu oft nicht das, was er sollte, nämlich einfach Videos abspielen. Spannend wird auch zu sehen sein, wie sehr das Reputationssystem zu einer Inflation von minderwertigem Content führt.

Neue Plattform oder Brutkasten für eine Idee?

Die wohl größte Frage bleibt aber, ob solch ein, von den Gründern in ihrer Deklaration als demokratisch bezeichnetes System, den Eigenheiten des Internets standhalten kann. Kann Nutzerinnen und Nutzern vertraut werden, dass auch solche Inhalte, die dem eigenen Kompass nicht entsprechen, richtig bewertet werden?

Und wie sehr führt ein Reputationssystem dazu, dass Inhalte von kleineren durch die größeren Accounts erstickt werden. Abseits der wohl wichtigsten Frage eines jeden sozialen Netzwerkes, ob die Nutzerzahlen je bedeutende Höhen erreichen können, stellt sich hier die Frage, ob es Sez Us als neuen Landeplatz braucht.

Derzeit fühlt sich Sez Us weniger nach einer eigenen Plattform und mehr nach einem Labor für eine Idee, die in anderen sozialen Netzwerken Anwendung finden könnte, an. 

Sez Us ist kostenlos für iOS und Android erhältlich.

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Amir Farouk

Early-Adopter. Liebt Apps und das Internet of Things. Schreibt aber auch gerne über andere Themen.

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