TU Wien präsentiert die erste Atomkernuhr der Welt
Atomuhren sind die präzisesten Zeitmesser, die es derzeit gibt – und das schon seit den 60er-Jahren. 1967 wurde ein internationaler Standard für die Atomzeit definiert. Und seitdem arbeiten Forscher und Forscherinnen daran, Atomuhren noch präziser zu machen.
Dieser Durchbruch ist jetzt gelungen. Die TU Wien hat gemeinsam mit dem US-Forschungsinstitut JILA die erste Atomkernuhr der Welt gebaut. Basierend auf diesem Meilenstein soll es bald Zeitmesser geben, die die aktuell präzisesten Atomuhren der Welt schlagen.
So misst eine Atomuhr die Zeit
Atomuhren messen Zeit, indem sie Schwingungen pro Sekunde zählen. Je mehr Schwingungen pro Sekunde gemessen werden können, desto präziser. Eine übliche analoge Armbanduhr hat in etwa 5 Schwingungen pro Sekunde. Der 1967 festgelegte Standard für die Atomzeit hat 9.192.631.770 Schwingungen.
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Die Messung erfolgt, indem die Atome von bestimmten Elementen angeregt werden – daher auch der Name Atomuhr. Üblicherweise werden heute Cäsium und Strontium genutzt. Trifft der Laser auf die Atome in einer bestimmten Frequenz, wechseln die Elektronen der Atome zwischen 2 Zuständen hin und her. Dieser Wechsel ist die Schwingung der Atomuhr.
Allerdings kann sich im Laufe der Zeit, oder durch äußere Einflüsse, die Frequenz des Lasers ändern, wodurch die Atome anders bestrahlt werden, was zu Ungenauigkeiten führen kann. Das hat man gut im Griff, indem die Laserfrequenz nachjustiert wird. Gut ist aber den Forschenden nicht gut genug: Hier kommen Atomkerne ins Spiel. Sie sind kleiner als Atome und weniger anfällig für äußere Störeinflüsse.
Thorium-Kristall
Um Atomkerne anzuregen, braucht man aber immens viel Energie, wodurch diese Methode lange als nicht sinnvoll umsetzbar galt – außer, es wird Thorium genutzt. Bei diesem Element sind die 2 Zustände der Atomkerne sehr ähnlich, wodurch das Hin- und Herschalten zwischen ihnen per Laser weniger Energie braucht. Dazu muss aber die Energiemenge des Lasers höchstpräzise sein. Zu viel oder zu wenig Energie löst den Zustandswechsel nicht aus. Nach 10-jähriger Forschung ist der TU Wien im April aber genau das geglückt. Der Übergang findet bei 8,355743 Elektronenvolt statt (+/- 0,000003).
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Möglich wurde das, indem ein weniger als ein Millimeter kleiner Kristall an der TU Wien erschaffen wurde, der eine Billiarde Thorium-Kerne enthält. Diese hohe Menge an Kernen wird benötigt, um ein Signal zu erhalten, das stark genug für die Messung ist. Denn: Ein Atomkern hat nur etwa ein Billiardstel des Gesamtvolumens eines Atoms. „Im Vergleich dazu haben die meisten konventionellen Atomuhren nur ein einzelnes Atom“, sagt Thorsten Schumm, der an der TU Wien für das Projekt verantwortlich ist: „Dieser Kristall ist gewissermaßen das Herzstück des Experiments.“
Was macht den Thorium-Kristall so besonders?
