ESA-Chef: "Wir wollen alle, dass Europa stark im Weltraum ist"
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Am vergangenen Freitag wurde der Tiroler Josef Aschbacher von Bundesministerin Leonore Gewessler in Wien stolz als Österreichs erster Generaldirektor der ESA präsentiert. Am Tag zuvor hat die europäische Raumfahrtagentur offiziell verkündet, dass Aschbacher im Juli 2021 die Nachfolge von Jan Wörner antreten wird. Bei der Pressekonferenz zeigte sich der künftige ESA-Chef dankbar für die heimische Unterstützung und betonte, gerne dabei helfen zu wollen, dass Österreich bis 2040 klimaneutral wird. Als Meteorologe und langjähriger Direktor des ESA-Erdbeobachtungsprogrammes ist Aschbacher davon überzeugt, dass Daten von ESA-Satelliten maßgeblich dazu beitragen können, das System Erde besser zu verstehen. Die futurezone bat Aschbacher nach der Pressekonferenz zum Interview.
futurezone: War es immer schon Ihr Plan, ESA-Generaldirektor zu werden?
Aschbacher: Das wäre ein sehr kühner Plan. Generaldirektor zu werden, ist nicht einfach. Die Möglichkeit muss sich anbieten und es ist ein Prozess, der relativ komplex ist. Als ich Kind war, hat mich die ESA aber schon fasziniert. Als Kind hat ja jeder große Wünsche und meiner war tatsächlich, ESA-Generaldirektor zu werden. Das war das unvorstellbar Beste, was ich mir vorstellen konnte.
Nicht Astronaut?
Doch, Astronaut auch. Das eine schließt ja das andere nicht aus. Je mehr man ins Berufsleben kommt, desto unvorstellbarer ist so eine Position, wenn man ganz unten in der Hierarchie ist. Ich muss sagen, ich habe Glück gehabt, mich innerhalb der ESA entwickeln zu können. Ich bin als junger Studienabgänger eingestiegen und habe über verschiedene Stufen Karriere gemacht bis ganz oben. Die meisten Generaldirektoren sind von außerhalb gekommen, insofern ist das auch ungewöhnlich.
Was glauben Sie, waren die Faktoren, die zu Ihrer Wahl geführt haben?
Da spielen viele Dinge mit. Zum einen ist es, was man erreicht hat. Ich leite derzeit das größte Direktorat der ESA, mit 800 Mitarbeitern und dem größten Budget - 1,5 Milliarden Euro. Das funktioniert gut und es wird allgemein anerkannt, dass das Direktorat eine klare Vision hat und gut als Team arbeitet. Das ist sicher auch ein Kriterium: Leadership und Managementqualitäten. Während der Interviews muss man eine klare Vorstellung davon haben, wie man die ESA weiterentwickeln will. Wichtig ist auch, die Art und Weise, wie die Mitgliedsländer die ESA sehen wollen, etwa wie eng sie mit der EU-Kommission zusammenarbeitet. Auch das sprach für mich.
Sie arbeiten ja schon seit 30 Jahren für die ESA und kennen die Organisation gut. Wie schwierig ist die Zusammenarbeit mit Akteuren, die gemeinsame, aber auch nationale Interessen verfolgen?
Manche machen es schwierig, aber es muss überhaupt nicht schwierig sein. Es kommt immer darauf an, wie man Dinge darstellt und wie man sie entwickelt. Was wichtig ist: Wir haben alle die gleiche Ambition. Wir wollen alle, dass Europa stark im Weltraum ist. Wenn man nicht gegeneinander arbeitet, kann man viel erreichen und Projekte mit vereinten Kräften angehen. Alle Mitgliedsländer an Bord zu holen, ist wichtig, auch für die Finanzierung von Programmen. Komplexität gibt es, darauf muss man eingehen, etwa damit man sicherstellt, dass sich Firmen aus verschiedensten Ländern alle wohl in diesen Programmen fühlen.
Sie sind seit 2016 Direktor für Erdbeobachtung bei der ESA. Was waren die größten Erfolge in den vergangenen vier Jahren?
