© Advanced Processor Technologies Research Group, Universität Manchester

Science

SpiNNaker: Forscher nehmen Gehirn aus Chips in Betrieb

Wissenschaftler sind dem Traum, ein menschliches Gehirn aus Silizium zu bauen, soeben ein Stück näher gekommen. An der Universität Manchester wurde am 18. November das leistungsfähigste künstliche Gehirn der Welt in Betrieb genommen. Der Großrechner besteht aus 1.036.800 Rechenkernen, die auf 57.600 ARM-Chipps verteilt sind. Damit lassen sich bis zu eine Milliarde Nervenzellen simulieren, was grob einem Prozent des menschlichen Gehirns entspricht. Das Besondere an der Gehirnmaschine ist ihre Architektur: SpiNNaker (Spiking Neural Network Architecture, zu Deutsch ) verarbeitet Informationen so, wie es das Gehirn tut, zumindest so weit wir es bisher verstehen. Jede simulierte Nervenzelle ist mit vielen anderen verbunden und gibt einfache Signale dann weiter, wenn ein bestimmter Schwellenwert überschritten wird. Der Hirnsimulator ist Teil des europäischen Human Brain Project.

Forscher versprechen sich vom neuen Supercomputer vor allem neue Erkenntnisse über die Funktionsweise des Gehirns. Die Maschine könnte aber auch genutzt werden, um komplexe neuronale Netzwerke zu simulieren, die Fortschritte bei der Bilderkennung oder der Steuerung autonomer Roboter bringen könnten. Am Rechner wird seit 2006 gearbeitet. Derzeit kann das System etwa 200 Billionen Rechenoperationen pro Sekunde ausführen. Die futurezone hat mit Steve Furber von der Universität Manchester über das Gehirn aus Chips gesprochen:

futurezone: Wird SpiNNaker ausschließlich für die Erforschung des Gehirns genutzt oder werden auch praktische Berechnungen durchgeführt?
Steve Furber: Die Modellierung des Gehirns erfordert einen Haufen Berechnungen. SpiNNaker wurde mit dem Ziel konzipiert, Echtzeitmodelle von einzelnen Subsystemen eines Gehirns zu ermöglichen. Wir können den Rechner aber auch für eine breite Palette von Anwendungen nutzen. Vor allem für Aufgaben, die eine große Zahl von relativ einfachen Prozessen beinhalten, eignet sich das System. Es gibt schon Ansätze, SpiNNaker für Finite-Elemente-Analyse oder Datenbanken und ähnliche Strukturen zu verwenden.

Steve Furber (Wikimedia, CC BY SA 3.0 Peter Howkins)

Für welche praktischen Aufgaben würde sich die Architektur sonst noch eigenen?
Es gibt wachsendes Interesse an der Erweiterung des Einsatzgebietes. Etwa für energieeffiziente Deep-Learning-Modelle für mobile Applikationen.

Wie viel Energie braucht der Supercomputer im Vergleich mit traditionellen Rechnerarchitekturen?
Unsere SpiNNaker-Maschine mit einer Millionen Rechenkernen benötigt maximal 100 Kilowatt, aber je nach Last kommen wir auch mit einigen wenigen Kilowatt aus. Ein traditioneller Supercomputer der höchsten Leistungsklasse liegt im zweistelligen Megawattbereich.

Ein 18-kerniger SpiNNaker-Chip

Wie viele Rechenkerne wären nötig, um ein komplettes menschliches Gehirn zu simulieren?
Wir sagen, dass unsere Million Rechenkerne etwas weniger als ein Prozent des menschlichen Gehirns simulieren kann. Realistischerweise können wir selbst mit einfachen Neuronenmodellen nur etwa ein Mäusegehirn simulieren. Ein komplettes Menschengehirn, immer noch unter der Annahme einfacher Neuronenmodelle, würde mit unserer derzeitigen Technologie etwa eine Milliarde Rechenkerne benötigen.

Können Sie abschätzen, wann das möglich sein wird?
Die gängige Meinung ist, dass die komplette Simulation eines Menschenhirns Exascale-Supercomputer erfordern wird, die über 1018 Operationen pro Sekunde schaffen. Die sollten Anfang der 2020er-Jahre zur Verfügung stehen. Ich persönlich bezweifle aber, dass das reichen wird, weil Exascale-Computer nicht über die nötige Kommunikationsinfrastruktur verfügen werden, um die Echtzeitsimulation eines kompletten Gehirns zu ermöglichen. Dazu kommt, dass die Konstruktion einer schnellen Maschine der einfachere Teil dieses Problems ist. Wir brauchen auch die Daten, um ein entsprechendes Modell zu bauen und das wird weitaus aufwändiger.

