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Mit SimCity-Methoden Hochwasser stoppen

Dürre, Starkregen, Hochwasser. Derartige Extremereignisse haben durch den Klimawandel vielerorts stark zugenommen. Überschwemmungen – sei es in dicht verbauten Gebieten, an Bächen und Flüssen, aber auch in Hanglagen – sind besonders gefürchtet. Herauszufinden, welche Maßnahmen im Ernstfall vor Zerstörungen schützen, ist nicht einfach. Abhilfe können dabei Simulationen schaffen, die verschiedene Szenarien berechnen und so Hinweise auf notwendige bauliche Veränderungen liefern. Sie werden auch für das Erstellen von Katastrophenschutzplänen herangezogen.

Wie ein Computerspiel

Als bahnbrechend in diesem Bereich gilt die Softwarelösung „Visdom“ des österreichischen Forschungszentrums VRVis, die in enger Zusammenarbeit mit der TU Wien entwickelt wurde. Während andere Lösungen bisher tage- und wochenlang benötigten, um ein Ereignis durchzurechnen, kann die VRVis-Software Szenarien in wenigen Minuten simulieren und dreidimensional visualisieren.

Welche Stadtteile bei welchem Wasserstand geflutet werden oder was passiert, wenn ein Damm bricht, wird so für Entscheidungsträger, aber auch Einsatzkräfte unmittelbar nachvollziehbar. Wie beim Computerspiel SimCity kann man sogar Barrieren einziehen, Sandsäcke stapeln oder Rückhaltebecken schaffen. Die Simulation zeigt Schutzeffekte sofort an.

Damit die Berechnung möglichst genau ist, wird ein feiner Raster über ein Gebiet gelegt. Die Zellgröße liegt bei 1 mal 1 Meter, bei Detailplanungen kann bis auf 25 cm² herangezoomt werden. „Der Vergleich zu Computerspielen ist insofern treffend, da wir für unsere Simulationen Gaming-Grafikkarten einsetzen. Diese sind in der Lage, parallel die Wassereigenschaften von Millionen von Zellen zu rechnen und visuell aufzubereiten“, sagt VRVis-Simulationsexperte Jürgen Waser im futurezone-Interview.

Starkregen und Sturzflut

Neben Flusshochwasser – die Software wurde unter anderem zur Erstellung eines Katastrophenschutzplans für 7 Marchfelder Gemeinden an der Donau eingesetzt – können damit auch Sturzfluten berechnet werden. Bei Starkregen fließen die Wassermassen von den Hängen ab und dringen in Siedlungen und Stadtgebiete ein.

„Starkregensimulationen sind besonders komplex, weil man neben dem Gelände, den vorhandenen Gebäuden, der Vegetation und Verkehrsflächen auch die Bodenbeschaffenheit und das Kanalsystem berücksichtigen muss“, sagt Albert Schwingshandl, Geschäftsführer des Planungsbüros Riocom, zur futurezone. Er ist seit einigen Jahren aktiv an der Weiterentwicklung der VRVis-Software beteiligt.

Die Lösung kopple den Oberflächenabfluss mit dem unterirdischen Abfluss im Kanalsystem und könne so simulieren, wo das Wasser bei Kanaldeckeln und Schächten hineinfließe und bei Überlastung wieder an die Oberfläche gedrückt werde und so die Situation verschärfe.

„Mit Visdom konnten wir etwa in 2 Pilotgebieten in Graz eruieren, welche Gebäude, aber auch Tiefgaragen und Unterführungen besonders gefährdet sind. Die Erkenntnisse dienen als Grundlage für Katastrophenschutz- und Bebauungspläne“, erklärt Schwingshandl.

Im Waldviertel wiederum wurde ein Modell zum Oberflächenabfluss erstellt, das 24 Gemeinden und ein Gebiet von 2.500 km² umfasst. Aber auch in Köln wird die Software seit Jahren für die Berechnung von Flut- und Regenwasserereignissen eingesetzt.

Weiterentwicklung der Software

Noch schwieriger als den Abfluss auf der Erdoberfläche zu simulieren, ist die Versickerung in den Boden. „Einerseits gibt es wenige zuverlässige Daten, wie beschaffen und durchlässig die Böden in einem Gebiet sind. Aber auch jahreszeitliche Veränderungen, ob im Boden viele Regenwürmer zu finden sind oder darauf Rinder weiden, wirken sich wesentlich darauf aus, wie viel Regenwasser aufgenommen werden kann“, erklärt Günter Blöschl, Leiter des Instituts für Wasserbau und Ingenieurhydrologie an der TU Wien.