Die Realisierung des Programmes Copernicus. Wir haben einige Sentinel-Satelliten gestartet. Derzeit sind 8 im Weltall, die alle höchst erfolgreich Daten liefern - besser als spezifiziert. Wir haben dieses Programm gemeinsam mit der EU-Kommission aufgebaut und zum führenden Erdbeobachtungsprogramm der Welt gemacht. Darauf kann Europa stolz sein und zwar die ESA, die EU-Kommission, die Industrie und alle, die sich daran beteiligen. Copernicus wird oft als Europäische Erfolgsgeschichte im Weltraum bezeichnet, das ist es wirklich.
Wie kann die Erdbeobachtung zur Bekämpfung des Klimawandels beitragen?
Durch das Copernicus-Programm produzieren wir heute die weltweit größte Datenmenge über den Zustand des Planeten. Wir liefern diese Daten an alle Welt. Dadurch kann man Prozesse genau beobachten, etwa den Ausstoß von Treibhausgasen. Diese Informationen geben wir weiter an die Politik, die dadurch erkennen kann, welche Trends es gibt und wo man eingreifen kann. Zum Beispiel in der Landnutzung: Was passiert, wenn wir bestimmte Gebiete nicht mehr bewirtschaften? Wie wirkt sich das auf die Sauerstoffabsorption aus. Natürlich wissen wir, dass Österreich alleine keine Klimaneutralität schaffen kann, aber Österreich ist einer der Pioniere. Wir sind in der glücklichen Lage, dass wir eine sehr nachhaltige Politik haben und eng mit der EU zusammenarbeiten. Gemeinsam als Europa kann man beim Klimaschutz dann auch Druck auf andere Länder ausüben, etwa die USA und China.
Wie werden Erdbeobachtungsdaten von der ESA kommerziell genutzt?
Die sind alle gratis verfügbar. Wir liefern Rohdaten und auf ihrer Basis entwickeln Firmen und Start-ups kommerzielle Produkte. Der Downstream-Sektor (Satellitendatenverwertung) floriert. Er ist zuletzt um 10 Prozent pro Jahr gewachsen, was gerade in Covid-Zeiten ein gutes Wachstum darstellt. Unsere Daten stellen die Basis dar, um dieses Segment zu entwickeln.
In den nächsten Jahren werden so viele Satelliten in den Orbit geschossen wie nie zuvor. Ist das eine begrüßenswerte Entwicklung?
Die Entwicklung ist die Antwort auf einen Bedarf, den es auf der Erde gibt, etwa Internet vom Weltraum aus in entlegene Gebiete zu bringen oder Navigatonssysteme aufzubauen. Die Satelliten werden ja nicht zum Spaß gebaut. Was damit einhergeht, ist mehr Weltraumschott und dabei muss eine wirkliche Veränderung im Denken eingeführt werden, um zu verhindern, dass wir den Weltraum zumüllen und deshalb Probleme bekommen. Wir sind gerade dabei, einen Satelliten zu entwickeln, der Schrott einfängt und zur Erde zurückbringt. Das ist der erste Versuch, so etwas zu machen, aber natürlich braucht es viele 'Staubsauger' im All, um einen großen Effekt zu erzielen - also 'Vacuum Cleaner', weil es ja wirklich Vakuum ist, das da gereinigt wird. In Zukunft muss man in dieser Richtung mehr machen.
Bei Trägerraketen hatte Europa zuletzt wenig Erfolg zu verzeichnen. SpaceX dagegen reüssiert in diesem Bereich und macht äußerst wirksame Öffentlichkeitsarbeit. Was kann sich die ESA davon abschauen?
Was man sich abschauen kann, ist der Unternehmergeist, der zu einer wettbewerbsfähigen Rakete führt. Das hat SpaceX gemacht. Es war eine Privatinitiative, mit aggressiver Finanzierung und neuer Technologie. Oft wird mir die Frage gestellt: Warum hat Europa kein SpaceX? Da gibt es verschiedene Gründe. Elon Musk ist nunmal in Kalifornien und nicht in der Wachau, aber es hängt nicht nur von einer Person ab, sondern von einem ganzen Umfeld. Das ist der 'Silicon Valley Spirit', wo Innovationen vorangetrieben werden, wo Risikokapital zur Verfügung steht, wo man Fehler begehen und trotzdem weitermachen kann. Ich will einen Teil davon in Europa einführen. Es soll einerseits disruptive Innovationen geben, einen leichteren Zugang zu Geld und schnellere Entscheidungen, die gerade für Start-ups wichtig sind.