Welche Tiergehirne könnten wir simulieren?
Wie erwähnt könnten wir ein Mäusegehirn wohl bewältigen,aber die notwendigen Daten für ein Modell fehlen. Ein komplettes, wenn auch sehr grobkörniges Modell eines Mäusegehirns wurde zwar im Human Brain Project entwickelt, aber nicht in einer Form, die wir auf SpiNNaker ausführen könnten. Wir könnten prinzipiell ein komplettes Insektengehirn, etwa von einer Fruchtfliege, auf einem einzelnen Chipboard unseres Rechners simulieren, aber selbst dafür fehlen uns die Daten.

Welche Teile des menschlichen Gehirns sollen zuerst simuliert werden?
Das liegt in den Händen der Nutzer. Wir haben bisher am Cortex, dem Metathalamus und den Basalganglien gearbeitet und auch schon Arbeiten publiziert.

Das Gehirn ist äußerst komplex. Selbst Neurowissenschaftler blicken da nicht durch. Wie soll man das im Computer reproduzieren?
Wie bei vielen Dingen wissen wir einiges über die Struktur, auch wenn die Funktionsweise noch nicht verstanden wird. Auf Basis der Struktur können wir Modelle erstellen, die wir dann benützen können, um Hypothesen über die Funktionsweise zu testen.

Ein einzelnes Chipboard

Wie schlägt sich SpiNNaker wenn es um rohe Rechenleistung geht?
SpiNNaker basiert auf einer sehr großen Zahl von kleinen, effizienten Prozessoren. Die derzeitige Maschine unterstützt keine Gleitkommazahlen, weshalb alle Berechnungen mit Festkommazahlen durchgeführt werden. Jeder Rechenkern kann 200 Millionen Operationen pro Sekunde abarbeiten, also schafft die Maschine 200 Billionen Operationen pro Sekunde. Ein Desktopcomputer erreicht etwa 1010 Befehle pro Sekunde, allerdings nur kurzzeitig unter Volllast. Der längerfristig aufrechterhaltbare Rate liegt meist darunter. Grafikprozessoren sind viel schneller, können aber nur für begrenzte Aufgabengebiete genutzt werden. Traditionelle Supercomputer liegen heute im Bereich von 1016 Operationen pro Sekunde und nähern sich damit der Exascale. Diese Zahlen erzählen aber nicht die ganze Geschichte. Die Modellierung von gepulsten neuronalen Netzen ist eher eine Herausforderung für die interne Kommunikation als für die Rechenleistung eines Systems. Das liegt daran, dass der Grad der Vernetzung von Nervenzellen in einem Gehirn extrem hoch ist. Normale Desktoprechner und klassische Supercomputer können die Anforderungen einer Echtzeitsimulation an die interne Verschaltung  nicht erfüllen. SpiNNaker wurde genau dafür gebaut.

Was sind die wichtigsten Unterschiede zwischen SpiNNaker und einem Gehirn?
Biologie ist hochkomplex und wir wissen heute nicht, bis zu welchem Grad diese Komplexität eine Rolle für die Informationsverarbeitungskapazität des Gehirns spielt. SpiNNaker basiert auf der Annahme, dass ein Großteil der biologischen Komplexität in den Bedürfnissen der Neuronen begründet ist, also Wachstum, Energiezufuhr, Reparatur und Aufrechterhaltung der Funktion. Daher können wir die eigentliche Informationsverarbeitung in einem stark vereinfachten Modell darstellen. Wir gehen also davon aus, dass der interessante Teil der Informationsverarbeitung auf der Netzwerkebene passiert. Darum ist die Architektur auf große Netzwerke aus einfachen Einheiten ausgelegt. Diese Einheiten sind in der Software beschrieben, was das System flexibel macht. Wir können biologische Details nachrüsten, wenn sich herausstellt, dass sie eine wichtige Funktion erfüllen.

Gibt es Annahmen im Systemdesign, die sich ändern könnten, wenn die Neurowissenschaftler neue Erkenntnisse gewinnen?
Neurowissenschaftler interessieren sich zunehmend für dendritische Berechnungen und sehen Zellen wie die Pyramidenzellen in der Hirnrinde zunehmend als System mit zwei Teilen statt als einfaches Punktmodell. Dadurch müssen sich auch unsere Modelle weiterentwickeln, um mit dem Wissensstand schrittzuhalten.

Hat dir der Artikel gefallen? Jetzt teilen!

Markus Keßler

mehr lesen
Markus Keßler

Kommentare