Nicht berücksichtigt werden in der Simulation vorerst auch Feststoffe im Wasser wie Geschiebe, Stein und Sand, die etwa bei der Renaturierung von Flüssen, aber auch bei der Bewirtschaftung von Wasserkraftwerken, Hangrutschungen und Erosion eine Rolle spielen. Diese zusätzlichen physikalischen Parameter sollen künftig stärker in die Modelle einfließen.

Wie der Mensch den Wasserkreislauf beeinflusst

Die Zeiten, in denen Hydrologen sich vor allem mit den physikalischen Eigenschaften von Wasser beschäftigten, sind längst vorbei. „Um den Wasserkreislauf zu verstehen, muss man auch chemische und biologische Prozesse berücksichtigen“, sagt Hydrologe Günter Blöschl von der TU Wien im futurezone-Interview. 

„Die chemische Beschaffenheit des Bodens und Verwitterungsvorgänge spielen etwa bei der Versickerung von Wasser eine ebenso wichtige Rolle wie biologische Parameter. Mikroorganismen, Regenwürmer, aber auch Pflanzen mit ihren Wurzeln im Boden sind essenzielle Faktoren, wie Wasser bei Niederschlag, aber auch im Falle von Hochwasser-Ereignissen abfließt.“

Themenbild: Landwirtschaft in Österreich

In jüngster Zeit kommt zudem vermehrt ein Forschungsgegenstand ins Spiel, der lange Zeit ausgeklammert wurde: der Mensch. In dem recht jungen Forschungszweig der Soziohydrologie, der von Blöschl stark mitgeprägt wurde, geht es darum, wie der Mensch nicht nur mit dem vorhandenen oder nicht vorhandenen Wasser umgeht, sondern den Wasserkreislauf auch aktiv beeinflusst.

„Wie wirken sich Dämme auf den Hochwasserablauf aus? Was bedeutet die Bewässerung von Feldern für das Grundwasser? Wie wirkt sich der Anbau welcher Feldfrüchte auf den lokalen Wasserhaushalt aus? Was passiert, wenn die Verdunstung durch den Klimawandel weiter zunimmt? All das sind Fragestellungen, zu denen die moderne Hydrologie Lösungen entwickelt “, erklärt Blöschl.

Natürliche Flüsse

Eine gesamtheitliche Perspektive verfolgt auch Kulturtechniker Schwingshandl, der mit seiner Firma Riocom neben klassischem Hochwasserschutz auch Renaturierungsprojekte an Flüssen und Bächen umsetzt: „In den vergangenen Jahrhunderten haben wir unsere Flusssysteme durch Regulierungen, die Trockenlegung der Talräume und die Versiegelung von Flächen stark verändert und tun das zum Teil immer noch. Ein gesunder Wasserhaushalt, der durch naturnahe Flüsse, intakte Wälder und Böden gefördert werden kann, wäre angesichts des Klimawandels jetzt aber umso wichtiger“.

Natürliche Wasserspeicher und Rückhaltebecken zu schaffen, sei sowohl für lang anhaltende Dürreperioden als auch für extreme Niederschlagsereignisse essenziell. Um derartige Vorhaben in die Tat umsetzen zu können, brauche es allerdings viel Überzeugungsarbeit bei Entscheidungsträgern in Ländern und Gemeinden sowie bei betroffenen Landwirten und Grundstücksbesitzern.

„Viele können sich einfach nicht vorstellen, was passiert, wenn der regulierte Bach nicht mehr schnurgerade durch die Landschaft fließt. Mit Simulationssoftware wie Visdom können wir gut veranschaulichen, welche Maßnahmen den Wasserhaushalt und die Lebensräume für Tiere und Pflanzen verbessern und wie dadurch auch Erholungsräume für den Menschen entstehen“, sagt Schwingshandl. Dadurch würden sich viele Ängste und Bedenken nehmen lassen.

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Martin Jan Stepanek

martinjan

Technologieverliebt. Wissenschaftsverliebt. Alte-Musik-Sänger im Vienna Vocal Consort. Mag gute Serien. Und Wien.

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