Die futurezone hat mit Thorsten Schumm über das Herzstück des Projekts gesprochen: den an der TU Wien erforschten und produzierten Thorium-Kristall. „Die Herausforderung ist: Es gibt nur extrem wenig Thorium-229, wenige Milligramm auf dem ganzen Planeten. Das Material wird in den USA aus Uran-Beständen gewonnen, die noch vom US-Atomwaffenprogramm Manhattan Project stammen.“
Um die vielen benötigten Thorium-Kerne in so ein kleines Volumen zu verpacken, muss man extrem kleine Kristalle züchten, was laut Schumm eher unüblich ist. „Daran haben wir viele Jahre gearbeitet, aber mittlerweile ist der Prozess stabil und reproduzierbar. Der weltweite Bedarf wird maximal etwa 50 solcher Atomkernuhren sein. Das können wir von der Produktion her locker abdecken, wenn wir etwas mehr Thorium-229 bekommen.“
Hergestellt wird der Kristall, der in jede Richtung kleiner als ein Millimeter ist, fast so, wie man einen Brillianten für den Ehering herstellt. Er wird geschnitten und poliert. „Nur ist er halt leicht radioaktiv. Soweit ich weiß, sind wir die Einzigen, die sowas in Europa machen.“ Gleich auf Reserve muss man diese Kristalle nicht produzieren: Die Halbwertszeit von Thorium-229 beträgt 8.000 Jahre. „Ab dieser Zeit sollte man über den Wechsel des Kristalls nachdenken“.
Dass die Herstellung des Kristalls und der damit verbundene Durchbruch gerade an der TU Wien gelungen ist, erklärt Schumm so: „Wir haben an der TU und insbesondere am Atominstitut eine weltweit einzigartige Mischung von Möglichkeiten und Expertisen. Wir haben rund um den Forschungsreaktor am Prater wirklich super Leute, die uns bei der Handhabung des Thorium-229 unterstützt haben. Und dann gibt es auch eine Vielzahl an Gruppen, die im Bereich Quantenphysik und Laserphysik aktiv sind, was wir für das Projekt ebenfalls benötigen. Wir haben diese Kombination genutzt, um uns eine (wenn nicht die) weltweite führende Stellung in diesem Forschungsbereich zu erarbeiten. Das kommt nicht von heute auf morgen.“
Übersetzung benötigt
Um den Kristall in eine Atomuhr zu integrieren, waren physikalische Tricks nötig. Die Atomuhr des JILA nutzt Laserlicht im Infrarotbereich. „Unsere Thorium-Atomkerne brauchen aber Strahlung im UV-Bereich“, sagt Schumm. Also musste eine Art Getriebe geschaffen werden, um das Laserlicht von Infrarot in UV zu übersetzen.
Dazu werden ultrakurze Infrarotpulse genutzt, die aus einer Reihe von Frequenzen bestehen. Der Abstand zwischen den Frequenzen ist immer gleich. Trifft so ein Puls auf das Gas Xenon, reagieren dessen Atome und strahlen UV-Licht aus – in einer exakt vorhersehbaren Weise. Das trifft auf den Thorium-Kristall, in der genau richtigen Stärke, um den Zustandswechsel der Atomkerne auszulösen.
Und das ist die erste Atomkernuhr der Welt. Noch ist sie weniger präzise als gewöhnliche Atomuhren, aber: „Uns ging es immer darum, eine neue Technologie zu entwickeln. Wenn die erst mal da ist, kommt die Qualitätssteigerung dann ganz von selbst“, sagt Schumm: „Wir rechnen damit, auf diese Weise die besten Atomuhren in 2 bis 3 Jahren zu überholen.“
Rätsel der Physik lösen
Was macht man dann in 3 Jahren mit so einer ultrapräzisen Atomkernuhr? „Unsere neue Atomkernuhr ist eine extrem genaue Möglichkeit, 3 der 4 Grundkräfte des Universums zu vermessen“, sagt Schumm. Mit den Grundkräften (Gravitation, Elektromagnetismus, und die schwache und die starke Kernkraft), auch Naturkonstanten genannt, kann man alles erklären, was wir kennen und beobachten.
Theorien zufolge haben sich diese Kräfte aber mit der Zeit verändert oder sind nicht überall im Universum gleich stark. „Das würde zB. bedeuten, dass früher alle Atome etwas größer oder kleiner waren“, sagt Schumm. Kann das durch präzise Messungen nachgewiesen und bestimmt werden, eröffnen sich völlig neue Möglichkeiten und Rätsel der Physik könnten endlich gelöst werden, bis hin zur Dunklen Energie und Dunklen Materie. Derzeit sei noch gar nicht absehbar, welch weitreichende Folgen dies nicht nur für die Forschung, sondern den Fortschritt der Menschheit haben kann.
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