Die USA haben in den vergangenen Jahren die Rückkehr zum Mond propagiert. Die ESA kooperiert da auch mit der NASA. Wann werden die ersten Europäer am Mond stehen?
Der Plan der NASA ist, dass 2024 die erste Frau am Mond Fußabdrücke hinterlassen soll. Europa beteiligt sich an diesem Programm namens Artemis, sowie am Aufbau einer Mond-Orbitalstation, dem Gateway. Auch wir werden Astronauten und Astronautinnen zum Mond schicken, aber hier arbeiten wir Hand in Hand mit der NASA. Das sind so große Investitionen, dass Europa nicht die Mittel hat, um hier eine eigenständigere Politik zu betreiben. Die NASA ist ein sehr verlässlicher und guter Partner und das wird auch in Zukunft so sein. Ob es 2024 mit der Landung klappt oder nicht, wird sich zeigen.
Wie sieht es mit dem ersten Mensch am Mars aus?
Der Mars ist der nächste große Schritt. Es gibt einige Akteure, die sich daran beteiligen, auch private Firmen. Elon Musk ist der bekannteste Vertreter, aber nicht der einzige. Ich würde gerne über diese Ambitionen diskutieren und über die Rolle Europas. Ich bin aber weit davon entfernt zu sagen, dass Europa jemanden zum Mars schickt und wann. Das ist sehr kostenintensiv und muss gründlich überlegt werden.
Diese Serie erscheint in redaktioneller Unabhängigkeit mit finanzieller Unterstützung der Forschungsförderungsgesellschaft (FFG).
Österreichs Weltraumszene: klein und fein
Österreich ist seit 1987 Mitglied der ESA. Heimische Institutionen und Unternehmen tragen seitdem mit Know-how und Hightech-Produkten wesentlich zu diversen europäischen Raumfahrtprojekten bei. "Österreich hat eine Weltraumszene, die klein und fein und sehr wettbewerbsfähig ist", meint Klaus Pseiner.
Der Geschäftsführer der Forschungsförderungsgesellschaft war 2015 bis 2017 Vizevorsitzender des ESA-Rats und ist bis heute Österreichs Vertreter in diesem Gremium. Aus einer strategischen Überlegung heraus habe Österreich einen besonderen Fokus auf Satellitentechnologie und Erdbeobachtungsprogramme gelegt.
Satellitendaten
Davon zeugt etwa die Beteiligung am Satellitennavigationssystem Galileo oder dem Erdbeobachtungsprogramm Copernicus mit seinen Sentinel-Satelliten. Heimische Unternehmen seien sowohl bekannt für Technologie, die direkt im Orbit zum Einsatz kommt, als auch für die Verarbeitung von Satellitendaten.
Ein international bekannter Vertreter ist etwa RUAG Space. Die Firma stellt u. a. Bordcomputer, Thermoisolationen oder Mechanik für bewegliche Teile an Satelliten her. Die Firma Geoville liefert Unternehmen, NGOs und öffentlichen Institutionen in aller Welt wertvolle Planungsdaten anhand von Satellitenaufnahmen.
Mit Austrospace gibt es eine Vereinigung von 20 heimischen Unternehmen und Forschungsinstituten, die Kooperationen zum gemeinsamen Nutzen forciert. Aber auch abseits davon gibt es aufstrebende heimische Akteure, etwa die Firma VRVis. Sie hat ein Werkzeug kreiert, mit dem Bilddaten zu 3D-Visualisierungen werden. Zur Anwendung kommt es u. a. in der Planung von Marsmissionen der NASA.
Beste Voraussetzungen
In Graz betreibt die ESA seit einigen Jahren ein "Business Incubation Center". "Hier geht es darum, dass Weltraumtechnologien in den üblichen terrestrischen Markt kommen", meint Pseiner. "Wir wollen damit eine Dynamik im Start-up-Bereich erzielen und zeigen, was Weltraumtechnologien auf der Erde leisten können."
Dass mit Josef Aschbacher ein Österreicher ESA-Chef wird, "der noch dazu aus dem Feld der Erdbeobachtung kommt, auf dem Österreichs Fokus liegt", sei eine glückliche Fügung. Pseiner: "Die Voraussetzungen könnten nicht besser sei, um unsere Weltraum-Community international gut zu platzieren."
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